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# taz.de -- Familientragödie im Deutschen Theater: Das Stück mit den Flaschen
> Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ wird in Berlin
> gezeigt. Es ist in kurzer Zeit die vierte Inszenierung des Klassikers.
Bild: Moritz Kienemann als Jamie, Bernd Moss als James und Svenja Liesau als Ed…
Es ist ein zärtlicher Tanz mit der Flasche, der in dieser langen Reise
eines Tages in die Nacht das Bild für die Sucht liefert. Ein Arm hebt sich
über den Kopf und setzt die Flasche an den Mund, der andere ist anmutig
ausgestreckt in der Luft, und so dreht sich der Trinker langsam,
vorsichtig, traumtänzerisch fast.
Edmund Tyrone (Svenja Liesau), der jüngere, sterbenskranke Sohn, beginnt
diesen Akt der Selbstzerstörung, bald folgt ihm Jamie (Moritz Kienemann),
der ältere Bruder, Edmund in Liebe und in Hass verbunden. Vater Tyrone
(Bernd Moss) steigt als Letzter mit ein und dreht sich in diesem Todestanz
synchron mit seinem Sohn.
Eugene O’Neills Drama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“, 1956
uraufgeführt, zeichnet ein bedrückendes Bild einer Familie, in der keiner
mehr dem eigenen Leben und dem der anderen gewachsen ist. Der Vater, ein
Schauspieler, der es, aus armen Verhältnissen kommend, zu einigem Wohlstand
gebracht hat, ist blind für die Qual, die seine patriarchale
Selbstgefälligkeit Frau und Söhnen antut.
Die Mutter ist schon längst in die Morphiumsucht geflüchtet, die Söhne wie
der Vater trinken. Unendlich groß ist ihr Vorrat an Schuldzuweisungen,
jede/r an jeden. Und groß ist auch ihr Vorrat an Gesten des Überspielens,
um sich in Nichtwissen gegenüber diesen schlecht gehüteten
Familiengeheimnissen zu flüchten.
Aktualität des Stoffes
Vor allem die Eltern beherrschen dieses Kopf-in-den-Sand-Stecken in der
Inszenierung, die [1][Sebastian Nübling] O’Neills Tragödie jetzt im
Deutschen Theater Berlin auf die Bühne gebracht hat. Ist es das, das
Klammern ans eigene Unglück und die Abschottung gegenüber der Außenwelt,
was das Stück in Zeiten der Verzweiflung aktuell macht?
Es ist in kurzer Zeit die vierte Inszenierung dieses Klassikers. [2][Rieke
Süßkow zeigte ihn in Nürnberg als musikalisches Experiment], [3][Johan
Simons] in Bochum als redegewaltige Familienschlacht, und Sebastian
Hartmann geht in Dresden den Ritualen des Familienkonflikts nach. Da wird
die Suche nach einem neuen Zugriff nicht gerade einfach.
Dass James und Jamie Tyrone Schauspieler sind, wobei der Vater dem Sohn
jede Anerkennung verweigert, nutzt Nübling im ersten Teil, um das Theater
als Spiel selbst ein wenig vorzuführen. Der eiserne Vorhang klemmt, die
Inspizientin (Julia Gräfner) gibt es beklommen bekannt, beschreibt ein
Bühnenbild, das wir nie sehen werden – schon amüsiert sich das Publikum,
das die Pannen, auch die inszenierten, liebt.
Auftritt James Tyrone im Parkett, seine aufgesetzt muntere Frau Mary (Almut
Zilcher) im obersten Rang, und bald tauchen auch die Köpfe der Söhne über
den Geländern auf. Das Publikum muss die Köpfe drehen, die umherlaufenden
Darsteller suchen, die schnell in den aggressiven und beleidigten Modus
wechseln. Man hat also zu tun, soll nicht zuletzt des Öfteren mit
Handzeichen abstimmen, ob James Tyrone wieder recht hat mit seinen
Weltansichten.
Schemenhafte Figuren
Das ist launig, aber auch etwas oberflächlich. Im zweiten Teil, der in die
Nacht hineingeht, öffnet sich erst der Bühnenraum, füllt sich mit Nebel,
schemenhaft werden die Figuren. Mary klagt, findet im ihr angetanen Unrecht
immer neue Gründe für ihr Versagen. Der Rest der Familie trägt jetzt
Hasenköpfe. Keiner dringt zu keinem mehr durch. Das eigene Elend schiebt
sich wie der eiserne Vorhang vor den Blick auf die anderen.
Beschäftigt mit Selbstrechtfertigungen und unfähig zur Empathie – lässt
sich aus diesem Bild der Familie Tyrone eine Allegorie ableiten des
gesellschaftlichen Zustands in der Gegenwart? Nüblings Inszenierung nimmt
sich das vor, kriegt die Kurve vom Drama zur Gegenwart aber nur
unzureichend.
Am Ende rollt die Inspizientin eine Rolle Stacheldraht um das inzwischen
schon in Teile zerkrachte Haus der Tyrones und hält einen Schlussmonolog,
den [4][Sivan Ben Yishai] für diesen Abend geschrieben hat.
Er nimmt Bezug auf die jüngsten politischen Projekte der Ausgrenzung und
Abschottung und auf den emotionalen Zustand des Nicht-mehr-Weiterwissens
angesichts so vieler miserabler Prognosen. Doch da schwimmt plötzlich viel
zu viel im Topf, als dass man es noch mit der Inszenierung bis dahin in
Verbindung bringen könnte. So bleibt am Ende nur das Mitleid mit den
traurigen Flaschentänzern.
3 Feb 2025
## LINKS
[1] /Premiere-am-Gorki-Theater-Berlin/!5830707
[2] /ONeill-Stueck-am-Staatstheater-Nuernberg/!6042359
[3] /Houellebecq-Doppel-im-Bochumer-Theater/!5566624
[4] /!5900848&s=Sebastian+N%C3%BCbling+Gorki&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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Süßkow.
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