# taz.de -- Personalmangel und Überbelegung: Senatsverwaltung bestätigt sechs… | |
> Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs ist schon länger in der Kritik. Eine | |
> Sanierung sollte das ändern. Den Grünen zufolge wird daran aber gespart. | |
Bild: Die 549 Plätze im Krankhaus des Maßregelvollzugs sind um rund zehn Proz… | |
Berlin taz | Sechs Jahre. So lange ist ein Patient im Krankenhaus des | |
Berliner Maßregelvollzugs bereits in einer Isolationszelle untergebracht. | |
Das hat die SPD-geführte Senatsverwaltung für Gesundheit der Transparenz- | |
und Rechercheplattform FragDenStaat bestätigt, nachdem diese auf Herausgabe | |
der Information geklagt hatte. Zuvor hatte die taz [1][zusammen mit | |
FragDenStaat] bei der Senatsverwaltung mehrmals erfolglos nachgefragt. | |
In den Maßregelvollzug kommen verurteilte Straftäter mit psychischen | |
Erkrankungen oder mit Suchtproblematiken, die nicht oder vermindert | |
schuldfähig sind und die das Gericht weiter für gefährlich hält. In Berlin | |
kommen sie [2][ins Krankenhaus des Maßregelvollzugs,] abgekürzt KMV. 549 | |
Plätze gibt es dort regulär, zum Stichtag 8. August waren allerdings 611 | |
Menschen untergebracht. Eine Überbelegung von etwa zehn Prozent ist dort | |
fast schon die Norm. | |
Üblich ist auch, neue Patient*innen zunächst zu isolieren. So kann sich | |
das Krankenhauspersonal „ein Bild zu Erkrankung und Gefährlichkeit | |
verschaffen“, wie die Senatsverwaltung erklärt. Das treibt die | |
Belegungszahlen der Isolationszellen in die Höhe: Laut Senatsverwaltung | |
waren 2023 insgesamt 263 Patient*innen im KMV in einer Isolationszelle, | |
im ersten Halbjahr 2024 waren es 112. | |
Doch es gibt noch weitere Gründe für die hohen Zahlen. Das Krankenhaus des | |
Maßregelvollzugs in Berlin steht seit Jahren wegen Personalmangels und | |
Überbelegung in der Kritik. Die Patient*innen haben keine Privatsphäre, | |
es gibt zu wenige Therapien und andere Angebote. Das wirkt sich auf die | |
Psyche aus, führt zu Langeweile und Frust. Um die Menschen ruhig zu | |
stellen, werden sie, so sagte es eine Angehörige der taz, „mit Medikamenten | |
vollgepumpt“. Oder, wenn das nicht reicht, isoliert. Sven Reiners, bis Ende | |
Juni ärztlicher Leiter des KMV, sagte der taz im Interview, alle | |
Isolationszellen im KMV seien durchgängig belegt. | |
UN: Isolation über 15 Tage ist Folter | |
Wie lange die Patient*innen isoliert werden, wollte die | |
Senatsverwaltung zunächst nicht beantworten. Erst auf einen Eilantrag ans | |
Verwaltungsgericht von FragDenStaat hin antwortete sie schließlich. Demnach | |
waren zum 24. September 2024 fünf Menschen mehr als einen Monat in einer | |
Isolationszelle untergebracht und ein Patient mehr als ein Jahr. Nach den | |
[3][Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen] für die Behandlung von | |
Gefangenen gilt eine Einzelhaft an mehr als 15 aufeinander folgenden Tagen | |
als Folter. | |
Ex-Chef Reiners [4][hatte der taz im August gesagt], dass ein Mensch über | |
fünf Jahre in Isolation gehalten werde. Wie es zu so langen Zeiträumen | |
kommt, erklärte er so: „Stellen Sie sich vor, dass eine Person wegen | |
Tötungsdelikten verurteilt wurde und in den Maßregelvollzug kommt, dort | |
versucht hat, Pflegepersonal zu töten, und es ablehnt, Medikamente zu | |
nehmen. Dann wird dieser Patient durchaus über mehrere Jahre isoliert.“ | |
Die Senatsverwaltung wollte das auf mehrfache Nachfrage nicht kommentieren. | |
Sie begründete das mit Daten- und Patientenschutz. Doch | |
Persönlichkeitsrechte sind überhaupt nicht betroffen, wenn keine näheren | |
Informationen über den betroffenen Patienten herausgegeben werden, über die | |
er identifiziert werden könnte. | |
Das hat die Senatsverwaltung nun offenbar auch eingesehen, nachdem | |
