# taz.de -- Rote Linien für Rechts-Populisten: „Schüler können einen Gast … | |
> In Hamburg sagen Schulen ihre Wahl-Diskussion ab, aus Angst vor | |
> Konflikten. Damit vergeben sie Lerngelegenheiten, sagt Schulreferent | |
> Christoph Berens. | |
Bild: „Proteste nicht nutzen, um so eine Veranstaltung abzusagen“: Ida-Ehre… | |
Hamburg taz |: Herr Berens, gehört der [1][Wahlkampf] um Hamburgs | |
Bürgerschaft auch in die Schule? | |
Christoph Berens: Ja, unbedingt. Wann immer eine Schule Interesse hat, zu | |
Podiumsdiskussionen einzuladen, versuchen wir als Landesinstitut für | |
Lehrerbildung, das zu [2][unterstützen]. | |
taz: Aber zahlreiche Podiumsdiskussionen in Schulen wurden abgesagt. | |
Berens: Ich weiß von vier [3][Absagen] aus Sorge vor inneren und äußeren | |
Konflikten und Anfeindungen. | |
taz: Fanden Sie das richtig? | |
Berens: Das vermeintlich einfache Absagen ist problematisch, denn | |
Demokratie lebt von Diskussion und Widerspruch. Wenn Schulen sich | |
zurückziehen, überlassen sie das Feld jenen, die den öffentlichen Diskurs | |
mit Halbwahrheiten und gezielter Desinformation steuern wollen. | |
taz: Was sollten die Schulen tun? | |
Berens: Ich habe schon mehrfach erlebt, dass die Demokratiebildung durch so | |
eine gut vor- und nachbereitete Diskussion sehr gefördert werden kann. | |
Stärkend ist so etwas, wenn Sie im Vorfeld an der Schule über rote Linien | |
sprechen, darüber, was vom Grundgesetz gedeckt ist und was nicht. Dann | |
können die Schüler einem Podiumsgast auch klare Grenzen aufzeigen, wenn | |
dagegen verstoßen wird. Schulen können im Zweifel sogar vom Hausrecht | |
Gebrauch machen und einen Gast höflich bitten, zu gehen. Natürlich möchten | |
die Schulen zum Beispiel einem als rechtsradikal bekannten Politiker keine | |
Bühne geben. Aber wir möchten Mut machen, sich mit verschiedensten | |
Positionen auseinanderzusetzen und so jemandem Fragen zu stellen, | |
Reflektionsebenen einzubauen und raus aus der eignen Blase zu kommen. | |
taz: Wird denn an Schulen mit AfD-Politikern diskutiert? | |
Berens: Ja, ganz oft. Das ist die Regel. Häufig passiert es, dass alle in | |
der Bürgerschaft vertretenen Parteien eingeladen werden und dann gar nicht | |
alle kommen. So ein leerer Stuhl zeigt auch etwas. Häufig zeigt sich, dass | |
die Schüler besser vorbereitet sind als eine [4][Caren Miosga in ihrer | |
Polittalkshow], und viel direkter und inhaltlich fundierter fragen. | |
taz: Wie sähe so eine rote Linie denn zum Beispiel aus? | |
Berens: Ein Beispiel für eine populistische Verzerrung ist die bewusste | |
[5][Fehlinterpretation von Kriminalstatistiken] im Kontext von Migration. | |
Wenn beispielsweise behauptet wird, dass „kriminelle Ausländer“ für einen | |
dramatischen Anstieg von Gewalttaten verantwortlich seien, ist dies oft | |
nicht nur statistisch unhaltbar, sondern auch ein bewusstes Framing, um | |
bestimmte Gruppen zu stigmatisieren. Studien zeigen, dass | |
Verdachtsmeldungen gegen Menschen mit Migrationshintergrund häufiger | |
erfolgen, auch wenn sie nicht öfter straffällig werden als andere | |
Bevölkerungsgruppen. Hilfreich ist, wenn man sich im Unterricht die | |
Argumente der Parteien schon vorher anschaut und die Schüler den | |
Faktencheck schon vorher machen. Das hat einen hohen Wert an politischer | |
Bildung. | |
taz: Das klingt anspruchsvoll. | |
Berens: Wir wissen, dass man das Schülerinnen und Schülern zutrauen kann, | |
jedenfalls wenn sie in der zehnten, elften Klasse sind und selber bald | |
wählen dürfen. Man muss solche Veranstaltungen aber langfristig | |
vorbereiten. Wenn man es zu kurzfristig macht, ist die Gefahr groß, dass | |
die Diskussionen zu sehr polarisieren. Wir als Landesinstitut haben bereits | |
2020 die Broschüre „[6][Positioniert Euch! Was politische Bildung darf]“ | |
