Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aktienrente in Skandinavien: Rentenparadies Schweden
> Die FDP wittert in der Aktienrente den „Gamechanger“ und auch die Grünen
> liebäugeln mit einem „Bürger*innenfonds“. Schweden hat die Aktienrente
> schon. Ist das die Rettung?
Bild: Mit sicherer Rente lässt es sich gleich unbeschwerter Seilspringen
## Schweden gilt als Rentnerparadies – warum?
Weil das durchschnittliche Rentenniveau bei etwa 75 Prozent liegt, in
Deutschland nur bei 48 Prozent. Während hier darüber gestritten wird, wie
man die Rente besser finanzieren kann, produziert das schwedische System
Überschüsse. Die Ampel und vor allem die FDP wollten sich Schweden deswegen
zum Vorbild nehmen und eine Aktienrente einführen – was dann am Aus der
Ampel gescheitert ist.
## Wie sieht denn die schwedische Rente aus?
Schweden setzt seit den 1960er-Jahren bei der staatlichen Rente auch auf
Kapitalmarktdeckung – als Folge der Erkenntnis, dass die geburtenstarken
Jahrgänge der 1940er-Jahre das Rentensystem künftig zu stark belasten
würden. Die sogenannten Pufferfonds sollen die Finanzierbarkeit des Systems
langfristig sichern. Derzeit verwalten fünf Fonds zusammen umgerechnet rund
179 Milliarden Euro. Alle Rentenbeiträge und -auszahlungen laufen über vier
dieser Fonds.
## Wer zahlt dabei was?
Die staatliche Altersrente („Allmän Pension“) in Schweden besteht aus
Einkommensrente und sogenannter Prämienrente. Der Arbeitgeber zahlt einen
Beitragsanteil von 11 Prozent. Der Arbeitnehmer zahlt 7,5 Prozent – die
aber durch einen direkten Steuerabzug quasi staatlich finanziert werden.
Von dieser Gesamtabgabe werden 2,5 Prozent für die Prämienrente in einem
Aktienfonds angelegt. Damit soll ein individueller Kapitalstock aufgebaut
werden, der den Arbeitnehmern dann im Ruhestand zugutekommt. Der Rest
wird für die Einkommensrente angespart.
## Ist das nicht sehr risikoreich für die Arbeitnehmer?
Jeder kann selbst entscheiden, wie er diese 2,5 Prozent anlegt und wie
risikoreich, zur Auswahl stehen Hunderte private Anlagefonds. Wer sich
damit nicht befassen will, für den wird das Geld automatisch im Staatsfonds
AP 7 angelegt. Dieser hat sich dem Rentenexperten Johannes Hagen zufolge in
den letzten 20 Jahren sehr gut entwickelt: „Probleme gab es eher für
Sparende, die eigene und letztlich schlechte Alternativen gewählt haben.“
## Woher kommen die Überschüsse im Rentensystem?
Dazu tragen nach Angaben der schwedischen Rentenbehörde zwei Komponenten
bei: ein Anstieg der arbeitenden Bevölkerung durch Einwanderung und hohe
Erträge aus den „Pufferfonds“ AP 1–4 – die lagen 2023 bei 8,1 Prozent.
## Deshalb ist die Rente in Schweden so viel höher als bei uns?
Nein. Wenn man nur auf die staatliche Rente schaut, ist das Rentenniveau
ähnlich wie in Deutschland. In Schweden liegt es derzeit bei 46 Prozent, in
Deutschland sind es rund 48 Prozent. Der entscheidende Unterschied ist ein
anderer: die Betriebsrente „Tjänstpension“. Schweden hat neben der
staatlichen Rente eine sehr weit verbreitete und vollständig von den
Arbeitgebern getragene betriebliche Altersvorsorge [wär’s was für die taz??
[1][d. säzzer]].
## Wie funktioniert die?
Neun von zehn Angestellten in Schweden profitieren von dem
traditionsreichen Betriebsrentensystem. Arbeitgeber zahlen, je nach
Tarifvertrag, 4,5 bis 6 Prozent eines Gehalts in entsprechende
Versicherungen ein, für Gehaltsteile oberhalb der staatlichen
Rentenbemessungsgrenzen sind es sogar 30 Prozent. In Deutschland hat
derzeit nur etwa die Hälfte der Berufstätigen eine betriebliche
Altersvorsorge (bAV), in die sie zudem per Gehaltsumwandlung auch selbst
einzahlen.
## Also ist gar nicht der Kapitalmarkt der springende Punkt beim
schwedischen Modell?
Wer die Vorteile des schwedischen Modells preisen will, darf die viel
höhere Arbeitgeberbeteiligung nicht außer Acht lassen. Sie zahlen mehr
staatliche Rentenabgabe und finanzieren die „Tjänstpension“ allein – das
ist ein zentraler Grund dafür, dass ein Großteil der arbeitenden
Bevölkerung in Schweden noch recht entspannt auf die Rente hinlebt. Noch
dazu ist der Kreis derer, die in die Rentenversicherung einzahlen, viel
größer. Hier wird seit Jahren darüber gestritten, ob auch Beamte oder
Selbstständige mit einbezogen werden sollen – in Schweden ist das längst
Realität.
