# taz.de -- Berliner Maßregelvollzug: Ein „Krankenhaus“, das noch kränker… | |
> Angehörige von Patient*innen des Maßregelvollzugs berichten von den | |
> skandalösen Zuständen. Die neue Leitung hofft auf mehr Personal. | |
Bild: Am Limit: Der Hauptstandort des Maßregelvollzugs in Reinickendorf | |
Berlin taz | „Ich habe mir nicht vorstellen können, dass solche Zustände in | |
Deutschland möglich wären.“ Oder: „Wir fühlen uns hier von allen | |
vergessen.“ Diese Aussagen stammen von Patient*innen des Krankenhauses | |
des Maßregelvollzugs (KMV) in Berlin. Die Berliner Gesellschaft für Soziale | |
Psychiatrie hatte am Montagnachmittag zu einem „lösungsorientierten | |
Austausch“ nach Schöneberg eingeladen. Neben kurzen Vorträgen und einer | |
Podiumsdiskussion trugen Angehörige Erfahrungsberichte von Untergebrachten | |
vor. Darin erzählen die Patient*innen von Ohnmachtsgefühlen, | |
Perspektivlosigkeit und Ängsten. | |
In den Maßregelvollzug kommen verurteilte Straftäter*innen mit | |
psychischen oder Suchterkrankungen, die nicht oder vermindert schuldfähig | |
sind – das Gericht aber für gefährlich hält. [1][Das KMV in Berlin steht | |
seit Jahren in der Kritik]. Personalmangel führt dazu, dass es zu wenige | |
Angebote für die Patient*innen gibt. Deren Zahl übersteigt die der | |
offiziellen Betten, sodass mehrere Personen auf Matratzen auf dem Boden | |
schlafen müssen. Wegen der unhaltbaren Zustände hatte vor einem Jahr der | |
[2][bisherige Leiter Sven Reiners] gekündigt. [3][Im Januar fing nun die | |
neue Leiterin Julia Krebs an.] Für sie war es der erste öffentliche | |
Auftritt. | |
„Wir müssen manchmal wochenlang auf ärztliche Termine warten“, hieß es in | |
einem der Erfahrungsberichte der Patient*innen. „Ich soll eine Therapie | |
machen, dann kann ich wieder raus. Aber es gibt keine Therapieplätze, weil | |
sie hier zu wenig Personal haben“, berichtete eine andere. | |
Die Zustände im Berliner Maßregelvollzug hat auch die Nationale Stelle zur | |
Prävention von Folter kritisiert. Ihr Besuch am Hauptstandort in | |
Reinickendorf liegt bereits ein knappes Jahr zurück, [4][der Bericht] | |
erschien allerdings erst Ende Januar. Die Überbelegung wird darin als | |
„untragbar“ und als „erniedrigend“ für die Untergebrachten bezeichnet. | |
Patient*innen müssten grundsätzlich Einzelzimmer bekommen, alles andere | |
gefährde den Therapieerfolg und könne zu Aggressionen führen. | |
## Matratze auf dem Boden | |
Isolationsräume, im Fachjargon Kriseninterventionsräume, würden als | |
reguläre Zimmer genutzt, seien aber nicht entsprechend ausgestattet. Und | |
auch die Räume, die tatsächlich zur Krisenintervention – also wenn jemand | |
akut selbst- oder fremdgefährdend ist – genutzt würden, seien nicht nach | |
den neuesten Standards eingerichtet. Häufig hätten sie nur eine Matratze | |
auf dem Boden. | |
Aber: „Bei einer Unterbringungsdauer von mehreren Stunden oder Tagen ist | |
ein Verweilen im Stehen oder am Boden sitzend menschenunwürdig“, heißt es | |
im Besuchsbericht. Zudem seien die Räume auch für andere Patient*innen | |
stets einsehbar. Schlimmer noch: Selbst der [5][Toilettenbereich sei | |
kameraüberwacht und das Bild werde unverpixelt übertragen.] Das verstoße | |
gegen die Privat- und Intimsphäre der Untergebrachten. | |
Die Nationale Stelle zur Prävention von Folter kritisierte in ihrem Bericht | |
zudem, dass zum Zeitpunkt ihres Besuchs etwa ein Viertel aller Stellen | |
unbesetzt gewesen seien – etwa 100 offene Stellen gab es da allein im | |
Pflegebereich. Zusätzlich seien am Besuchstag über 20 Prozent der | |
Mitarbeitenden erkrankt gewesen, sodass nur etwa die Hälfte des | |
vorgesehenen Personals im Einsatz war. | |
KMV-Chefin Julia Krebs verwies am Montagnachmittag auf den allgemeinen | |
Fachkräftemangel. Immerhin: In den vergangenen drei Monaten seien vier neue | |
Ärzt*innen angestellt worden. Weitere sollen über eher unkonventionelle | |
Wege gefunden werden: durch eine Werbekampagne auf dem Musikstreamingportal | |
Spotify sowie über Instagram, wo Mitarbeiter*innen mit sogenannten | |
Testimonials selbst für Kolleg*innen werben sollen. | |
## Mehr Personal, weniger Neuzugänge | |
„Ich mache die Arbeit gern“, sagte Krebs am Montag als Zwischenfazit der | |
ersten drei Monate ihrer Amtszeit. Das wünsche sie sich auch für alle | |
übrigen und künftigen Mitarbeiter*innen, schließlich sei es eine | |
„sinnstiftende Tätigkeit“. „Ich wünsche mir sowohl für meine | |
Mitarbeiter*innen als auch für die Patient*innen, dass Behandlung und | |
