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# taz.de -- Sednaya Gefängnis in Syrien: Sednaya, Syriens schlimmste Folterst�…
> Es liegt in Sichtweite einer der berühmtesten christlichen
> Wallfahrtsstätten des Landes. Tausende Häftlinge wurden jetzt aus Sednaya
> befreit.
Bild: Menschen warten auf Nachrichten von ihren Angehörigen
Berlin taz | Syriens Militärgefängnis Nummer eins liegt idyllisch in den
Bergen. Auf der Fahrt von Damaskus Richtung Norden durch teils
kriegszerstörte Vororte zieht sich nach weniger als einer halben Stunde
Fahrt der Zaun des Gefängnisses Sednaya an der Straße entlang. An einer
Kreuzung geht es geradeaus weiter in die kleine Ortschaft, über der auf
einem Hügel das berühmte byzantinische Marienkloster aus dem 6. Jahrhundert
thront, eine christliche Pilgerstätte. Mit dem richtigen Winkel könnte man
das nahe Gefängnis vom Klosterhügel aus sehen.
Biegt man an der Kreuzung ab, erreicht man ein luxuriöses Sheraton-Hotel,
voller europäischer Drogerie- und Alkoholprodukte, mit Pool, Dachterrasse
und Tanzsaal, ein beliebter Ort für opulente Hochzeits- und
Verlobungsfeiern. Es liegt nur wenige Minuten entfernt von dem riesigen
Gefängnis, von oben sieht es aus wie ein Wurfstern, es steht wie kein
anderer Ort heute für das Ausmaß des Horrors in Assads Syrien.
„Zwischen 2011 und 2018 wurden in Sednaya geschätzt 30.000 bis 35.000
Häftlinge entweder hingerichtet oder starben an systematischer Folter,
Mangel an medizinischer Versorgung oder Verhungern. Hinrichtungen fanden
regelmäßig statt, normalerweise an zwei Tagen in der Woche“, heißt es
lakonisch [1][in einem Bericht] der [2][Association of Detainees and the
Missing in Sednaya Prison (ADMSP)], eines im Exil arbeitenden „Verbands der
Häftlinge und Verschwundenen von Sednaya“. „Ende 2012 wurden 104 Menschen
gleichzeitig hingerichtet, in einem so brutalen und gewalttätigen Akt, dass
der diensthabende Oberst, Militärrichter Jawdat Ismaili, in Ohnmacht fiel.“
[3][Rund 1,2 Millionen Menschen in Syrien haben seit März 2011, als die
Massenproteste gegen Syriens Diktatur] begannen und sofort brutal
unterdrückt wurden, in staatlichen Haftanstalten gesessen, berichtete das
„Syrian Network for Human Rights“ (SNHR) im März 2023. Über 135.000 weite…
waren laut SNHR zu diesem Zeitpunkt demnach entweder noch in Haft oder
verschwunden, 15.038 waren durch Folter getötet worden. Das waren nur die
namentlich dokumentierten Fälle. 17.723 Foltertote in Syriens staatlichen
Haftanstalten allein im Zeitraum zwischen März 2011 und Ende 2015
ermittelten die US-Menschenrechtsexperten Human Rights Data Analysis Group
und sprachen von einer „konservativen Unterschätzung“. Diese Zahlen
befinden sich [4][in einem detaillierten Bericht] der von der UNO
eingesetzten [5][Untersuchungsmission für Verbrechen gegen die
Menschlichkeit in Syrien seit 2011], der Ende vergangener Woche
veröffentlicht worden ist.
## Sednaya ist die Nummer eins unter den Gefängnissen
Sednaya, eröffnet 1987, ist die Nummer eins einer Reihe von Gefängnissen
der syrischen Militärpolizei, die dem Militärgeheimdienst untersteht.
Überlebende, befragt von den UN-Ermittlern, schildern das Gefängnis als
„außergewöhnlich schmutzig, gewalttätig und tödlich für seine Insassen, …
an unmenschlichen Haftbedingungen starben, an schweren Schlägen, Folter,
Krankheit, Verhungern und Verdursten“.
Häftlinge wurden in der Regel bei der Ankunft schwer verprügelt, dann nackt
oder in Unterwäsche in eine bereits überfüllte Zelle gesteckt, in die ab
und zu ein wenig Nahrung geworfen wurde, oft verdorben oder mit Blut
vermischt. Ein Zeuge schildert laut UN-Bericht, von den 35 Männern in
seiner vier mal sechs Meter großen Zelle seien die meisten gestorben. Ein
anderer erzählt, dass die Wachleute seiner Zelle Wasser verweigerten; nur
wenn jemand starb, gab es ein Glas Wasser für die ganze Zelle. Leichen
wurden entsorgt, um Platz zu schaffen, sonst blieben sie liegen. Sprechen,
beten oder die Wärter angucken war verboten. Die meisten Insassen starben
entweder in der Zelle oder wurden zur „Party“ gebracht, also zur
Hinrichtung durch Erhängen in Gruppen.
