| # taz.de -- Dokumentarfilm „Walk Don’t Walk“: Beine, Beine, Beine! | |
| > Der Hamburger Thomas Struck filmte New York aus der Hundeperspektive – | |
| > nicht lange vor dem 11. September. Jetzt kommt sein Film wieder in die | |
| > Kinos. | |
| Bild: Ja, wie laufen sie denn? Mit anthropologischem Interesse spürte Thomas S… | |
| Beine, Beine, Beine! So viele untere Körperteile von Menschen gab es im | |
| Kino nur selten zu sehen. Für Fetischist*innen muss „Walk Don’t Walk“ | |
| eine Offenbarung sein; ein Film, in dem 60 Minuten lang die Beine und Füße | |
| von New Yorker*innen gezeigt werden. Drei Jahre lang zwischen 1997 und | |
| 2000, ist der Hamburger Thomas Stuck dafür mit einer kleinen Digitalkamera, | |
| an einem Stativ auf Rollen befestigt, durch die Straßen von und hat | |
| laufende Beine fotografiert – aus der Hundeperspektive, darum ging es. | |
| Heute, nach der Sensibilisierung durch [1][#MeToo], wäre das sicher nicht | |
| mehr möglich. Struck weiß das selbst und nennt sich den „letzten Mohikaner�… | |
| (was heute eigentlich auch nicht mehr ohne Weiteres geht). Tatsächlich | |
| wurde er schon damals als vermeintlicher Voyeur verhaftet. Aber Struck | |
| konnte die Polizei davon überzeugen, dass er Kunst machte, keinen | |
| Schweinkram, und so wurde er nach zwei Stunden wieder laufen gelassen. | |
| Tatsächlich kann man ihm nicht vorwerfen, mit einem „male gaze“, also einem | |
| [2][männlich geprägten Blick], Frauenbeine zu sexualisieren. Und das, | |
| obwohl Struck ausgerechnet auch bei der Fotosession für das | |
| Fetisch-Erotikmagazin Leg Show mit der Kamera dabei war. Auch hier nämlich | |
| ist sein Interesse eher anthropologisch. Und so ist die Redakteurin des | |
| Magazins, Dian Hanson, dann auch die einzige Person in dem Film, die mehr | |
| als ein paar Sätze sprechen darf: Sie analysiert, warum die Füße von Frauen | |
| für einige Männer so begehrenswert sind und dass diese Männer meist in | |
| Gesellschaften mit einer unterdrückten Sexualität leben – wie in den USA | |
| oder Deutschland. | |
| Tatsächlich war Struck ebenso an Männer- wie an Frauenbeinen interessiert. | |
| Daran, wie und in welchen Schuhen sie sich bewegen. Und ob es eine Gangart | |
| gibt, die typisch für New York ist. | |
| Dafür hat er in der Wall Street und in Harlem gedreht, unten im Village und | |
| in Uptown Manhattan: Obdachlose auf dem Times Square, Menschen mit | |
| Beinprothesen und Angestellte auf dem Weg zu ihren Büros; Füße in | |
| Luxusschuhen, ausgetretenen Latschen oder Gummistiefeln in einer | |
| Markthalle. Füße die rennen, tanzen, im „Texas Walk“ stolzieren und | |
| spazieren. | |
| „Cops haben Plattfüße“, sagt ein uniformierter Polizist, „weil sie so v… | |
| herumstehen.“ Und ein Anzugträger auf dem Weg zur Arbeit meint, die New | |
| Yorker hätten „die besten Waden“: Sie liefen in der Hektik der Metropole | |
| immer so schnell. | |
| Dann und wann hat Struck die Kamera vom Stativ losgebunden und die Menschen | |
| auf Augenhöhe befragt, danach etwa, was sie [3][zum Laufen bringt]. „Meinen | |
| Boss glücklich machen!“, sagt eine junge Frau. „Viel Geld verdienen, damit | |
| ich kein Geld mehr verdienen muss“, lautet eine andere Antwort, die ein New | |
| Yorker Lebensgefühl pointiert auf den Punkt bringt. | |
| Einmal hat Struck übrigens auch ein wenig geschummelt: Wenn ein paar | |
| festlich gekleidete New Yorker Beine abends ins Theater gehen, wird direkt | |
| auf Füße in Spitzenschuhen und tanzende Ballerinas geschnitten. Aber diese | |
| Bilder stammen aus der Hamburgischen Staatsoper, aus einer Aufführung von | |
| John Neumeiers „A Midsummer Night’s Dream“. | |
| Hunderte von Beinen, die von links nach rechts oder von rechts nach links | |
| gehen. Wie macht man daraus einen Film? Eine Antwort fand Struck, indem er | |
| den New Yorker Jazzmusiker Don Byron beauftragte, kurze Kompositionen, | |
| sogenannte Click-Tracks, einzuspielen, zu denen Struck den Film dann | |
| schneiden konnte. Bei einem späteren Nachdreh filmte er den Musiker noch | |
| bei Studioaufnahmen mit seiner Band sowie beim Klarinettenspiel auf der | |
| Straße, sodass die Musik auch sichtbar wird. | |
| Mit Byron hat er einen kongenialen Partner gefunden, dessen Musikalität und | |
| Rhythmus den Schnitt des Films zum Swingen bringt. Auf dieser Ebene ist | |
| dies ein sehr sinnlicher Film geworden. | |
| Aber warum kommt „Walk Don’t Walk“ nun, nach 25 Jahren, wieder in die | |
| Kinos? Zum einen wurde er vom deutschen Förderprogramm Filmerbe als | |
| „filmhistorisch wertvoll“ ausgewählt und restauriert; die Aufnahmen der | |
| damals technisch noch nicht sehr ausgereiften Mini-DV-Kamera und der Ton | |
| wurden so bearbeitet, dass der Film jetzt so gut wie nie zuvor aussieht – | |
| und klingt. | |
| Aber wichtiger ist, dass er eine visuelle Zeitreise bietet in ein New York | |
| City, in dem spätestens heute ein ganz anderes Lebensgefühl herrscht. So | |
| sieht man gleich in der zweiten Einstellung das [4][2001 zerstörte World | |
| Trade Center] – damals noch ohne tiefere Bedeutung, einfach als Wahrzeichen | |
| der Stadt in den Film montiert. Heute wirkt dieses Bild dann wie ein | |
| Menetekel. | |
| 1 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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