Therapie so gestaltet werden können, wie sie es sich wünschen.“ | |
Wie es dazu kommen soll? Das Ziel müssten neben mehr Personal erstens | |
weniger Neuzugänge, zweitens mehr Abgänge, drittens kleinere Stationen | |
sein, sind sich die Podiumsgäste einig. | |
Krebs, davor Oberärztin in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie | |
des Justizvollzugskrankenhauses Berlin, schlägt vor, ein halbes Pflichtjahr | |
für Ärzt*innen in Ausbildung im Krankenhaus des Maßregelvollzugs | |
einzuführen. Das löse kurzfristige Personalprobleme, gebe den künftigen | |
Ärzt*innen aber auch einen Einblick ins Tätigkeitsfeld, die dann | |
vielleicht nach Ende der Ausbildungszeit zurückkämen. | |
Dass die Zahl der Patient*innen steigt, liege vor allem an steigenden | |
Zahlen der „einstweiligen Unterbringung“, erklärt die Landesbeauftragte f�… | |
psychische Gesundheit Norma Kusserow. Das ist in etwa das Äquivalent zur | |
Untersuchungshaft. Zu dem Zeitpunkt ist das Urteil also noch nicht | |
gesprochen, die Patient*innen werden zum Schutz der Öffentlichkeit aber | |
dennoch präventiv eingesperrt. Hier brauche es mehr Austausch mit den | |
Justizbehörden, fordern die Podiumsgäste. | |
Dass auch in den Gerichten das Bewusstsein für die Zustände im | |
Maßregelvollzug steigt, zeigte sich unter anderem daran, dass die Neue | |
Richtervereinigung im Februar bereits [6][zu einer eigenen Veranstaltung | |
zum Thema Maßregelvollzug eingeladen hatte], die gut besucht war. Ein | |
Vertreter der Neuen Richter ist auch am Montag im Publikum. | |
## „Wir können nicht kündigen“ | |
Dort wird auch über fehlende Anschlussbetreuung diskutiert. Es gebe zu | |
wenige Plätze in Wohnheimen und in der regulären Psychiatrie. Aus dem | |
Publikum kommt die Forderung, die städtischen Wohnbaugesellschaften sollten | |
Wohnungen für Entlassene zur Verfügung stellen. Ebenso könnten wie in | |
anderen Bundesländern psychiatrische Ambulanzen eingerichtet werden. | |
Einige der Forderungen sollen bereits Einzug in den Masterplan 2040 für den | |
Maßregelvollzug gefunden haben. Doch über den wird bereits seit Jahren | |
gesprochen, vorgelegt werden sollte er im Herbst 2023. Bis jetzt ist er | |
allerdings nicht offiziell verabschiedet. Einzelne Maßnahmen würden dennoch | |
peu à peu angegangen, erklärt Kusserow. So soll unter anderem im Oktober | |
eine Außenstelle des Maßregelvollzugs in Lichtenrade in Betrieb genommen | |
werden. Aber mit welchem Personal? | |
„Ich danke allen, die unter diesen Bedingungen weiter versuchen, gute | |
Arbeit zu leisten“, liest eine Angehörige aus dem Erfahrungsbericht eines | |
Patienten vor. Der Krankheitsstand beim Personal sei hoch, viele kündigten, | |
weil sie es nicht aushielten. Das sei verständlich. Aber, gibt er zu | |
bedenken: „Wir haben keine Möglichkeit, uns der Situation zu entziehen. Wir | |
können nicht kündigen und uns etwas besseres suchen.“ | |
1 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Krise-im-Berliner-Massregelvollzug/!5993795 | |
[2] /Ex-Chefarzt-ueber-Massregelvollzug/!6032541 | |
[3] /Massregelvollzug-in-Berlin/!6062603 | |
[4] https://www.nationale-stelle.de/fileadmin/dateiablage/Dokumente/Berichte/Be… | |
[5] /Zustaende-im-Massregelvollzug/!6029875 | |
[6] https://www.neuerichter.de/bericht-zur-podiumsdiskussion-zum-thema-massrege… | |
## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
## TAGS | |
Maßregelvollzug | |
Gefängnis | |
Knast | |
Psychiatrie | |
Krankenhäuser | |
Maßregelvollzug | |
Maßregelvollzug | |
Straftäter | |
Maßregelvollzug | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Maßregelvollzug in Berlin: Neue Chefin, alte Probleme | |
Nach monatelanger Hängepartie hat der Maßregelvollzug in Berlin wieder eine | |
ärztliche Leitung. Doch die Herausforderungen sind weiterhin groß. | |
Personalmangel und Überbelegung: Senatsverwaltung bestätigt sechsjährige Iso… | |
Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs ist schon länger in der Kritik. Eine | |
Sanierung sollte das ändern. Den Grünen zufolge wird daran aber gespart. | |
Ex-Chefarzt über Maßregelvollzug: „Isolationsräume waren immer voll“ | |
Drei Jahre war Sven Reiners ärztlicher Leiter des Krankenhauses für den | |
Maßregelvollzug Berlin. Ein Gespräch über Personalnot und untragbare | |
Zustände. | |
Krise in der Gefängnispsychiatrie Berlin: Er hat nicht gelebt | |
Ümit Vardar starb nach 27 Jahren im Maßregelvollzug. Die Zustände dort | |
gelten schon lange als untragbar. Seine Familie verklagt nun das Land | |
Berlin. |