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# taz.de -- Schulversuch auf Abruf?: Mehr Klassenleitung, mehr Freiheit, wenige…
> Eine Grundschule im sächsischen Meißen rückt vom klassischen Unterricht
> ab – und macht damit gute Erfahrungen. Das Konzept steht trotzdem auf der
> Kippe.
Bild: Questenberg-Schülerin am Tisch: keine klassischen Fachstunden mehr
Meißen taz | Für die Viertklässler der [1][Questenberg-Grundschule Meißen]
beginnt der Schultag an diesem Morgen mit einem musikalischen Input. Der
stellvertretende Schulleiter Peter Bannier nutzt Vivaldis „Die vier
Jahreszeiten“ als Aufhänger für seinen fächerübergreifenden Unterricht. D…
Kinder summen die Frühlingsmelodie nach, dann ordnen sie den Klängen Bilder
zu: Vögel, Gewitter, einen rauschenden Bach. Darauf aufbauend folgt ein
Lesespaziergang auf dem Tablet, hier müssen die Schüler in einen Lückentext
passende Wörter einfügen. Geschickt eingefügt werden auch
Mathematikaufgaben, die zu einem Lösungswort führen.
Die Auflösung der klassischen Schulstunden nach Fächern ist eine
Besonderheit des Meißener Schulversuchs. Die Folge: Die Klasse verbringt
den ganzen Vormittag mit ihrem Klassenleiter. Mit diesem Kernunterricht
sollen die Basiskompetenzen Lesen, Rechnen und Schreiben gestärkt werden –
ein Ziel, dem sich die Bildungsminister aller Bundesländer mittlerweile
verschrieben haben, wenn auch nicht fächerübergreifend. Besonders an der
Questenberg-Grundschule ist auch, dass sie von den klassischen Noten
abrückt. In den Fächern Musik, Kunst, Sport und Ethik werden die Leistungen
der Kinder nicht mehr bewertet.
Nach der Mittagspause dann können die Schüler verschiedene Kurse je nach
individuellen Neigungen belegen. Dazu gehören herkömmlicher Hort, Ganztags-
und Unterrichtsangebote. Die Schüler erwähnen eine Holzwerkstatt, Harry
Potter, Percussion, Aquarellmalerei, Sport und Tanz, Töpfern oder
Handarbeit. Manche sind mit zwei Kursen ausgelastet, bei maximal vier kann
man sich anmelden.
Vorläufer des Schulversuchs war 2019 die Teilnahme an der Initiative des
Bundes „Schule macht stark“, berichtet Schulleiterin Antje Buschmann. Das
überrascht, denn die Schule oberhalb der berühmten Meißener
Porzellanmanufaktur liegt auf den ersten Blick an einem von Eigenheimen
geprägten Hang. Der sanierte Altbau ist durch einen modernen, bestens
ausgestatteten Anbau ergänzt worden.
## Förderbedarf ist hoch
Das Bundesprogramm richtete sich an Schulen mit einem hohen Anteil an
Kindern mit Förderbedarfen. Auch die Meißener Grundschule hat diese
Schüler, sagt Schulleiterin Buschmann. So stamme etwa ein Viertel der 250
Schüler aus Migrantenfamilien, die unten im Triebischtal leben. Deren
Integration gelinge laut der Schulleiterin gut und besser als im
Durchschnitt. Das Schulkonzept setze auf Individualisierung und
Differenzierung, so dass alle Kinder auf ihrem jeweiligen Niveau gefördert
und gefordert werden. „Wir brauchen eine gute soziale Mischung“, sagt
Buschmann.
Sie und ihre Kollege Bannier hätten sich damals „im Zimmer eingeschlossen“
und über konzeptionellen Verbesserungen gebrütet, berichtet die
Schulleiterin. Dann kam auch noch Corona mit den umstrittenen teilweisen
Schulschließungen hinzu. Die Krise stimulierte die Überprüfung, ob
eingeschliffene Dinge so weiterlaufen dürfen. Mehr Stringenz und Rhythmus,
Medieneinsatz, greif- und begreifbarere Unterrichtsgestaltung und vor allem
eine intensivere persönliche Beziehung zwischen Schülern und Pädagogen
strebten die beiden an. Das gilt insbesondere für den Draht zum
Klassenlehrer oder zur Klassenlehrerin, der durch den Kernunterricht am
Vormittag nun besonders gepflegt wird.
Bei Antje Buschmann fallen dazu Stichworte wie Bindung, Beziehung,
Kontinuität. „Wenn es Schülern mit ihrem wichtigsten Lehrer gut geht,
lernen sie auch besser.“ Diese Schülerinnen und Schüler wirken keinesfalls
gedrillt, wenn sie erklären, es sei schön, „viel zusammen zu machen“.
