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# taz.de -- Algerisch-französische Beziehungen: Autor drohen zehn Jahre Haft
> Der inhaftierte Schriftsteller Boualem Sansal wird zum Spielball
> politischer Spannungen. Versöhnung zwischen Paris und Algier ist nicht in
> Sicht.
Bild: Einer der Leidtragenden des Konflikts: Schriftsteller Boualem Sansal auf …
Paris taz | Frankreichs Beziehungen zur ehemaligen Kolonie Algerien waren
bereits angespannt. Jetzt droht der französische Innenminister Bruno
Retailleau mit einer „stufenweisen“ Vergeltung, wenn Algier sich in der
Aufnahme von abgeschobenen Staatsangehörigen nicht endlich entgegenkommend
zeige.
Die Altlasten des Kolonialismus erschweren die Verständigung zwischen den
beiden Staatsführungen. Neue Streitpunkte lassen alte Wunden aufbrechen.
Mehr als 60 Jahre nach dem Unabhängigkeitskrieg stehen Frankreich und
Algerien jetzt nur noch einen Schritt vor dem Abbruch der diplomatischen
Beziehungen.
Ausgangspunkt der Verstimmung war eine Erklärung von Staatspräsident
Emmanuel Macron, der sich im Juli 2024 in einem alten territorialen Streit
für die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko ausgesprochen hatte. Das
wurde von den nationalistischen Machthabern in Algier als extrem
unfreundlich oder gar feindselig betrachtet. Und es dauerte nicht lange,
bis die Regierung eine Gelegenheit fand, Frankreich diesen Affront
heimzuzahlen.
Im November wurde der bekannte [1][französisch-algerische Schriftsteller
Boualem Sansal] bei einem Besuch [2][in Algerien verhaftet]. Er hatte sich
kritisch über das Regime in Algier geäußert und ebenfalls im Streit um die
Westsahara für Marokko Stellung bezogen. Das gilt quasi als Landesverrat.
Trotz Protesten und einer Solidaritätskampagne in Frankreich bleibt der mit
schweren Gesundheitsproblemen kämpfende Sansal bis heute in Haft und ist
zum Spielball der politischen Spannungen geworden. Französische Autoren und
Verlage, die sich für Sansals Freilassung einsetzen, fürchten um sein
Leben.
## Migrationspolitik im Hintergrund des Konflikts
In diesem politisch motivierten Prozess hat die algerische
Staatsanwaltschaft am Donnerstag zehn Jahre Haft für den 80-Jährigen
gefordert, weil dieser es gewagt habe, die „Integrität des nationalen
Territorium“ in Frage zu stellen. Das Urteil im Schnellverfahren wird für
den 27. März erwartet. Präsident Macron setzte sich bei seinem
[3][Amtskollegen Tebboune] für Sansal ein, was in Algerien jedoch wieder
als Versuch französischer Einmischung empfunden wird. Zudem ließ Frankreich
den 59-jährigen algerischen Influencer Doualem (Boualem Naman) als
Sicherheitsrisiko festnehmen und in Abschiebehaft stecken.
Im Hintergrund des eskalierenden Streits steht die französische
Migrationspolitik. Am 14. März schickte Innenminister Retailleau den
algerischen Behörden eine Liste von 60 Personen, die Frankreich loswerden
möchte. Es handelt sich um algerische Staatsangehörige, die Frankreich
wegen ihrer Radikalisierung als Islamisten, nach Verurteilungen wegen
Gewalt, Diebstahl oder Drogenhandel als besonders „gefährlich“ einstuft.
Algerien hat ihre Rücknahme unter diesen Bedingungen mit Entrüstung
abgelehnt. Das Vorgehen des französischen Ministers werde in Algerien als
„Beleidigung“ und als „Diktat“ (der Ex-Kolonialmacht) interpretiert, sa…
der Politologe Hasni Abidi vom Forschungszentrum der arabischen und
mediterranen Welt (Cermam) in der französischen Tageszeitung Libération.
Offensichtlich sei doch, dass Retailleau die ganze Polemik für seine
persönlichen politischen Ziele benutze.