## Gibt es Altersarmut in Schweden?
Zwar ist die finanzielle Situation der Alten auch in Schweden politisch ein
heißes Eisen. Aber der Anteil der in „relativer“ Armut lebenden Menschen
ist unter Rentenbeziehenden niedriger (10 bis 13 Prozent) als in der
Gesamtbevölkerung (15 Prozent). In Schweden gibt es eine steuerfinanzierte
„Garantierente“, eine Grundsicherung im Alter. Damit werden
Einkommensrenten von Menschen aufgestockt, die etwa wegen Niedriglohnjobs
nicht genug einzahlen konnten. Aber auch Menschen, die nie ein Einkommen
hatten, bekommen die Garantierente. Allerdings muss man 40 Jahre in
Schweden gelebt haben, um sie in voller Höhe zu bekommen – was etwa für
Migranten zum Problem werden kann. Die Garantiepension ist an die Inflation
gebunden und wurde entsprechend in den letzten Jahren mehrfach erhöht. Auch
andere Beträge der Grundsicherung, wie Wohngeld, wurden zuletzt mehrfach
erhöht.
## Also alles super mit dem schwedischen Modell?
Wenn das so einfach wäre. Es gibt durchaus Vorteile. So heißt es etwa in
einer Analyse des gewerkschaftsnahen Instituts WSI, dass Schweden zeige:
„Höhere Arbeitgeberbeiträge sind durchaus möglich und tragbar und eine
echte Grundrente ist machbar.“ Das spreche aber nicht automatisch für einen
Auf- und Ausbau von kapitalgedeckten Elementen, so der WSI-Rentenexperte
Florian Blank. Schwankungen auf den Kapitalmärkten hätten im schwedischen
System schon zu Einbußen bei Ansprüchen und Renten geführt.
## Was passiert denn, wenn die Aktiengeschäfte schlecht laufen?
Ein Börsencrash oder Fehlinvestitionen können zu Nullrunden bei
Rentenerhöhung führen. Dass alles Geld auf einmal verschwände, gilt als
ausgeschlossen. Die Anlagen für das Pensionssystem seien breit gestreut,
betont der schwedische Rentenexperte Hagen. Er kann nicht nachvollziehen,
dass Deutschland sein Rentensystem allein auf Beitragszahlungen stützt.
## Sind Fehlinvestitionen schon vorgekommen?
Ja, ein paar Mal. 2023 etwa versenkte der Rentenversicherungsriese Alecta,
der Kapital für die betriebliche Altersvorsorge verwaltet, umgerechnet gut
1,7 Milliarden Euro mit Beteiligungen an mehreren amerikanischen
Pleite-Banken. Und dann nochmal gut 1,1 Milliarden Euro mit Anteilen am
strauchelnden skandinavischen Immobilienkonzern Heimstaden. Im Fall
Heimstaden wurde auch wegen Verdachts auf Bestechung ermittelt. Die
Finanzaufsichtsbehörde untersucht derzeit, ob auch der Versicherer Folksam
und die staatliche Rentenbehörde bei verlustreichen
Heimstaden-Investitionen ungesetzlich – weil zu risikoreich – gehandelt
haben.
## Gibt es noch weitere Probleme?
NGOs kritisieren immer wieder nicht nachhaltige oder nicht mit
Menschenrechten vereinbare Investitionen. Zwar hat einer der Fonds im
letzten Jahr seine Beteiligung am saudischen Öl-Unternehmen Saudi Aramco
verkauft. Die Organisation Fair Finance Guide erinnerte damals aber an 40
weitere Beteiligungen an anderen Ölfirmen, darunter BP. „In Unternehmen zu
investieren, die mitten in der Klimakrise weiter dem Öl hinterherjagen, ist
verantwortungslos“, so die NGO.
## Wie stehen die Menschen in Schweden zu ihrem Rentensystem?
Politische Kritik an Anlagen seien in der öffentlichen Wahrnehmung
marginal, sagt Ökonom Hagen. Einige der gängigsten Reaktionen auf die Frage
nach dem Rentensystem aber lautet: „zu kompliziert“. In einer Untersuchung
von Hagen und Kollegen von 2018 sagten drei Viertel der Menschen, sie
wüssten nicht genug, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Ein
Viertel der Befragten war gar unsicher, ob sie eine berufliche
Altersvorsorge haben.
19 Feb 2025
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-taz-Setzer-Georg-Schmitz/!6067175
## AUTOREN
Anne Diekhoff
## TAGS
Schweden
Aktienrente
Rente
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
GNS
Schweden
Rentenpolitik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Amoklauf von Örebro: „Die ganze Gesellschaft muss mithelfen“
Drei Monate nach dem Amoklauf von Örebro stellt die Polizei die
Ermittlungsergebnisse vor. Die Tat hat das Land verändert.
Rentenniveau: Lücke zwischen SPD und Union
Die Renten steigen zum 1. Juli um 3,74 Prozent. Auch in den Sondierungen
müsse die Alterssicherung besprochen werden, mahnt der
Bundesarbeitsminister.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.