# taz.de -- Gesundheitskollektive über Versorgung: „Die sozialen Faktoren vo… | |
> Zwei Kollektive aus Berlin und München wollen das Gesundheitssystem | |
> ändern. Ärztin Kirsten Schubert hat Erfahrung, Sami M. und Katia S. | |
> fangen erst an. | |
Bild: Ein Bisschen von allem | |
taz: Kirsten, Katia und Sami, ihr wollt die Zukunft des Gesundheitssystems | |
verändern. Wo steht ihr gerade auf diesem Weg? | |
Kirsten Schubert: Wir haben es in Berlin geschafft, ein innovatives Projekt | |
der ambulanten Gesundheitsversorgung aufzubauen. Im Moment bieten wir | |
sowohl ambulante medizinische Versorgung als auch Stadtteilarbeit, | |
Beratung, Selbsthilfegruppen, Café, Sportangebote und Öffentlichkeitsarbeit | |
an. Alles unter einem Dach. | |
Katia S.: So weit sind wir noch nicht. Unser Ziel ist es, irgendwann auch | |
ein Stadtteilgesundheitszentrum in München aufzubauen. Noch sind wir aber | |
in der Vernetzungsphase, bauen unsere Infrastruktur auf und bieten | |
Workshops und Vorträge an. | |
taz: Könnt ihr als Gesundheitskollektiv München von Berlin lernen? | |
Sami M.: Berlin steht als Leuchtturm der Zukunft für uns. Deswegen schauen | |
wir, was wir übernehmen wollen. Natürlich ist Berlin ein Vorbild sowohl für | |
uns als auch, denken wir, für die bundesweite ambulante Versorgung. | |
taz: Kirsten, siehst du euer Projekt auch als Leuchtturm? | |
Kirsten: Ich würde es schon als Leuchtturmprojekt sehen. Wenn man jeden Tag | |
daran arbeitet, vergisst man manchmal, dass es gar nicht selbstverständlich | |
ist, als Hausärztin mit Sozialarbeiterinnen, psychologischen Beraterinnen, | |
Gesundheits- und Krankenpflegerinnen im Team zusammenzuarbeiten. | |
taz: Wurde das Projekt direkt im Viertel angenommen? | |
Kirsten: Das Schwierigste ist eigentlich, im Stadtteil anzukommen und sich | |
mit den Menschen gemeinsam für bessere Lebensbedingungen einzusetzen. Das | |
ist viel schwieriger, als eine Arztpraxis aufzubauen oder Anträge zu | |
schreiben, um Geld zu bekommen. | |
taz: Wie ist das gerade in München? Sucht ihr auch Anschluss in einem | |
bestimmten Stadtteil? | |
Sami: Aktuell planen wir für einen besseren Überblick eine Bedarfsanalyse. | |
Deswegen würde ich keinen Stadtteil nennen. Wir sehen uns nicht als | |
Feuerwehr, die in ein „Problemviertel“ kommt und dann löscht. Es geht | |
darum, eine neue Form von Gesundheitsversorgung und Stadtteilarbeit zu | |
etablieren. | |
taz: Ein Fokus liegt also auch auf der Stadtteilarbeit selbst. Bei euch in | |
Berlin gibt es bereits ein Café für die Vernetzung im Viertel. | |
Kirsten: Ja, das ist Teil unserer Gemeinwesenarbeit. Wir bieten mobile | |
Gesundheitsberatung und Sport mit Jugendlichen an, unterstützen | |
MieterInnenaustausch. Alles unter dem Grundgedanken, dass die sozialen | |
Faktoren von Gesundheit das Entscheidende sind, das man verändern muss. | |
taz: Wie seht ihr die Kritik, dass ihr ehrenamtlich die Arbeit erledigt, | |
die vom Gesundheitssystem gemacht werden müsste? | |
Sami: Das ist sicher eine Gefahr. Man muss natürlich aufpassen, nicht | |
einfach nur durch ehrenamtliche Arbeit die Mängel eines kranken Systems | |
auszugleichen, sondern eben viel mehr, wie Kirsten sagt, die Basis | |
schaffen, damit Menschen sich kollektiv verbinden. | |
Kirsten: Wir wollen wachsen, ernst genommen werden – und die Versorgung | |
grundlegend verändern. Eben dafür schreiben wir Anträge. Im Moment gibt es | |
noch keine Rechtsform für unseren Ansatz, sodass wir uns als | |
Patchworkkonstrukt aus Drittmitteln und der regulären Finanzierung von | |
Arztpraxen finanzieren müssen. | |
taz: Die Politik will durch Gesundheitskioske Sozial- und | |
Gesundheitsberatung vernetzen. Ist das ein ähnlicher Ansatz? | |
Kirsten: Gesundheitskioske bieten keine ärztliche Versorgung und sind nicht | |
in kontinuierliche Behandlungen integriert. Dadurch bleibt die eigentliche | |
medizinische Versorgung weitestgehend unangetastet, ohne eingebundene | |
Prävention. | |
taz: Wenn ihr 20 Jahre in die Zukunft schaut, wo steht eure Arbeit dann? | |
Sami: Im Idealfall ist unser Projekt in 20 Jahren eingegliedert. Unser | |
utopischer Wunsch wäre ganz klar, dass sich der Versorgungsansatz | |
durchsetzt, der systemische Ursachen kollektiv bekämpft – ohne | |
Privatwirtschaft und Profitorientierung. | |
Kirsten: Ich wünsche mir, dass das auch dazu beiträgt, dass sich die | |
Gesellschaft in den nächsten Jahren verändert. Wir wollen, dass man sagt: | |
Diversität macht gesund, Ausgrenzung krank. | |
taz: Was braucht es denn im Moment, damit ihr diesem Ziel näherkommt? | |
Katia: Gerade suchen wir sehr stark nach weiteren Fördermitgliedschaften | |
und Spenden – für das Gesundheitskollektiv sowie für unseren Dachverband, | |
das Poliklinik Syndikat. Das ist leider die Realität unserer Arbeit. Es ist | |
aber auch wichtig, dass wir uns zu einem multiprofessionellen Arbeiten auf | |
Augenhöhe bewegen. | |
taz: Das Poliklinik Syndikat schreibt auch: „Es gibt kein gesundes Leben im | |
kranken System.“ Wollt ihr das System heilen oder die Symptome der Menschen | |
behandeln? | |
Kirsten: Es wäre natürlich schön, wenn man das System einfach heilen | |
könnte. Aber ich denke, dass dieses kapitalistische System krank macht. Es | |
fördert Profitstreben, gesellschaftliche Spaltung und auch ein | |
zersplittertes, vom Wettbewerb geprägtes Gesundheitssystem. Da braucht es | |
schon grundlegende Veränderungen. | |
22 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Nina Gessner | |
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