FragDenStaat Klage eingereicht hatte: Sie bestätigt, dass ein Patient sogar | |
seit über sechs Jahren in einem Isolationsraum untergebracht ist. Gründe | |
für so lange Zeiträume seien Eigen- und/oder Fremdgefährdung „schwerst | |
erkrankter, produktiv psychotischer“ Patient*innen. | |
## Ärztlicher Leiter kündigt | |
Laut Reiners kann es bei solchen Patient*innen immer wieder Phasen | |
geben, in denen sie weniger gefährlich sind. Dann „könnte man theoretisch | |
progressiv andere Maßnahmen versuchen“ als die Isolierung. „Aber nicht, | |
wenn man eine übervolle Station hat.“ | |
In der Senatsverwaltung sind die Probleme im KMV seit Jahren bekannt. | |
Tatsächlich hat sie Gelder für Personal freigegeben, doch Fachkräfte sind | |
kaum zu bekommen. Im Februar dieses Jahres demonstrierten Angehörige „gegen | |
die menschenunwürdigen Zustände im Krankenhaus des Maßregelvollzugs | |
Berlin“. [5][Im März folgten Proteste von Beschäftigten.] Im April | |
schließlich reichte der ärztliche Leiter Reiners seine Kündigung ein. | |
Seitdem hat sich wenig getan. Daher hat sich die Deutsche Gesellschaft für | |
Soziale Psychiatrie (DGSP) mit einem Offenen Brief an den Regierenden | |
Bürgermeister von Berlin gewandt, der der taz und FragDenStaat exklusiv | |
vorliegt. Die DGSP wirft dem Senat „gubernatives und administratives | |
Systemversagen“ vor. Sie fordert schnell eine neue ärztliche Leitung, | |
höhere Löhne, um mehr Fachpersonal anwerben zu können und insgesamt eine | |
Verkleinerung des Krankenhauses des Maßregelvollzugs. | |
Auch fordert sie, dass überprüft wird, ob wirklich bei allen | |
Patient*innen im KMV die Voraussetzungen für eine Unterbringung im | |
Maßregelvollzug vorliegen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im KMV | |
liegt derzeit bei sechseinhalb Jahren. Es gibt aber auch Menschen, die dort | |
wesentlich länger untergebracht sind. Darüber hinaus, fordert die DGSP, | |
solle das Land Berlin eine Bundesratsinitiative für eine Reform des | |
Maßregelvollzugs auf den Weg bringen. | |
Die Senatskanzlei sagte der taz dazu, sie kommentiere generell keine | |
Offenen Briefe. Bettina König, gesundheitspolitische Sprecherin der | |
SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sagte, die Zustände seien für | |
Patient*innen und Beschäftigte „sehr belastend“. Das sei allen | |
Beteiligten bewusst. Sie verwies auf den Masterplan 2040 für das KMV, mit | |
dem die Probleme „schrittweise“ angegangen werden sollen. „Ich erwarte vom | |
Senat, dass der Ausbau der Plätze nun höchste Priorität hat und sich der | |
gesamte Senat mit allen fachlich verantwortlichen Senatsverwaltungen der | |
Tragweite der Situation im KMV bewusst ist und entsprechend gehandelt | |
wird“, fordert König. | |
## Lob und Kritik von den Grünen | |
Die gesundheitspolitische Sprecherin der oppositionellen Grünen, Catherina | |
Pieroth, lobte gegenüber der taz, dass die Personalaufstockung im KMV – | |
wenn auch langsam – vorangehe. Sie kritisierte, dass der Senat von 8 | |
Millionen Euro, die für die Sanierung eines Teils des KMV vorgesehen waren, | |
nun wieder 3,2 Millionen Euro einsparen wolle. | |
Viel wird an der neuen ärztlichen Leitung hängen. Wer das sein wird, ist | |
noch nicht öffentlich bekannt. Laut Senatsverwaltung für Gesundheit ist das | |
Bewerbungsverfahren mittlerweile abgeschlossen. Die neue ärztliche Leitung | |
soll ihre Arbeit im Januar 2025 aufnehmen. | |
21 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2024/10/seit-sechs-jahren-in-der-i… | |
[2] https://www.berlin.de/kmv/ | |
[3] https://www.unodc.org/documents/justice-and-prison-reform/Nelson_Mandela_Ru… | |
[4] /Ex-Chefarzt-ueber-Massregelvollzug/!6032541 | |
[5] /Aerzte-Protest-am-Massregelvollzug/!5996531 | |
## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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