# taz.de -- Debattenkultur auf Social Media: Löschen ist keine Zensur | |
> Wer hetzt, hat keinen Anspruch auf eine Bühne. Warum wir dem Internet | |
> keine Diskussion schulden und Kommentare löschen Meinungsfreiheit | |
> bedeuten kann. | |
Bild: Nazis weder am Stammtisch noch im Internet | |
Wir sollten alle viel mehr löschen. Denn wir schulden dem Internet gar | |
nichts. Auch keine Diskussion. Egal auf welcher Plattform. Ich verbringe | |
nach wie vor viel Zeit im Netz. Das ist eine alte Gewohnheit, die sich | |
hält, obwohl es da längst nicht mehr so schön ist. So richtig loslassen | |
kann ich noch nicht. Ohne Social Media wäre vieles von dem, was ich in | |
meinem Leben sehr schätze, nicht da. Wahrscheinlich auch nicht diese | |
Kolumne. | |
Gute Freund*innen, Teile meines beruflichen Umfelds und auch politische | |
Weggefährt*innen habe ich online kennengelernt. Im Netz öffneten sich | |
Schwarze, queerfeministische und migrantische Diskussionsräume. Ich habe in | |
dieser Zeit viel gelernt, diskutiert und viel gelacht. Heute lässt sich | |
nicht mehr sagen, wann Zeitungen, Funk und Fernsehen ohne das Netz endlich | |
auf die Idee gekommen wären, Stimmen wie den unseren Platz einzuräumen. | |
Vielleicht hätte es nur etwas länger gedauert, vielleicht wäre es bis heute | |
nicht passiert. | |
Auch zu Beginn der großen sozialen Netzwerke, das heißt vor 10 bis 15 | |
Jahren, [1][gab es rechte Trolle, Rassist*innen und Maskulisten, die | |
versucht haben, uns wieder verstummen zu lassen]. Es gab Hass und Häme und | |
Provokation. Trotzdem waren untereinander und mit allen, die ernsthaft | |
interessiert waren, noch Verbindung und Diskussion möglich. Um im Bild zu | |
bleiben: Wir konnten uns noch hören. Wir waren laut genug. Wenn nicht, | |
haben wir uns gegenseitig verstärkt. | |
[2][Das ist heute nicht mehr so. Dafür ist da zu viel Lärm]. Und das ist | |
kein Partylärm, sondern boshaftes Geschrei. Zwischen organisierten Trollen, | |
Bots und den frauenhassenden Rassisten von nebenan ist kaum noch echter | |
Meinungsaustausch möglich. Besonders Frauen und Marginalisierte sind Hass | |
und Drohungen ausgesetzt. Viele meiner alten Internet-Genoss*innen haben | |
sich zurückgezogen. Gut, dass manche jetzt Bücher schreiben. | |
## Mehr löschen | |
Aber ganz ehrlich: Ihr fehlt mir auf Instagram. Das alles ist ein Verlust | |
an Perspektiven und Meinungsvielfalt und der Freiheit einiger Menschen, | |
ihre Meinung zu äußern. Das kommt in Diskussionen zu Meinungsfreiheit im | |
Netz allerdings selten zur Sprache. Stattdessen gilt es als demokratisch | |
unsauber, rassistische, queerfeindliche, antisemitische oder | |
frauenverachtende Kommentare einfach zu löschen. Ich lösche das. Und ihr | |
solltet es auch tun. | |
Damit meine ich nicht nur kleine Privataccounts, sondern auch und vor allem | |
Medienhäuser und große Creator*innen. Da ist eindeutig zu viel Angst davor, | |
dass Demokratiefeinde einem Demokratiefeindlichkeit vorwerfen könnten. Und | |
dann wird rechte Hetze und der aufreibende Widerspruch dagegen auch noch | |
für die eigene Reichweite genutzt. | |
Viel Kontroverse bringt viel Interaktion, und das ist gut für den | |
Algorithmus. Wut und Hass zu provozieren ist ein einfacher | |
Reichweitenbooster auf Kosten von denjenigen, die dieser Hass trifft. Und | |
alle, die rechten Müll nicht einfach unwidersprochen lassen können, begeben | |
sich in etwas, das sie sonst strikt ablehnen: Diskussionen mit Nazis. | |
Ich muss zugeben, dass mir das auch manchmal passiert. Meine kleine | |
Gegenstrategie ist es, mehr linken Inhalten Aufmerksamkeit zu schenken und | |
mal ein paar Komplimente unter schönen Posts und klugen Kommentaren | |
dazulassen. Und unter den Seiten, die ich betreue, selbstbewusst zu | |
löschen, damit alle anderen sich in Ruhe weiter unterhalten können. Hätte | |
ich eine Kneipe, würde ich ja auch keinen Nazistammtisch dulden. | |
4 Apr 2025 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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gesetzt. |