| # taz.de -- Soziologe über Zwangsumsiedlungen: „Es gibt keine Ghettos in Dä… | |
| > Mit Zwangsumsiedlungen will die dänische Regierung Kriminalität begegnen. | |
| > Das sei wirkungslos und schädlich, sagt der Soziologe Troels Schultz | |
| > Larsen. | |
| Bild: Keine Parallelgesellschaft, trotzdem von Abriss und Umsiedlung betroffen:… | |
| taz: Herr Schultz Larsen, die dänische Regierung nutzt den Begriff | |
| „Parallelgesellschaften“, um den [1][radikalen Umbau bestimmter | |
| Stadtviertel] zu begründen. Warum kritisieren Sie das? | |
| Troels Schultz Larsen: Die Regierung, die 2018 das sogenannte | |
| Parallelgesellschaftengesetz einführte, sagte selbst, sie habe keine genaue | |
| Definition dafür – gehe aber davon aus, dass zwischen 25.000 und 125.000 | |
| Menschen in Parallelgesellschaften leben. Nach dem Motto: „Wir wissen | |
| nicht, was es ist, aber wir machen es trotzdem.“ So schafft man die | |
| Grundlage für Mythenbildung, Zufälle und politischen Opportunismus. | |
| taz: Haben Sie denn eine Definition? | |
| Schultz Larsen: Eine Parallelgesellschaft ist nicht ortsgebunden: Das ist | |
| einer der zentralen Punkte in der sehr guten deutschen Forschung zum Thema. | |
| Außerdem sind Parallelgesellschaften homogen, mit einem gemeinsamen | |
| kulturellen Verständnis. Sie entwickeln eigene gesellschaftliche | |
| Institutionen. Und, entscheidend: Sie sehen sich in Opposition zu der sie | |
| umgebenen Gesellschaft. Das beschreibt alles nicht die dänischen | |
| Wohnsiedlungen, die von Abrissen und Zwangsumsiedlungen betroffen sind. | |
| taz: Ein anderer zentraler Begriff dieser Politik ist „Ghetto-Liste“ – auf | |
| der landen schon seit 2010 Viertel, die bestimmte Kriterien der Regierung | |
| erfüllen. | |
| Schultz Larsen: Der Begriff ist aus denselben Gründen problematisch. Es | |
| gibt keine Ghettos in Dänemark. Wir sagen nicht, dass es keine Probleme | |
| gibt. Uns geht es aber darum, dass man die Dinge beim Namen nennt. Man muss | |
| ganz konkret sagen, was los ist. Zum Beispiel: Hier ist eine Wohnsiedlung | |
| mit hoher Kriminalität. Hier ist eine Wohnsiedlung mit Mangel an stabilen | |
| Jobs. Hier ist eine Gegend, wo wir Probleme mit der Integration von Kindern | |
| in die Schule haben. | |
| Einfach „Ghetto“ zu sagen, führt nur zu einer Menge unnötiger Vorurteile. | |
| Zusätzlich zur Arbeitslosigkeit müssen Betroffene sich dann noch mit dem | |
| Stigma herumschlagen. Es könnte zum Beispiel sein, dass sie einen Job nicht | |
| kriegen, weil der Arbeitgeber ihren Wohnort mit Unzuverlässigkeit | |
| assoziiert. | |
| taz: Sie sagen, dass diese Liste allein aus praktischer Hinsicht | |
| überflüssig ist. Wie meinen Sie das? | |
| Schultz Larsen: Ja, um wohnortgebundene soziale Probleme anzugehen, braucht | |
| man keine Ghetto-Liste. Es gibt bereits seit den 1980er Jahren spezifische | |
| Ansätze. Wohnungsbaugenossenschaften, Kommunen, NGOs und | |
| Freiwilligenorganisationen haben hier total viel geleistet. Und die | |
| Kommunen in Dänemark haben viel bessere Daten zu ihren Wohngebieten als | |
| diese Ghetto-Liste. Die rechnet nur: so und so viele Einwanderer, so und so | |
| hohes Einkommen und so weiter. | |
| Die Kommunen hingegen wissen genau, was ihre spezifischen Probleme sind. | |
| Deswegen ist diese Liste unnötig. Statt zu helfen, kostet sie eine Menge | |
| Verwaltungsressourcen, bringt die stärksten Bewohner dazu, wegzuziehen und | |
| führt zu einem stigmatisierenden Druck. | |
| taz: Diese Politik hat also niemandem geholfen? | |
| Schultz Larsen: Ein positiver Effekt ist vielleicht, dass man den Fokus auf | |
| etwas richtet und politisch beschließt: Das hier ist wichtig, hier wollen | |
| wir handeln. Aber das haben andere auch vorher schon getan. Nein, die | |
