| # taz.de -- Nischen-Foto-Technik als Medienkritik: Keine halbe Sache | |
| > Das Halbbildformat blieb eine Episode in der Geschichte der Fotografie. | |
| > Gegenwärtig erlebt es ein medienkritisches Comeback. | |
| Bild: Die englische Bezeichnung „Half Frame“ beim Wort genommen: Maria Toum… | |
| Wenn wir [1][heute mit der preiswerten Digitalkamera Bilder machen] oder | |
| [2][den Handyspeicher mit Selfies füllen], kostet das nicht mehr sehr viel. | |
| Wir vergessen dann schnell, dass die Fotografie ursprünglich eine sündhaft | |
| teure Angelegenheit war. Manche:r hat vielleicht noch den historischen | |
| Fotografen, seltener [3][die weibliche Fotopionierin], vor Augen, der | |
| hinter einer riesigen, hölzernen Kamera agierte. Die verschwanden unter | |
| einem Tuch, um das auf dem Kopf stehende Motiv auf die „Platte“ zu bannen. | |
| Dieses Negativ-Verfahren stellte um 1850 bereits eine epochale Neuerung | |
| dar. Anfangs, um 1830, konnten in der Regel nur einzelne Positiv-Unikate | |
| fotografisch erstellt werden, etwa als Daguerreotypien. | |
| Typische Negative waren Glasplatten, mit einer lichtempfindlichen Emulsion | |
| beschichtet, die geringste Größe waren 5 mal 7 Zentimeter, die meisten | |
| nahmen deutlich mehr Fläche ein. Schwer, sperrig, zerbrechlich, schwierig | |
| zu bedienen und obendrein sehr kostspielig: Das charakterisierte lange viel | |
| mehr die Fotografie als die Frage, ob sie denn pure Abbilder liefere oder | |
| doch ein Medium sei, das künstlerischen Spielraum ermöglicht. | |
| Eine echte Revolution in der Fotografie war die Erfindung des Films aus | |
| Zelluloid in den späten 1880er-Jahren: Alles wurde etwas erschwinglicher, | |
| die Kamera handlicher. Der nächste Schritt: der Kleinbildfilm in 35 mm | |
| Breite, mit beidseitiger Perforation für den Filmtransport – [4][entwickelt | |
| für den Stummfilm], wo er Standard wurde. In den 1920ern gab es Versuche, | |
| ihn auch für die Fotokamera zu verwenden. | |
| Das Stummfilmformat von 18 wurde auf 36 mal 24 Millimeter verdoppelt. Und | |
| während er in der Filmkamera senkrecht das Objektiv passiert, wurde der | |
| Zelluloidfilm für die Fotografie „quer gelegt“, er läuft also horizontal | |
| durch den Apparat. Das heißt: Wird ein liegendes Format belichtet, wird der | |
| Fotoapparat waagerecht gehalten, für ein Hochformat musste er um 90 Grad | |
| gedreht werden. | |
| Aber das Filmmaterial für 36 Bilder einer üblichen Patrone war immer noch | |
| nicht ganz billig. Um Kosten zu optimieren, kam in den 1960ern die Idee des | |
| Halbbildes und der Halbformatkamera auf. Sie bedeutete den Rückgriff auf | |
| die Bildgröße des Stummfilms, also 18 mal 24 Millimeter. Dadurch | |
| verdoppelte sich die Bildanzahl einer Patrone auf 72 Aufnahmen. Mit | |
| speziellem Schwarz-Weiß-Dünnfilm waren sogar 114 möglich. | |
| Aber was hieß das nun für die Fotografie? Zuerst einmal: Es wurde | |
| zurückgedreht! Für das liegende Bildformat musste die Kamera nun senkrecht, | |
| für das stehende Bild waagerecht gehalten werden. Ungewöhnlich also. So | |
| ungewöhnlich, dass sich diese Technik, obwohl selbst renommierte | |
| Kamerahersteller entsprechende Modelle auf den Markt brachten, nicht | |
| durchzusetzen vermochte. | |
| ## Prä-fotografisches Camera-obscura-Verfahren | |
| Für Kunstschaffende scheint diese Nischentechnik als [5][Medienkritik] | |
| jetzt reizvoll. Denn das Halbformat markierte einen Kipppunkt: Auf höhere | |
| Bildausbeute getrimmt, könnte es zum beliebigen, da preiswerten, „Knipsen“ | |
| animiert – und den Weg für unsere aktuelle, massenhafte Bildproduktion frei | |
| gemacht haben. Die zyprische Künstlerin Maria Toumazou, die [6][in Lübeck | |
| eine Doppelausstellung bestreitet], greift für ihre Bilder auf diese | |
| Fototechnik – und das prä-fotografische Camera-obscura-Verfahren – zurück. | |
| Sie bezieht sich dabei allerdings auf die englische Bezeichnung „Half | |
| Frame“. Der „Rahmen“, den dieses Format festlegt, interessiert sie für d… | |
| bewusste Komposition ihrer Fotografie als Abfolge von Halbbildern. Die | |
| Oberlichter des Overbeck-Pavillons, eine neusachliche Architektur aus den | |
| 1930ern, korrespondieren jedenfalls perfekt damit. | |
| 5 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /zeitgenoessische-Fotografie/!t5443741 | |
| [2] https://soundcloud.com/diegoldenenzitronen/menschen-machen-fotos | |
| [3] /!5478805/ | |
| [4] /Filmgeschichte/!t5038211 | |
| [5] /Kritik-an-der-taz/!6045294 | |
| [6] https://overbeck-gesellschaft.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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