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# taz.de -- Sprachwissenschaftler über German Angst: „Die Angst vor Krieg l�…
> Warum fürchten sich Deutsche vor Veränderung? Ulrich Hoinkes über
> Angstkultur, politische Manipulation und die Wahrnehmung der Klimakrise.
Bild: In ihrem Fall wurde die Angst produktiv: Jugendliche auf einer Fridays-fo…
taz: Herr Hoinkes, Deutsche gelten angeblich als [1][besonders furchtsam].
Es gibt dafür sogar einen Begriff: German Angst. Haben wir die Angst
erfunden?
Ulrich Hoinkes: Nein, wir haben die Angst nicht erfunden. Aber Ängste
unterscheiden sich auf nationaler Ebene. Das hat mit den verschiedenen
kulturellen Hintergründen zu tun. In Problemlagen gibt es unterschiedliche
Hoffnungsträger und Tabuthemen. Dabei zeigt sich durchaus eine spezifisch
deutsche Angst. Aber es gibt auch eine englische oder eine französische
Angst, wenn Sie so wollen. Nur sind sie nicht so prominent geworden, weil
die Deutschen ihre Form der Angst ein bisschen stärker in den Diskurs
gebracht haben, auf verschiedenen Ebenen.
taz: Inwiefern?
Hoinkes: Wir haben einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Angst in
der westlichen Welt geleistet. Etwa mit der Prägung des Existenzialismus
durch den Philosophen Martin Heidegger. Im europäischen Existenzialismus
sind spezifische Angstvorstellungen weitergetragen worden, und das ist eine
weltanschauliche Perspektive, an der wir großen Anteil haben. Es gibt auch
eine wirtschaftliche Schiene, in der sehr stark über Angst gesprochen wird.
So habe ich etwa das Problem, dass ich den Begriff „Anxiety Culture“, unter
dem unser Forschungsprojekt läuft, schlecht ins Deutsche übersetzen kann.
Der Begriff der „Angstkultur“ ist in Deutschland sehr früh mit einem
angstbehafteten Verständnis von Unternehmenskultur belegt worden, in dem zu
wenig Mut und Innovationsbereitschaft, stattdessen aber hierarchischer
Druck und Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes vorherrschen. Die
Deutschen haben unglaublich viel Angst vor Veränderung, und diese Angst
lähmt sie.
taz: Seit 2015 bauen Sie das Projekt „Anxiety Culture“ an der Universität
Kiel auf. Was ist eine Ihrer zentralen Erkenntnisse?
Hoinkes: Unsere Beobachtungen, gerade bei [2][jungen Menschen], zeigen,
dass viele Entwicklungen in unserer Welt als gefahrvoll wahrgenommen
werden. Allein im letzten Jahrzehnt haben sich größere Bedrohungen wie
Terrorismus, Migration, Klimakrise, Pandemie und politische Instabilität
aneinandergereiht. Zuletzt der Ukrainekrieg und die Entwicklungen in den
USA. Das Problem: Wir haben nur eine begrenzte Aufmerksamkeit und können
uns immer nur auf einen dieser Gefahrenbereiche konzentrieren. Doch die
anderen Probleme gehen so nicht weg, es bleibt das Empfinden von ungelösten
Polykrisen.
taz: Sie sagen, die heutige Angstkultur ist ein junges Phänomen. Liegt es
auch daran, dass es mehr Gründe für Ängste gibt als früher?
Hoinkes: Die Ereignisse der vergangenen Jahre haben eine andere Qualität
als früher. Die Komplexität der Welt hat zugenommen, die Probleme
erscheinen de facto kaum lösbar und wir leiden stärker an
Vertrauensverlust. Das schlägt insbesondere auf die junge Generation durch.
Aber man muss auch sagen: Die Angst war immer schon Begleiter menschlicher
Kultur und hat sie vorangebracht. Dass wir im Moment ängstlich sind,
vielleicht sogar besonders stark, ist grundsätzlich gar nicht so schlecht.
