# taz.de -- „Neues Fleisch“ im Deutschen Theater: Gefährlicher Hunger nach… | |
> Mit seiner Virtual-Reality-Produktion lädt Theatermacher Arne Vogelgesang | |
> Besucher*innen in ein psychologisches Labor zum Thema Kannibalismus. | |
Bild: Versuchsaufbau im psychologischen Labor im Deutschen Theater | |
Berlin taz | Die Gestalt vor einem verändert sich sekündlich. Je nachdem, | |
wohin der Blick sich richtet, wird sie größer oder kleiner, bekommt lange | |
Arme und Finger, sodass sie wie ein Monster anmutet. Am Schluss pegelt sie | |
sich auf eine geschlechtslose Figur durchschnittlicher Körpergröße ein, | |
allerdings ohne Augen und Nase. Kurze Zeit später, als der zunächst noch | |
skizzenhafte Avatar Haut und Zähne bekommt, sieht er ein wenig aus wie Lord | |
Voldemort mit Schuppenflechte. | |
Die Virtual-Reality-Produktion [1][„Neues Fleisch“ im Deutschen Theater] | |
ist Kunst und Forschungsprojekt zugleich. Ein psychologisches Labor, in dem | |
die Besucher*innen Teil der Geschichte werden – wenn sie es möchten. | |
Die werden zunächst einzeln in einen Raum gebeten, wo sie einen Fragebogen | |
ausfüllen, der nach ihren Ängsten und Vorlieben fragt. Sehen Sie gerne | |
Wunden und Blut? Werden Sie gerne angefasst? Ja. Nein. Kommt darauf an. | |
Dann wird man in einen kleinen grellweißen Raum geführt und nimmt auf einem | |
weißen Sessel Platz. Dort warten bereits Arne Vogelgesang und Marina Dessau | |
vom Theaterkollektiv internil, die mit ihrer weißen Laborkleidung den | |
Eindruck von zwei freundlichen Dr. Frankensteins erwecken. | |
Nachdem sie die VR-Brille und die Kopfhörer positioniert haben, | |
verschwindet der Raum und man begegnet jenem gesichtslosen Avatar, | |
begleitet von der sanften Stimme Marina Dessaus, die einem sagt, dass man | |
ja ganz anders aussieht als erwartet – dito. | |
## Körperliche Begegnung der extremen Art | |
Die Geschichte, die Dessau – beziehungsweise das fiktive Gegenüber – | |
erzählt, handelt von dem Bedürfnis nach Nähe in einer distanzierten Welt | |
voller virtueller Kontakte. Es ist das erste Date, der Avatar deckt einen | |
Tisch und prostet einem zu – der reflexhafte Griff zum Weinglas, das vor | |
einem steht, offenbart, dass man nicht bloß Zuschauer*in ist. Wie sehr | |
man involviert sein möchte, hängt jedoch von einem selbst ab. | |
Zwischendurch werden einem Fragen gestellt, etwa nach dem Verhältnis zum | |
eigenen Körper in dem virtuellen Raum. Mit der Hand schiebt man eine Kugel | |
in Richtung Zustimmung oder Ablehnung. Dann geht es weiter, tiefer hinein | |
in die Erzählung über die Sehnsucht nach körperlicher Begegnung der | |
extremen Art und „sich zum Fressen gern zu haben“, die auf Vogelgesangs | |
Recherchen über echte kannibalistische Fantasien und Fälle basiert. | |
Das Wording von der Inbesitznahme des Körpers aus Begehren oder | |
vermeintlicher Liebe erinnert dabei stark an toxische Männlichkeit und | |
Femizide. Spätestens als der hautkranke Lord Voldemort ein scharfes Messer | |
nach dem anderen vor einem auf den Tisch legt, ist Frau versucht, danach zu | |
greifen und dieses auch einzusetzen. | |
Nach einer halben Stunde ist das Experiment vorbei. Was bleibt, sind die | |
eigenen Gedanken über den Hunger nach Nähe in einer entfremdeten Welt. | |
3 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.deutschestheater.de/programm/produktionen/neues-fleisch | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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