| Ghetto-Liste ist nicht das passende Werkzeug, um die Probleme zu lösen. Sie | |
| verstärkt sie eher. | |
| taz: In Schweden verweist die konservativ-rechte Regierung gerne auf | |
| Dänemarks härtere Rhetorik und Politik, als Vorbild für die Bekämpfung von | |
| Bandenkriminalität. Welche Zusammenhänge sehen Sie da? | |
| Schultz Larsen: In Dänemark liegt der Fokus seit 30 Jahren auf | |
| Integrationspolitik. Und es ist statistisch nachweisbar, dass diese lokalen | |
| Anstrengungen in den Kommunen funktionieren. Auch hier gilt: Man muss die | |
| Dinge beim Namen nennen. Zu sagen, hier gibt es Ghetto-Probleme, das nützt | |
| nichts. | |
| Was funktionierte, war, zu sagen, hier haben wir ein Problem mit | |
| Kriminalität. Und es ist eine bestimmte Generation Einwanderer, die diese | |
| Kriminalität verübt, das ist eine statistisch belegte Tatsache. Jetzt lösen | |
| wir das Problem. Wie kriegen wir die jungen Leute weg von den | |
| Risikofaktoren, die eine kriminelle Laufbahn begünstigen? Mit Maßnahmen, | |
| die sie besser in die Gesellschaft integrieren und mehr Sicherheit geben. | |
| Damit arbeitet man in Dänemark seit Jahrzehnten sehr systematisch. Zudem | |
| verhängt man hier, anders als bislang meist in Schweden, hohe Haftstrafen | |
| auch gegen jugendliche Schwerkriminelle. | |
| taz: Schweden hat die Dinge nicht beim Namen genannt? | |
| Schultz Larsen: In Schweden fiel es vielleicht lange schwer, zu sagen, es | |
| geht hier auch um ethnische Minderheiten. Man wollte nichts | |
| Stigmatisierendes sagen und konnte deshalb nicht darüber sprechen. In | |
| Dänemark hat es geholfen, die Probleme direkt anzusprechen. Allerdings | |
| haben wir jetzt das Problem, dass die Bedeutung von Kulturen für eine | |
| kriminelle Laufbahn überbewertet wird. Da gibt es einen Generalverdacht | |
| gegen Kulturen aus dem Nahen Osten, der nicht auf Fakten beruht. | |
| taz: Betroffene, die wegen der „Ghetto-Liste“ [2][zum Verlassen ihrer | |
| Wohnungen gezwungen wurden], setzen ihre Hoffnung auf ein Urteil des | |
| Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg, das in einigen Monaten kommen soll. | |
| Was erwarten Sie davon? | |
| Schultz Larsen: Ich bin kein Jurist, aber der Generalanwalt war sehr | |
| deutlich in seiner Auffassung, dass die Anwendung des Kriteriums Ethnie im | |
| Parallelgesellschaftengesetz sowohl diskriminierend als auch | |
| stigmatisierend ist. Falls die Richter das in ihrem Urteil bestätigen, | |
| werden die Anwälte der Bewohner wahrscheinlich verlangen, dass die | |
| laufenden Umgestaltungspläne, darunter Abrisse und Zwangsumsiedelungen, in | |
| den betroffenen Gebieten gestoppt werden, bis der Fall von dänischen | |
| Gerichten geklärt wird. | |
| taz: Glauben Sie, dass ein solches Urteil diese Politik grundsätzlich | |
| stoppen würde? | |
| Schultz Larsen: Es ist sehr schwer zu sagen, welche Folgen das langfristig | |
| politisch hätte, aber es würde sicher zu einer Reihe Änderungen führen. | |
| Sicher weiß ich nur: Wenn es das Ziel ist, eine besser integrierte Stadt zu | |
| schaffen, dann ist der jetzige Weg der falsche. Die Methode ist sehr | |
| willkürlich. Familien, die vollkommen integriert sind und friedlich ihr | |
| Leben leben, werden zum Umzug gezwungen, weil ihre Eltern einer bestimmten | |
| ethnischen Gruppe angehören. Und Menschen, die zwangsumgesiedelt werden, | |
| verlieren erstmal ihr soziales Netz. Das schafft unsichere | |
| Lebenssituationen. Wir wissen, wie wichtig stabile Verhältnisse sind, um | |
| junge Menschen von der Kriminalität fernzuhalten. Unsicherheit ist ein | |
| Risikofaktor. Und das ist doch nicht das, was wir wollen. | |
| 4 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anne Diekhoff | |
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