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# taz.de -- „Die Schattenjäger“ von Jonathan Millet: Die eigenen Narben al…
> Im Drama „Die Schattenjäger“ von Jonathan Millet spürt ein
> Untergrundnetzwerk aus ehemaligen syrischen Gefangenen Schergen des
> Assad-Regimes auf.
Bild: Hamid (Adam Bessa) und Nina (Julia Franz Richter) in „Die Schattenjäge…
Jonathan Millets Film „Die Schattenjäger“ handelt von der Suche nach einem
Phantom. Von einem, der sich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit
schuldig gemacht hat. Protagonist Hamid (Adam Bessa) war einem Folterer im
berüchtigten Gefängnis Saidnaya ausgeliefert. [1][Nach dem Fall des
Assad-Regimes] waren die realen Bilder von Gräueln in Saidnaya, begangen an
Oppositionellen, die das Regime mitunter selbst dokumentierte, um die Welt
gegangen. Wie internationalen Recherchen zeigen, handelte es sich bei
[2][Saidnaya buchstäblich um ein Vernichtungslager des Regimes].
Im Debütfilm des Regisseurs Millet sucht die Hauptfigur Hamid nach
Gerechtigkeit und Vergeltung für sein im Militärgefängnis erfahrenes
Unrecht. In der ersten Szene des Films sehen die Zuschauer ihn gestrandet
in einer Wüste Syriens, wo Soldaten ihn und Mitgefangene aussetzen. Hamid
gelangt schließlich nach Frankreich, wo der einstige Literaturprofessor nun
auf einer Straßburger Baustelle arbeitet.
Hamid kennt nur ein Ziel. Sein eingefallenes Gesicht ist von der Obsession
gezeichnet. Er will unter anderen Geflüchteten Angehörige des syrischen
Regimes ausmachen, um sie – nach Möglichkeit – den europäischen Behörden…
überführen. Besonders einen Verbrecher will Hamid zur Strecke bringen –
seinen einstigen Folterer, der unter dem Tarnnamen „Der Chemiker“
operierte.
Der Politthriller „Die Schattenjäger“ zeigt von seinen ersten Minuten an
die hohe filmische Kunst bildhafter Aussparung, das Grauen, die Abgründe,
das schier Unaussprechliche, das dem Protagonisten widerfahren sein muss,
expliziert Jonathan Millets Spielfilmarbeit häufig in suspenshaltiger
Annäherung – visuell und auch sprachlich –, die das Konkrete nur erahnen
lassen.
Bei der Einwanderungsbehörde etwa verlangt ein Beamter Beweise für Hamids
Verfolgung in Syrien. Der Geflüchtete beginnt darauf, sich seines T-Shirts
zu entledigen – seine Narben, entstanden durch chemische Verbrennungen,
sehen wir Zuschauer dabei nicht. Anhand von Tonbandaufnahmen anderer
Gefangener, die Hamid im Auftrag der geheimen „Yaqaza“-Zelle abhört und
auswertet, erfahren wir aber von den schrecklichen Methoden, die auch Hamid
versehrten. Yaqaza ist ein Untergrundnetzwerk, das von ehemaligen
Gefangenen und Aktivist:innen organisiert wird, um die Schergen des
Assad-Regimes in Deutschland und Frankreich aufzuspüren.
## Der Debutfilm beruht auf einer wahre Geschichte
„Die Schattenjäger“ basiert auf wahren Geschichten syrischer Geflüchteter.
Hintergrund des Films ist auch ein Gerichtsprozess in Deutschland, bei dem
im Jahr 2020 erstmals ein Fall von syrischer Staatsfolter vor dem
Oberlandesgericht Koblenz verhandelt wurde. Ein angeklagter Oberst wurde
bei diesem Verfahren zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt – ein
richtungsweisendes Urteil im Hinblick auf die internationale Anerkennung
der Verbrechen des Assad-Regimes. Die mutige Mitwirkung Geflüchteter bei
der Strafermittlung hatte den Koblenzer Prozess überhaupt erst möglich
gemacht.
In „Die Schattenjäger“ verhilft Regisseur Millet dergestalt Mitwirkenden zu
einer künstlerisch-öffentlichen Würdigung. Sein elegantes, an
dokumentarfilmischer Sorgfalt orientiertes Drama verweigert große filmische
Gesten, auch gibt es keinen auf Schauwerte hin orientierten Racheimpulsen
nach, die im Kino allzu häufig durchdekliniert werden. Mittels
zurückhaltender Stilisierung und feiner erzählerischer Einkreisbewegungen
kommen wir Zuschauer an der Seite des traumatisierten Protagonisten Hamid
dem möglichen Serientäter des Regimes näher und näher.
Hamid und der Rest der Yaqaza-Gruppe pflegen sich im Voice-Chat eines
militaristischen Videogames über ihr weiteres Vorgehen auszutauschen.
Körperliche Gestalt nimmt dabei nur eine Co-Ermittlerin Hamids an, gespielt
von Julia Franz Richter. Ob es sich bei dem von Tawfeek Barhom gespielten
Verdächtigen tatsächlich um den berüchtigten Folterknecht von Saidnaya
handelt, ist das zentrale Rätsel des Films in Gestalt eines hochspannenden
Paranoia-Thrillers.
## Der Film hat mit dem Sturz des Assad-Regimes seine Dringlichkeit nicht
verloren
Eine systematische, gezielte Observation des Beschuldigten soll die
Wahrheit ans Licht bringen. Nicht einfach, denn alles, was Hamid gegen den
Mann als Beweis in der Hand hat, ist eine unscharfe Fotografie, welche die
Gestalt des Täters zeigen soll, und – unauslöschlich eingebrannt ins
Nervensystem Hamdis –, der Körpergeruch des Folterers, den das Opfer
während seiner Torturen nie zu Gesicht bekam, da Gefangenen stets die Augen
verbunden wurden.
Das Drama „Die Schattenjäger“, das um die Sujets Rache und Vergebung,
Gerechtigkeit und Selbstjustiz kreist, hat mit dem Fall des Assad-Regimes
im vergangenen Jahr an Dringlichkeit nichts verloren. Die aktuellen
Vorgänge ethnischer Gewalt in den Regionen Latakia, Tartus und Hama, bei
denen es zu ethnischer Gewalt und Massakern durch die neuen islamistischen
Herrscher Syriens kam, zeigen, dass die syrische Tragödie auch in naher
Zukunft unser Weltgeschehen prägen wird.
13 Mar 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Chris Schinke
## TAGS
Debütfilm
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Schwerpunkt Syrien
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