veröffentlicht und auch die Schulbehörde steht hier mit Rat und Tat zur | |
Seite. | |
taz: Stehen in diesem Heft auch die roten Linien drin? | |
Berens: Wir ermuntern die Schulen, selber diese Diskussion zu führen, wo | |
die sind. Das kann ein Thema mit unglaublichem Lerneffekt sein. Natürlich | |
ist unser Grundgesetz die Maßgabe. Aber an einer Stadtteilschule im | |
Hamburger Westen könnte diese rote Linie anders aussehen als an einem | |
Gymnasium in Harburg. | |
taz: Warum? | |
Berens: Es gibt unterschiedliche Interessengruppen, aber es gibt keine | |
Blaupause, sondern in jeder Schule kann die Diskussion darüber ganz anders | |
ablaufen. Sie kann auch dazu führen, dass die Opposition gegen die | |
Einladung einer extrem rechten Partei so stark ist, dass man umplanen | |
muss. | |
taz: Haben Sie Verständnis für Schulleitungen, die solche Diskussionen dann | |
absagen? | |
Berens: Ja. Bevor so ein Konflikt innerhalb der Schule eskaliert, ist es | |
besser, dass die Schulleitung das nicht durchboxt. Man kann auch auf die | |
Meta-Ebene gehen. Die politischen Zeiten, in denen wir leben, sind auch für | |
die Lehrkräfte neu. Was ich nicht teile, ist die Sorge vor Eskalation durch | |
außerschulische Proteste. Man sollte diese nicht kriminalisieren und | |
nutzen, um so eine Veranstaltung abzusagen. Lehrkräfte müssen in ihrer | |
Ausbildung und durch gezielte Fortbildungen dafür gerüstet werden, | |
[7][Populismus nicht nur zu entkräften], sondern ihn auch als | |
Herausforderung zu begreifen, politische Bildung noch wirksamer zu | |
gestalten. Nur so kann die Demokratie nachhaltig gestärkt werden. [8][Auch | |
Protest dagegen] gehört dazu. | |
taz: Was können Schulen nach so einer Absage tun? | |
Berens: Denkbar ist, dass man Alternativ-Formate anbietet. Neben Parteien | |
können auch Experten und Fachleute eingeladen werden, um über die Themen zu | |
reden, die die Parteien ansprechen. Dies kann eine neutralere und | |
sachlichere Diskussion ermöglichen und den Schülern helfen, die Positionen | |
der Parteien besser zu verstehen und einzuordnen. Denkbar ist auch, dass | |
Schulen sich auch eine externe Moderation einkaufen oder die Veranstaltung | |
außerhalb der Schule organisiert wird. | |
taz: Ein Tipp lautet, nicht die Schule, sondern der Elternrat sollte zur | |
Podiumsdiskussion einladen. Dann müsste man nicht alle Parteien einladen. | |
Berens: Es wäre dann keine Veranstaltung der Schule. Und wenn man zu | |
schnell diese Karte zieht, verschenkt man eine Lerngelegenheit. | |
taz: Was wäre Ihr Tipp? | |
Berens: Schulen sollten transparent kommunizieren, warum sie alle Parteien | |
einladen und Eltern, Lehrkräfte und Schüler in den Entscheidungsprozess | |
einbeziehen. Dies kann durch Informationsveranstaltungen, Elternabende und | |
schulinterne Diskussionen geschehen. Schüler müssen mitgenommen und | |
informiert werden, damit sie sich sicher fühlen, ihre Meinung zu äußern, | |
ohne das Gefühl zu haben, einem unfairen rhetorischen Spiel ausgeliefert zu | |
sein. Mit guter Vorbereitung und Fortbildungen dürfte das kein Thema sein. | |
26 Feb 2025 | |
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[1] /Innere-Sicherheit-im-Hamburger-Wahlkampf/!6069618 | |
[2] https://li-hamburg.taskcards.app/#/board/7cdee3d1-9a0d-4996-95c8-d9235e60cb… | |
[3] https://www.abendblatt.de/hamburg/eimsbuettel/article408288075/schule-hambu… | |
[4] /Talkshowgast-Alice-Weidel/!6064904 | |
[5] /ifo-Studie-zu-Kriminalitaetsfaktoren/!6068267 | |
[6] https://li.hamburg.de/resource/blob/658218/79d931806d0e88aae9a4171acb05d231… | |
[7] /Deutscher-sticht-Frau-nieder/!6067048 | |
[8] /Streit-um-Antifa-Sticker/!5583108 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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