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# taz.de -- Burn-out als Chance: Lohnarbeit am Höllenfeuer
> Viele klagen über zu wenig Zeit. Doch bei der Frage, woher das kommt,
> wird es schnell eng, meint unser Kolumnist.
Bild: Bei manchen wäre es besser, sie würden einfach entspannt staubsaugen
Ich habe keine Zeit: für Steuererklärung, Haushalt und Garten – eigentlich
auch nicht so recht für diesen Text und tragischerweise schon gar nicht für
meine Freundinnen und Freunde. Nun verhält es sich aber ja so, dass Jammern
nicht hilft, erst recht nicht bei diesem Thema. Weil’s ja allen so geht.
Man kommt zweimal täglich darauf zu sprechen, weil keine:r zurückstehen
will beim großen Überlastungswettstreit, oder einfach, weil schon wieder
wer die geistreiche Beobachtung teilen möchte, dass man beim Verabreden
heutzutage ja frühestens über Termine in zwei Monaten rede. Ich frage mich
manchmal schon, zu welchen Gelegenheiten die etwa zweihundert Variationen
dieses Gesprächs eigentlich stattgefunden haben – weil wir uns ja
eigentlich nie sehen.
Es laufen noch ein paar verwandte Monologe in Dauerschleife, die Sie
bestimmt kennen: Zum Beispiel, dass jemand vergessen habe, wie sich
Langeweile anfühlt. Oder dass man als Student:in früher kein Geld für
dieses oder jenes Hobby hatte und heute, wo man es sich leisten könnte,
keine Zeit mehr. Witze gibt’s auch: „Keine Zeit und trotzdem da“, wurde i…
neulich reimend von der Seite anagitiert: „Freiberufler-Antifa!“ Oder:
„Tschüss, es war ein toller Abend – wir sehen uns dann im Herbst. Höhö!�…
Mich nervt das zunehmend: bei mir selbst, noch etwas mehr aber bei allen
anderen Menschen. Nicht nur weil das Thema langweilig wird, sondern auch
weil diese manische Verschiebung auf die Quantität ein mir doch wichtiges
Problem verschleiert: dass es sich bei unserem gesellschaftlichen Tun auf
der Arbeit im Wesentlichen nämlich um dumme Scheiße handelt. Ich meine
nicht nerviges Staubsaugen, sondern Dinge, die anderen das Leben schwerer
machen, die Welt weniger wohnlich oder das Klima kaputt. Wie viele Wochen-
und Überstunden uns das nun genau beschäftigt, scheint mir dabei eher ein
Nebenschauplatz zu sein.
## Nicht fair, aber wahr
Klar spricht hier mal wieder das Privileg: Ich kann es mir leisten, eine
absurd schlecht bezahlte Arbeit zu verrichten, die ich dafür (meistens) mag
und die ich (manchmal) sogar sinnvoll finde. Und es ist darum auch nicht
sonderlich solidarisch, jemandem vorzuwerfen, seine oder ihre Lohnarbeit
mache die Welt aktiv schlechter und dann zu sagen, dass man sich da ja
nicht auch noch beklagen müsse. Fair ist das nicht. Aber stimmen tut’s
trotzdem.
Mit dem Leben auf dem Land, um das es hier an dieser Stelle ja eigentlich
geht, hat das erstaunlicherweise viel weniger zu tun, als ich erst dachte.
Zwar wirken der PR-Klitschen-Psychoterrorist oder die
Prozess-verschlankende-Kündigungsexpertin meist in der Metropole – aber
auch hier draußen fühlen sich Menschen von Tätigkeiten gestresst, die sie
besser sein lassen würden. Ein (hoffentlich wenigstens nur selbsternannter)
„Vollstrecker“ der Wald und Wiesen Sparkasse hat mir vor einer Weile mal am
Rande eines Elternabends im Kindergarten erzählt, er brauche dringend
Urlaub. Das fand ich auch, am besten für immer.
Wahrscheinlich sind auch Polizist:innen echt müde nach
Abschiebungsnachtdiensten, oder die Spargelsklaventreiber kriegen’s
irgendwann im Kreuz. Das kann schon sein.
Wie gesagt: Alle müssen irgendwie Geld verdienen und die wenigstens können
sich den Luxus moralischer Erwägungen auf Dauer leisten. Aber vielleicht
ist das längst epidemisch gewordene Geschwätz von knapper Zeit und
beruflicher Überlastung eine gar nicht so schlechte Gelegenheit, doch mal
nachzuhaken, was jemand denn eigentlich so macht den ganzen Tag. Ob man zum
Beispiel wem geholfen hat bei irgendwas, oder wieder nur ein Leben
ruiniert. Das macht ja vielleicht auch einen Unterschied fürs eigene
Wohlbefinden und diesen Stress, von dem immer alle reden.
9 Apr 2025
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
wochentaz
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Speckgürtelpunks
Arbeit
Arbeitnehmerrechte
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