[6][2013 erhielt Sednaya ein eigenes Krematorium], um die vielen Toten zu
bewältigen. Im Dezember 2012 hatte die zuständige Behörde NSB (Nationales
Sicherheitsbüro) ein Regelwerk über die korrekte Entsorgung von Toten in
der Haft erlassen, begründet mit dem „Anstieg der Anzahl getöteter
Terroristen und dem langen Verbleib der Leichen“, was zu „Verwesen von
Leichen und schlechten Gerüchen“ geführt habe. Sie wurden in Massengräbern
verscharrt und vorher namentlich dokumentiert.
Ein nur als „Caesar“ bekanntgewordener Militärfotograf schmuggelte im
August 2013 53.275 Fotos von 6.821 Leichen aus dem Zeitraum bis August 2013
aus Syrien heraus, die in fünf anderen Haftanstalten in Damaskus
entstanden. Die Abgebildeten waren sämtlich entweder verhungert oder eines
gewaltsamen Todes gestorben. Die Fotos, [7][an internationale
Menschenrechtsorganisationen weitergegeben] und Ermittlern zur Verfügung
gestellt, haben als wichtige Grundlage für die Strafverfolgung flüchtiger
syrischer Folterer auch in Deutschland gedient.
## Sednaya ist Teil einer mörderischen Bürokratie
Wie alle Folterknäste in Syrien ist Sednaya Teil einer mörderischen
Bürokratie. [8][Das Assad-Regime] zählt vier Geheimdienste, kollektiv als
„Mukhabarat“ bekannt: Luftwaffengeheimdienst, Militärgeheimdienst sowie
politischer Geheimdienst und Geheimdienstdirektorat. Letztere sind dem
Justizministerium unterstellt, Erstere dem Verteidigungsministerium. Alle
Ministerien sind gegenüber der Baath-Partei weisungsgebunden. Das
Baath-Sicherheitsbüro NSB koordiniert die Geheimdienste und berichtet
direkt an Präsident Assad.
Als die friedlichen Proteste gegen Assad im März 2011 begannen, gab es
zusätzlich zunächst ein „Zentrales Krisenmanagementkomitee“ (CCMC), in dem
der NSB mit den Geheimdienstchefs und den Ministern für Inneres und
Verteidigung die Anweisungen an die Geheimdienste erstellten. Das war die
Zeit, in der die Massenverhaftungen und Folterungen ihren Höhepunkt
erreichten – später, als aus der allgemeinen Repression ein Bürgerkrieg
wurde, starben mehr Menschen durch Militäraktionen. In den letzten Jahren
haben in Syriens Foltergefängnissen bedeutend weniger Häftlinge eingesessen
als zwischen 2011 und 2015.
Als das Gefängnis Sednaya am vergangenen Sonntag von Rebellen befreit
wurde, zählte es [9][laut ADMSP] noch rund 4.300 lebende Insassen, davon
1.483 im berüchtigten „roten“ Flügel, für Terrorverdächtige reserviert.…
Verband beruft sich auf ein amtliches Verzeichnis von Ende Oktober und
[10][tritt Gerüchten entgegen], es gebe weitere „geheime“ unterirdische
Verliese. Doch wird in den Betonmauern von Sednaya weiterhin nach möglichen
Opfern gegraben.
Viele der Befreiten sind halbtot – ausgezehrt, krank, teils verrückt
geworden. Und auch immer mehr Verwesende werden noch aus Sednayas Kellern
geborgen, darunter am Montag die Leiche des Demokratieaktivisten Mazen
Hammadi, der nach der Flucht in Deutschland [11][seine Foltergeschichte
erzählte] und sich 2020 überreden ließ, in die Heimat zurückzukehren. Laut
Raed al-Saleh, Direktor der syrischen Weißhelme, steckten in den Öfen des
Krematoriums bei der Befreiung noch Leichen.
10 Dec 2024
## LINKS
[1] https://www.admsp.org/wp-content/uploads/2022/10/The-Administrative-Structu…
[2] https://www.admsp.org
[3] /Kampf-um-Syrien/!6055156
[4] https://iiim.un.org/wp-content/uploads/2024/12/IIIM_DetentionReport_Public.…
[5] https://iiim.un.org/
[6] /Krieg-in-Syrien/!5058084
[7] https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fo…
[8] /Ende-des-Assad-Regimes/!6051443
[9] https://x.com/sednayamissing/status/1866408807900876859
[10] https://x.com/sednayamissing/status/1866087807732642282
[11] https://x.com/DillyHussain88/status/1866238186248143009
## AUTOREN
Dominic Johnson
Lisa Schneider
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