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# taz.de -- Theaterstück über weibliche Wut: Das Tabu zerboxen
> In Pina Kührs und Pan Selles Theaterstück „Female* Fight Club“ im
> Neuköllner Heimathafen wird gekämpft, enttabuisiert, erklärt und geheilt.
Bild: Auf der Bühne spricht nicht nur die Wut, sondern auch die Fürsorge
„Billy wollte beim Frühstück nicht am Tisch sitzen“, [1][boxt sie in die
Luft]. Mit jedem Schlag ein Satz. „Und auch nicht auf dem Boden.“
Trainer:in Alex ermutigt sie weiterzumachen. „Dann endlich konnte ich auf
die Toilette gehen.“ „Und weiter?“ „Ich wollte nicht mehr raus.“ Konni
bricht auf der Bühne zusammen.
Im Theaterstück „Female* Fight Club“ lässt Coach Alex im therapeutischen
Boxen zwei Frauen aufeinandertreffen und ihre Wut herausboxen. Konnis Wut
über ihre Überforderung als Mutter ist laut und heftig, sie beschwert sich
über Freund, Kind und Kitapersonal, alle wollen immer etwas. Dagegen hat
sich die harmoniebedürftige Leo scheinbar immer unter Kontrolle, aber sie
verschweigt etwas. Erst im Verlauf des Stücks wird klar, dass sie kurz nach
der Geburt ihren Sohn verloren hat.
Utopisches Therapiesetting
Mutig ist das neue Stück von Pina Kühr und Pan Selle nicht nur darin,
„regretting motherhood“ und Kindsverlust als vermeintliche Tabuthemen mit
Ernst, Witz und in bunten Farben auf der Bühne des [2][Heimathafen
Neukölln] zu zeigen. Mutig ist vor allem, die zwei „Extreme“ gleichzeitig
zu verhandeln. Das gewissermaßen utopische Therapiesetting ist dafür eine
kluge Wahl. Ihre Emotionen bringen die Schauspieler:innen boxend,
tanzend, kriechend, stürzend zum Ausdruck.
Mustertherapeut:in Alex weiß trotz eigener Leiden, wann welche
Methoden effektiv sind. Zum Beispiel Konni zeitweise Kon zu nennen und so
von ihrer Identität als Mutter und Frau zu distanzieren. Manchmal aber
kippt Alex’ Informiertheit über: jede Handlung wird schneller
durchanalysiert („Du hast dich von deinem Freund nicht gesehen gefühlt,
Kon!“), als das Publikum Zeit hat, selbst darüber nachzudenken.
Derselbe belehrende Ton dominiert die gesellschaftskritischen Reden, in die
alle drei Figuren regelmäßig verfallen. Alex erklärt geduldig, was
[3][Non-Binarität] bedeutet. Kon steht zur demokratischen Grundordnung,
aber bitte mit mehr sozialer Gerechtigkeit, handelt Gender Pay, Health,
Care und weitere Gaps ab, und thematisiert das Stereotyp der „angry black
women“ schon zu Beginn kritisch. Leo fährt Fahrrad und klagt Klimawandel,
die Vorherrschaft der Autos im Verkehr und das „Mansplaining“
besserwisserischer Männer gleichzeitig an.
Inhaltlich verdienen die Vorträge genau den Jubel, der den Saal füllt. Ihr
pädagogischer Charakter ist manchmal sinnvoll, etwa wenn Leo Tipps im
Umgang mit Personen wie ihr mitgibt. Ästhetisch übertreiben die
Regisseurinnen mit ihrem Mut zur Plakativität spätestens dann, wenn alle
drei Darsteller:innen auf einmal, mitten im Spotlight, synchron im Chor
gegen das Patriarchat anreden. Alles erklärt zu bekommen, als wäre man
zwölf, kritisiert das Stück zu Recht an alten weißen Männern: Auch dem
Publikum könnte es etwas mehr Raum für eigene Gedanken zutrauen.
Der Schmerz der anderen
Wirkungsvoller kommen die Themen Sozialisation und Befreiung weiblich
gelesener Personen in den stark gespielten, persönlichen Geschichten zum
Ausdruck. Kon kann sich langsam ihren Wut- und Gewaltausbrüchen und der
zugrundeliegenden Unsicherheit stellen, Leo ihr Schweigen brechen.
Das Stück zeigt (und erklärt explizit), dass Hierarchien von Schmerz nichts
bringen außer Verlierer:innen. Während Kons Gefühle gesellschaftlich kaum
toleriert werden, reagieren die Leute bei Leo meist mit überfordertem
Schweigen. Dass die beiden am Ende den Schmerz der anderen sehen und
akzeptieren können, zeigt eine schöne gesellschaftliche Utopie, die
hoffentlich keine bleibt.
26 Mar 2025
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## AUTOREN
Yi Ling Pan
## TAGS
Boxen
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Therapie
Feminismus
Theater
Frauen
Kolumne Diskurspogo
Proteste in Iran
Mutterschaft
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