| # taz.de -- Rituale für Mädchen: Im Kreis der Eingeweihten | |
| > Kind, Teenie, Frau: Gibt es noch Rituale auf dem Weg zum Erwachsensein? | |
| > Über die Drachinzeit, die Jugendweihe und die Erstkommunion. | |
| Bild: Challa zur Bat Mitzvah: Eine Feier des Erwachsenwerdens | |
| ## „Eine Erfahrung, die ich schütze“ | |
| Bei uns in der Gegend, ich komme aus Jena, da gibt es eigentlich immer nur | |
| Konfirmation oder Jugendweihe. Hinter der Jugendweihe standen meine Eltern | |
| nicht, und das hat ja wirklich etwas Absurdes. Diese große Feier, alle | |
| stehen auf der Bühne und bekommen eine Urkunde: So, willkommen, du bist | |
| jetzt erwachsen. Den Konfirmationsunterricht habe ich abgebrochen, das | |
| fühlte sich gar nicht richtig an. Und dann kam meine Mama mit der | |
| Drachinzeit. | |
| An der Stelle muss ich fast immer erklären, was das ist. Die Drachinzeit | |
| ist ein naturverbundenes Übergangsritual für Mädchen – für Jungs gibt es | |
| das Pendant der Phönixzeit. Begleitet von Frauen treffen sich Mädchen im | |
| Alter von 13 bis 15 Jahren regelmäßig über ein halbes Jahr. Das ist eine | |
| Zeit, in der ja eigentlich die ganze Welt nur aus Fragezeichen besteht und | |
| man sich superunsicher fühlt. Am Ende steht ein Ritual, bei dem man eine | |
| Nacht und einen Tag alleine im Wald verbringt. | |
| Das klingt krass, ist aber keine Mutprobe oder so. Eher eine Markierung, | |
| ein symbolischer Punkt im Übergang vom Kind zum Jugendlichen. Da bereitet | |
| man sich Stück für Stück darauf vor. Jedes Mädchen bringt auch eine | |
| Mentorin mit, eine Frau aus dem Umfeld, aber nicht die Mutter – bei mir war | |
| es die Tante, bei anderen die Oma oder die große Schwester. | |
| Klar gibt es so Reaktionen: Was ist das für ein Hippiekram? Umarmt ihr da | |
| einen Baum und sagt Ommm? Selbst mein Papa konnte das nicht richtig ernst | |
| nehmen. Deshalb passe ich auf, wie viel ich davon teile, weil für mich ist | |
| das eine ganz wertvolle Erfahrung, die ich auch ein bisschen schütze. Meine | |
| intensivste Erinnerung ist die an ein Wochenende an der Ostsee, wir waren | |
| das erste Mal mehrere Nächte zusammen, haben wie immer draußen geschlafen. | |
| Das waren für mich ganz wichtige Gespräche. Ich habe so vieles von mir | |
| geteilt, was ich vorher mit noch niemandem geteilt habe. Es hat sich | |
| einfach und sicher angefühlt, weil du keine blöden Blicke bekommen hast, | |
| überhaupt keine blöden Kommentare. Nur Verständnis und das Gefühl, dass du | |
| genau so sein darfst, wie du bist. Das war für mich ein Moment, wow! Das | |
| hatte ich so noch nie. | |
| In den Gesprächen ging es viel um den weiblichen Körper, um Menstruation, | |
| um Sex. Ich war 15 und mir war gar nicht bewusst, wie viele Fragen und | |
| Unsicherheiten ich noch hatte. Jeder dieser Momente hat mich so bestärkt. | |
| Ich will mir überhaupt nicht vorstellen, wie ich mich weiterentwickelt | |
| hätte, wäre nicht die Drachinzeit gewesen. Das hat mich super geprägt, | |
| gerade auch im Kontakt mit anderen Frauen und Mädchen. In vielen sozialen | |
| Kontexten war ich dann später die, die ähnliche Gespräche angefangen und | |
| anderen ein bisschen Sicherheit gegeben hat. | |
| Inzwischen war ich schon mehrfach Jungmentorin bei einem Projekt namens | |
| Wildkatzen, das ist auch ein Übergangsritual, aber da spielen die Natur und | |
| queere Themen noch eine größere Rolle als bei der Drachinzeit. | |