Überhaupt sagt ihnen das Prinzip des Kernunterrichts zu, „weil man nicht so
durcheinanderkommt mit den Fächern“ und nicht wissen müsse, was gerade dran
ist. Lehrkräften verlangt das freilich mehr Universalität ab, worauf sie
sich aber nach anfänglichen Umstellungsproblemen einstellen konnten.
## Keine Reformpädagogik
Der pädagogische Ansatz ist indes nicht von der Reformpädagogik inspiriert.
Aber der Klassenraum sieht so locker aus wie bei Freiarbeit. Die Tische
dürfen jeden Tag umgesetzt werden, Gruppen werden ausgelost. Aber wie bei
der Lehrerbindung bevorzugen die Schüler selbst die Nähe von Freunden und
Favoriten, Stabilität also. Abschreiben und spicken ist sinnlos, weil man
ohnehin einander helfen soll. „Ich habe keine Angst, der Banknachbar kann
gut, was ich nicht kann und umgekehrt“, spricht eine Zehnjährige weise.
Eigentlich ein heikles Thema. Es gibt zwar keine Hausaufgaben, aber in den
integrierten Kernfächern am Vormittag sehr wohl Zensuren, so schwierig sie
auch zu trennen sind in einem fächerübergreifenden Unterricht. Denn die
Kompatibilität zum sächsischen Bildungssystem muss gewährleistet bleiben.
Das verlangt nun einmal die frühzeitige Auslese, die nach der vierten
Klasse erfolgt. In Sachsen kommen die Schüler danach entweder an die
Oberschule, die Haupt- und Realschule vereint, oder auf das Gymnasium.
Einige Schüler wünschen sich übrigens doch Noten, und das sind wie erwartet
die Begabtesten. Nicht nur die erwartete Trennung von ihren Freunden stimmt
die Viertklässler traurig, sondern auch die von der Schule. Denn die könne
sich „in den nächsten Probierjahren weiterentwickeln und noch besser werden
als jetzt“.
Weniger als der Hälfte wird für das Gymnasium empfohlen, und manche wählen
trotzdem die Oberschule. Vehement wenden sich Lehrer und Schulleitung gegen
den Druck, möglichst viele Gymnasiasten und künftige Akademiker „liefern“
zu müssen. Das widerspreche nicht nur dem Schulkonzept, sondern auch dem
Bedarf unserer Gesellschaft an Handwerkern und Praktikern. Ohnehin
empfindet die Schulleiterin den „Lehrplan nicht vollständig verpflichtend“.
Es gehe weniger um komplette Inhalte als um Orientierung und Kompetenzen.
Ihr Konzept haben Antje Buschmann und Peter Bannier beim sächsischen
Kultusministerium durchsetzen können. Ende 2022 konnten sie mithilfe zweier
Ministeriumsmitarbeiterinnen ein professionelles Konzept fertigstellen.
Vier Jahre darf sich die „Probierschule“ nun bewähren.
Das Interesse an dem Schulversuch ist heute schon spürbar, die Rückmeldung
von Eltern und Schülern positiv. Die Vermeidung von Raumwechseln bringt
einen Zeitgewinn und vermeidet Stress. Die Vermittlung der oft beklagten
basalen Kompetenzen wird im Kernunterricht gestärkt. In Zahlen ist das noch
nicht belegbar, die Entwicklung wird aber vom Leibniz-Institut für
Bildungsforschung der Uni Frankfurt begleitet und evaluiert. Die
Zufriedenheit der Lehrer über Erfolge ihrer Schützlinge sei schon ein
Indikator, erzählt Buschmann.
## Wie lange noch?
Nicht mehr so sicher ist man sich auf dem Questenberg allerdings über das
Wohlwollen des sächsischen Kultusministeriums nach der Bildung der
CDU-SPD-Minderheitsregierung im Dezember. Im Vorjahr hatte ein
Ministeriumssprecher über die Grundschule noch von „Pionierarbeit“
gesprochen und auf die Strategie [2][„Bildungsland Sachsen 2030“]
verwiesen. Dort wird explizit die Möglichkeit genannt, alternative
Bewertungssysteme unter Beibehaltung der Grundschulnoten in den Kernfächern
Deutsch, Mathematik und Sachunterricht zu erproben – die neue
Landesregierung hat bereits zugesagt, diese Bildungsempfehlungen
umzusetzen.
An der Questenberg-Grundschule weiß man noch nicht, woran man mit dem neuen
[3][Kultusminister Conrad Clemens] (CDU) ist. Eindeutige Signale fehlten.
Das beunruhigt Schulleiterin Buschmann: „Es wäre der Worst Case, wenn in
zwei Jahren gesagt würde, machen Sie mal bitte alles so wie früher“.
26 Mar 2025
## LINKS
[1] https://questenbergschule.edu-meissen.de/
[2] https://www.bildungsland2030.sachsen.de/
[3] /CDU-im-saechsischen-Wahlkampf/!6029161
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Bildungspolitik
Grundschule
Meißen
Sachsen
GNS
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Kolumne Exit Waldorf
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