| # taz.de -- EU-Abgeordnete zur Digitalstruktur: „Algorithmen kann und muss ma… | |
| > Wie kann man Internet-Giganten kontrollieren? Alexandra Geese, | |
| > Digital-Expertin im EU-Parlament, kennt die Chancen des Digital Service | |
| > Act. | |
| taz: Die US-Techmilliardäre haben eine immense Macht. Ist die noch | |
| regulierbar? | |
| Alexandra Geese: Ja, wenn man sehr viel politischen Willen hat. Die EU hat | |
| mit dem [1][Digital Service Act] die gesetzliche Grundlage dafür | |
| geschaffen, gegen Hass und Desinformation in sozialen Netzwerken vorgehen | |
| zu können. Dass die sich überproportional verbreiten, liegt an den | |
| Algorithmen – und die kann man mit dieser Verordnung regulieren, weil sie | |
| ein systemisches Risiko darstellen für den öffentlichen Diskurs und für | |
| Wahlen. | |
| taz: Was müsste jetzt geschehen? | |
| Geese: Die EU-Kommission könnte eine große Ermittlung einleiten, warum sich | |
| Desinformation schneller verbreitet als Information. Diese Mechanismen | |
| könnte man durch bessere ersetzen, bei denen User wirklich das sehen, was | |
| sie sehen wollen. | |
| taz: Aber sind die Algorithmen nicht Geschäftsgeheimnis? | |
| Geese: Über technische Schnittstellen kann die EU-Kommission bei | |
| Ermittlungen auf Daten der Konzerne zugreifen, um nachzuvollziehen, wie die | |
| Algorithmen funktionieren. Forschungseinrichtungen und Universitäten können | |
| Projekte zur Prüfung der Einhaltung des Digital Service Act bei der EU | |
| beantragen. Dann müssen die Konzerne die Daten rausgeben, die angefragt | |
| werden. | |
| taz: Die Entwicklungen sind rasend schnell, kommt die Politik da hinterher? | |
| Geese: Wenn man jetzt eine Ermittlung eröffnet, könnte man in einigen | |
| Monaten erste gerichtsfeste Beweise haben und Auflagen erteilen. Das wird | |
| ein längerer Prozess, aber der erste Schritt ist wichtig. Allerdings habe | |
| ich den Eindruck, dass der Kommission gerade der politische Wille fehlt. | |
| taz: Ist die Zivilgesellschaft der bessere Akteur? Sie unterstützen die | |
| Initiative Free Our Feeds. | |
| Geese: Noch ist das ein zartes Pflänzchen, aber für mich ein großer | |
| Hoffnungsschimmer. [2][Free Our Feeds] ist ein Zusammenschluss von Menschen | |
| aus dem Bürgerrechtsbereich und der Techbranche. Ziel ist, Daten | |
| systematisch zu schützen und Nutzenden die Möglichkeit zu geben, zwischen | |
| verschiedenen Algorithmen auswählen zu können. Eine solche Technik hat | |
| [3][Bluesky]. Allerdings wird das Unternehmen bisher über Wagniskapital | |
| finanziert. Deshalb läuft eine Crowdfundingkampagne, um die Bluesky | |
| zugrunde liegende Technologie in eine Stiftung zu überführen. Dann gäbe es | |
| die Basis für den Aufbau von sozialen Netzwerken und Anwendungen, die nicht | |
| von Milliardären abhängen und auch nicht aufgekauft werden können. | |
| taz: Warum gibt es bisher keine unabhängige Digitalstruktur in Europa, die | |
| demokratisch und menschenfreundlich ist und von der EU oder der | |
| Zivilgesellschaft aufgebaut wurde? | |
| Geese: Man muss unterscheiden zwischen sozialen Netzwerken und anderer | |
| digitaler Infrastruktur. Start-ups von sozialen Netzwerken werden von | |
| US-Konzernen entweder hart bekämpft oder aufgekauft, das europäische | |
| Wettbewerbsrecht schützt sie nicht ausreichend. Bis zur Übernahme von | |