Für eine reguläre Rückführung aus Frankreich muss Algerien die Zustimmung
geben und jedes Mal einen „konsularischen Passierschein“ ausstellen. Das
aber kann lange dauern und wird immer wieder abgelehnt. Da Retailleau weiß,
dass in den letzten Jahren freundliche Anfragen in solchen Anliegen häufig
erfolglos blieben, hat er sein Schreiben mit einem Ultimatum garniert: Wenn
Algier seinen Wünschen nicht in „vier bis sechs Wochen“ nachkomme, werden
schärfere Vergeltungsmaßnahmen folgen.
## Debatte um Abschiebung von Straftätern
Retailleau, der sich um die Parteiführung der Konservativen (Les
Républicains) bewirbt und bei den Präsidentschaftswahlen von 2027 als
Kandidat der Rechten antreten will, steht unter Druck: In der Argumentation
der fremdenfeindlichen extremen Rechten sind die erfolglosen
Abschiebungsversuche der Beweis dafür, dass die Regierung in Paris in der
Verschärfung der Sicherheitspolitik nichts erreiche und sich von Algier
„demütigen“ lasse.
Auch von Seiten der Medien kommt Druck: Schlagzeilen machen die Probleme
bei der Rückführung von Algeriern im Kontext von Gewaltverbrechen und vor
allem einem terroristischen Attentat. Am 22. Februar tötete der 37-jährige
Brahim A. aus noch ungeklärten Gründen bei einer [4][Messerattacke in
Mulhouse] im Elsass einen aus Portugal stammenden Rentner und verletzte
sechs weitere Menschen.
Die Information, dass die französischen Behörden zuvor offenbar 14 Mal
vergeblich versucht hatten, den 2014 illegal eingereisten Algerier
abzuschieben, sorgte für Empörung. Für Premierminister Bayrou stand fest:
„Zu diesem Attentat wäre es nicht gekommen, wenn Algerien seine
Verpflichtungen (zur Rücknahme algerischer Staatsangehörigen) respektiert
hätte.“
Da sein Ultimatum nichts gebracht hat, will Retailleau zu weiteren
Druckmittel greifen: Frankreich hatte die Regeln für die Erteilung von
Einreisevisa für Algerier*innen verschärft, jetzt sollen als nächstes
womöglich die Privilegien für Diplomat*innen und ihre Familien
aufgehoben werden.
## 10 Prozent in Frankreich haben algerische Wurzeln
Danach, droht Retailleau, könnte das Abkommen von 1968, das algerischen
Bürger*innen eine erleichterte Einreise ermöglicht, außer Kraft gesetzt
werden. Damals brauchte Frankreich dringend Arbeitskräfte, für eine
„Vorzugsbehandlung“ sieht Retailleau heute keinen Grund mehr. Noch weiter
gehen möchte Justizminister Gérald Darmanin: Er schlägt vor, als nächsten
Schritt vor dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen den französischen
Botschafter aus Algier zurückzurufen.
Was immer Frankreich nun plant, kann die Beziehungen nur noch weiter
verschlechtern und das Klima des Zusammenlebens belasten: 10 Prozent der
heute 68 Millionen Einwohner*innen Frankreichs haben laut dem Magazin
Le Point algerische Wurzeln oder Familienbande. In Frankreich Studierende
aus Algerien müssen befürchten, dass sie keine Einreise- und
Aufenthaltsgenehmigung mehr erhalten. Auch die Visa für Familienbesuche von
jenseits des Mittelmeers werden zum Streitpunkt.
Um die Toleranz und Zusammenarbeit bangt der algerische Rektor der Großen
Moschee von Paris, Chems-eddine Hafiz. Bisher war der Vorsteher der 1926
gegründeten und vorwiegend von Algerien finanzierten Moschee der wichtigste
Gesprächspartner der Französischen Republik für den Dialog mit dem Islam,
jetzt sitzt er zwischen den Stühlen.
23 Mar 2025
## LINKS
[1] /Algerischer-Schriftsteller-in-Haft/!6054808
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[3] /Praesidentschaftswahl-in-Algerien/!6035277
[4] /Messerattacke-in-Mulhouse/!6071240
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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