| Das ist für mich auch sehr wichtig, denn dieser Kreis, diese Offenheit, das | |
| hat mir gefehlt nach der Drachinzeit. Wenn ich dann mit den Teens und den | |
| Frauen am Feuer sitze, das ist so ein Moment, in dem sich der Kreis wieder | |
| schließt: Ich habe inzwischen viel mehr erlebt, und jetzt sitzen die Teens | |
| vor mir und finden das alles superspannend. | |
| Elena, 21, inzwischen in Würzburg, (Protokoll: Manuela Heim) | |
| ## „Ein Akt des bewussten Handelns“ | |
| Die Erstkommunion ist mehr als ein feierliches Ritual. So war das auch für | |
| mich. Initiationsriten markieren Übergänge und spielen in [1][religiösen | |
| Traditionen eine zentrale Rolle]. Und in der katholischen Kirche ist die | |
| Kommunion der erste Schritt zur Mitgestaltung des kirchlichen Lebens. | |
| Es ist ein bedeutender Moment. Kinder, üblicherweise zwischen acht und neun | |
| Jahren, empfangen erstmals die Eucharistie und werden in die | |
| Glaubensgemeinschaft aufgenommen. Auch hier zeigen sich | |
| geschlechtsspezifische Ungleichheiten: Jungen tragen meist dunkle Anzüge | |
| oder schlichte Festkleidung, von Mädchen wird in vielen Gemeinden erwartet, | |
| dass sie weiße Kleider anziehen. Diese ähneln Hochzeitskleidern. Die | |
| Tradition verstärkt stereotypische Rollenbilder und verknüpft Weiblichkeit | |
| mit Reinheit und Unschuld, wodurch bereits in jungen Jahren Erwartungen an | |
| die Geschlechter manifestiert werden. | |
| Bei meiner Erstkommunion entschied ich mich gemeinsam mit Freund*innen | |
| gegen dieses traditionelle Bild: Ich trug ein buntes Sommerkleid und | |
| während der Messe eine Messdienerkutte. Diese kleine Geste war für mich ein | |
| Akt des bewussten Handelns. Zum ersten Mal wurde mir – mithilfe meiner | |
| Mutter – klar, [2][wie wichtig es mir ist, Dinge nicht einfach hinzunehmen, | |
| sondern sie mitzugestalten]. | |
| Indem wir Mädchen ermutigen, an der Liturgie, also den religiösen | |
| [3][Zeremonien und Riten im Gottesdienst], teilzunehmen, stärken wir ihr | |
| Selbstbewusstsein und fördern eine Kultur des Respekts. Gerade in einer | |
| Zeit, in der Geschlechtergerechtigkeit gefordert wird, ist es entscheidend, | |
| auch in der Kirche die Weichen für eine gleichberechtigte Zukunft zu | |
| stellen. | |
| Direkt nach meiner Erstkommunion wollte ich Messdienerin werden. In einer | |
| Zeit, in der sich meine Identität formte und ich meine Stärken besser | |
| kennenlernte, war es für mich bedeutend, in meiner Gemeinde Verantwortung | |
| zu tragen. Doch hierbei blieb mir immer bewusst, dass ich es durfte – trotz | |
| meines Frauseins und nicht etwa deshalb. Leider ist es auch heute nicht | |
| selbstverständlich, dass sich alle Geschlechter in gleichem Maße | |
| beteiligen. Es braucht Menschen, die nicht nur von Glauben sprechen, | |
| sondern ihn aktiv leben. Daniela Ordowski | |
| ## „Dann wird man irgendwie erwachsener“ | |
| Vor fünf Jahren, glaube ich, war ich das erste Mal bei einer Jugendweihe, | |
| bei meinem Cousin. Drei Jahre später dann bei meiner Cousine. Es war dann | |
| klar, dass ich auch bei der [4][Jugendweihe] mitmache, am 22. März ist der | |
| Termin. | |
| Fast alle aus meiner Klasse gehen da hin, außer die paar, die Konfirmation | |
| machen. Ich habe erst vor kurzem die Schule gewechselt, in der alten gab es | |
| auch so Vorbereitungssachen für die Jugendweihe. Ich hab echt vergessen, | |