Ich wehre mich zu sagen, dass Angst im öffentlichen Raum immer ein
schlechter Ratgeber ist. Natürlich brauchen wir auch Mut und Zuversicht,
aber woraus entwickelt man sie? Es ist eine scheinbare Paradoxie. Man
entwickelt sie aus Angstszenarien und angemessenen Lösungsstrategien. Angst
und Zuversicht sind quasi Dichotomien in dieser Situation. Gerade wenn wir
die Überzeugung, es zu schaffen, aus dem Gefühl der Angst und Unsicherheit
entwickeln, können wir uns wieder stark fühlen.
taz: Sie nennen in Ihrer Forschung die Klimaangst als Beispiel dafür, wie
Ängste zu Veränderung führen können. Wie kann man sich das vorstellen?
Hoinkes: Greta Thunberg sagte: „I want you to panic“, um proaktives Handeln
zu motivieren, statt passiv auf die ökologischen Folgen der Erderwärmung zu
warten. Angst kann einen positiven, mobilisierenden Effekt haben.
taz: Die Klimabewegung und ihre Ziele sind aber momentan eher in den
Hintergrund geraten. Reicht Angst allein da nicht aus?
Hoinkes: Vor die Klimaangst schieben sich derzeit andere Ängste. Wenn wir
nicht aufpassen, ist das wie auf einem Jahrmarkt der Gefühle. Viele
Politiker sind daran interessiert, zu gegebener Zeit bestimmte Ängste
besonders zu schüren. Man kann das den Politikern nicht einmal unbedingt
vorwerfen, weil sie eben spezielle Interessen vertreten und umsetzen
wollen. Doch diese Manipulation ist für unsere gesellschaftliche
Entwicklung meist kontraproduktiv.
taz: Wie sollten Politiker stattdessen mit Ängsten in der Bevölkerung
umgehen?
Hoinkes: Es ist eine der größten Aufgaben, die Angstkultur als westliche
Zivilisationserscheinung anzuerkennen. Die Bedrohungen besonnen
wahrzunehmen, aber nicht daran zu verzweifeln. Es bedeutet, dass wir, um
aus der Ohnmacht und Hilflosigkeit herauszukommen, zum Teil radikale
Veränderungen brauchen. Diese Radikalität, die in Deutschland leider oft
negativ bewertet wird, müssen wir fördern, um in diesen schwierigen Zeiten
etwas zu verändern. Da setze ich besonders auf die jüngere Generation und
auf die Frauen, die meiner Meinung nach oft eher dazu bereit sind, aus
berechtigter Sorge heraus umzudenken.
taz: In Deutschland erleben wir nach langer Zeit der Demilitarisierung nun
ein Umdenken in der Politik. Auch die Debatte über eine Wehrpflicht wird
wieder geführt. Das versetzt viele junge Menschen in Sorge. Wie soll man
mit der Angst vor Krieg umgehen?
Hoinkes: Für mich ist die Klimaangst, unter der besonders jüngere Menschen
leiden, eine sinnvolle und reale Angst, die Angst vor einem Krieg in
Deutschland momentan dagegen nicht. Aus den Sorgen über den Klimawandel
kann eine Motivation für Veränderung entstehen. Die Angst vor Krieg – und
sie ist in unserer westlichen Welt automatisch eine Angst vor dem Atomkrieg
– lähmt uns dagegen eher, denn wir können die tatsächlich gegebene
Bedrohung kaum adäquat einschätzen. Wir müssen uns im Rahmen der „Anxiety
Culture“ fragen, ob es wirklich um eine Angst vor dem nächsten Krieg geht
oder eher um die Sorge vor den Auswirkungen einer neu zu definierenden
globalen Weltordnung, in der militärische Abschreckung leider wieder zu
einem größeren Thema wird.
Es ist wichtig, sich mit Fragen der Verteidigung zu beschäftigen. Wenn wir
die derzeitige Lage ernst nehmen – und das sollten wir tun –, heißt es noch
lange nicht, dass wir auch neue Ängste entwickeln müssen. Wir diskutieren
bereits über unsere Sicherheit, das ist ein guter und wichtiger Schritt.
Wesentliche Entscheidungen über mehr Militärausgaben oder eine Stärkung des
Heeres sollten aber in diesem Prozess aus Besonnenheit, nicht aus Panik und
mangelnder Informiertheit heraus getroffen werden.
12 Mar 2025
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## AUTOREN
Anastasia Zejneli
## TAGS
Angst
Manipulation
Populismus
Gendern
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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