| Twitter durch Elon Musk fehlte hier auch das Problembewusstsein. Das hat | |
| sich geändert. Deshalb sehe ich jetzt eine große Chance für neue soziale | |
| Medien. Der Erfolg von Bluesky ist ein Beweis dafür. | |
| Bei anderen digitalen Produkten wie Cloud oder KI mangelt es nicht an | |
| Qualität, sie sind auch nicht zu teuer. Sie haben aber aktuell kaum | |
| Chancen, weil US-Produkte immer in Bündeln kommen. Wenn eine öffentliche | |
| Verwaltung oder ein Privatunternehmen mit Microsoft arbeitet, gibt es neue | |
| KI-Anwendungen oder Clouddienstleistungen aus einer Hand dazu. Wenn man | |
| sich für eine europäische Lösung und sichere Daten entscheiden will, dann | |
| hat man es in der Regel mit mehreren Unternehmen zu tun, das macht es | |
| komplizierter. | |
| taz: Was könnte hierbei helfen? | |
| Geese: Wir sollten die Richtlinie für die öffentliche Beschaffung so | |
| novellieren, dass es eine Präferenz gibt für Anbieter, die garantieren, | |
| dass die Daten nicht ins Ausland abfließen. Das können US-Unternehmen | |
| nicht, weil sie dem US-Recht unterstehen – und das erlaubt der US-Regierung | |
| den Zugriff auf die Daten, auch wenn sie in einem Rechenzentrum auf | |
| EU-Boden liegen. | |
| taz: Kann Europa den immensen Vorsprung der US-Firmen aufholen? | |
| Geese: Das ist wie beim Klimawandel, nur einfacher: Europa kann das. Es | |
| braucht jedoch den politischen Willen und das Bewusstsein von Bevölkerung | |
| und Wirtschaft. Es ist unklug, deutsche Industriegeheimnisse in einer | |
| US-Cloud zu parken, auf die eine unberechenbare Regierung Zugriff hat. | |
| Indien hat gezeigt, dass sich in wenigen Jahren ein eigenes Zahlungssystem | |
| aufbauen lässt und die großen Kreditkartenplayer kaum noch eine Rolle | |
| spielen. Auch Brasilien oder Taiwan sind gute Beispiele. Nötig ist, dass | |
| sich die verschiedenen Akteure an einen Tisch setzen, gemeinsam das Ziel | |
| definieren und dafür Maßnahmen und Investitionen festlegen. | |
| taz: Sind Sie optimistisch, dass Europa das hinkriegt? | |
| Geese: Ja. Wir haben die Talente und gute Unternehmen. Was mich aber | |
| pessimistisch stimmt, sind die zunehmend rechtsextremen Regierungen. In | |
| Italien laufen Verhandlungen mit Starlink über die Einführung eines | |
| Kommunikationssystems für italienische Behörden und das Militär – und | |
| Starlink gehört Elon Musk. So jemandem das nationale Sicherheitsnetz zu | |
| überlassen, ist reiner Wahnsinn. Die neue Bundesregierung muss eine | |
| wichtige Rolle spielen, um echte digitale Souveränität in der EU | |
| voranzubringen. | |
| taz: Was raten Sie den Nutzenden von Facebook, Instagram und so weiter? | |
| Geese: Als Einzelperson kann man wenig tun, außer möglichst wenig Zeit dort | |
| zu verbringen und zu besseren Netzwerken wie Mastodon oder Bluesky zu | |
| wechseln. Wichtiger ist, von allen Ebenen der Politik eine vernünftige | |
| Regulierung zu fordern. Das Gesetz haben wir – jetzt muss es mutig | |
| umgesetzt werden. Dafür muss jetzt politischer Druck entstehen. | |
| 16 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Digital-Services-Act/!t6045977 | |
| [2] https://freeourfeeds.com/ | |
| [3] https://bsky.app/ | |
| ## AUTOREN | |
| Annette Jensen | |
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