| was das war, irgendwas mit Benimmregeln oder so? An meiner jetzigen Schule | |
| gibt es so was nicht. | |
| An dem Tag ist dann da erst die Feierstunde, da erzählt jemand was, über | |
| das Leben oder so. Das ist eher förmlicher. Ich werde ein schwarzes Kleid | |
| anziehen. Normalerweise trage ich keine Kleider, und die meisten Kleider | |
| finde ich auch nicht schön, die sind alle so gleich. Irgendwie aus dem | |
| gleichen Stoff und mit dem gleichen Schnitt. Aber mein Kleid ist so | |
| bodenlang und glitzert. Das ist schon was Besonderes. Das finde ich ganz | |
| cool, dass man sich da so anzieht. Meine Familie kommt, auch meine Oma und | |
| mein Opa. | |
| Da bekommt man auch Geld geschenkt. Das spielt jetzt keine große Rolle für | |
| mich, aber ich freue mich schon drüber. Das meiste wird gespart, aber ich | |
| glaube, ich will mir auch Klamotten kaufen. Und nach der Feierstunde macht | |
| meine Klasse eine Feier. | |
| Dafür sollte letztens jeder so ein paar Ideen aufschreiben, was wir da | |
| machen könnten. Ich hab Musik und Tischtennis aufgeschrieben. Dass die | |
| Jugendweihe für den Übergang vom Kind zur Jugend sein soll, ja okay. Aber | |
| das hat nicht so richtig eine Bedeutung für mich. Sich dafür feiern, dass | |
| man zur Frau wird, das finde ich auch irgendwie komisch. Eigentlich ist das | |
| ja was ganz Normales. | |
| Klar, in meinem Leben spielt das Erwachsenwerden schon eine Rolle. So mit | |
| 13, 14, 15 wird man ja theoretisch vom Kind zur Jugendlichen. Dann wird man | |
| irgendwie erwachsener. Das merke ich auch an mir, früher hat man gespielt, | |
| und jetzt spielt man nicht mehr. Manchmal finde ich das gut und manchmal | |
| nicht. Als Erwachsener hat man ja auch so viele Dinge, die man machen muss. | |
| Aber als Jugendliche … Meine Cousine ist 17, die geht abends oft raus. Das | |
| ist noch eine große Lücke zu mir. Aber ich würde schon sagen, dass ich mich | |
| darauf freue. | |
| Fritzi, 13, aus Leipzig, Protokoll: Manuela Heim | |
| 7 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Religionsunterricht/!6056908 | |
| [2] /Outing-in-der-katholischen-Kirche/!5829668 | |
| [3] /Mitgliedschaft-in-der-Evangelischen-Kirche/!5936119 | |
| [4] /Jugendweihen-fallen-aus/!5681355 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniela Ordowski | |
| Manuela Heim | |
| ## TAGS | |
| Das Leben einer Frau | |
| Mädchen | |
| Erwachsene | |
| Frau | |
| Teenager | |
| Social-Auswahl | |
| Podcast-Guide | |
| Das Leben einer Frau | |
| Rituale | |
| taz.gazete | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Podcast „End Zwanni“: Warum es schön ist, älter zu werden | |
| Jeden Dienstag unterhalten sich Gesina und Annika über Fragen wie: „Machen | |
| Beziehungen uns langweiliger?“ und „Wie menstruieren Fledermäuse?“ | |
| Soziologin über Heranwachsende: „Scham hat ein Geschlecht“ | |
| Wieso ist Teenagern so vieles peinlich? Und wann geht es eigentlich los mit | |
| dem Gefühl? Soziologin Karin Flaake über den zweifelhaften Nutzen von | |
| Scham. | |
| Jugendweihen fallen aus: Ist das der Ernst? | |
| Übergangsrituale, die Jugendliche festigen sollen, werden in Corona-Zeiten | |
| verschoben – werden sie heute zum Erwachsenwerden noch gebraucht? | |
| Toxische Männlichkeit: Zum Mann gemacht | |
| Die Beschneidung ist der erste Initiationsritus im Leben eines Jungen. Sie | |
| wird pompös gefeiert und von den Eltern sexuell aufgeladen. |