| # taz.de -- Lobbyist als Kanzlerkandidat: Fast wie der Bimbes-Kanzler | |
| > Friedrich Merz wird allzu große Wirtschaftsnähe vorgeworfen. Am liebsten | |
| > wettert er zusammen mit Verbänden gegen Errungenschaften der | |
| > Umweltpolitik. | |
| Bild: Man kennt sich: Friedrich Merz und der Vorstandsvorsitzende der BASF Mart… | |
| Berlin taz | Eins hat er mit Helmut Kohl gemeinsam: Genau wie der | |
| langjährige Kanzler in den 60ern arbeitete Friedrich Merz in den 80er | |
| Jahren vor seiner Politkarriere für den Verband der Chemischen Industrie. | |
| Die mächtige Lobbyvereinigung mit heute 1.600 Mitgliedsfirmen der Branche | |
| gilt seit langem als Aufziehbecken für Polittalente aus der Union. Ob der | |
| oft gestrauchelte Merz allerdings Kohl bei dem Versuch gleichzieht, ins | |
| Kanzleramt einzuziehen, zeigt sich erst nach der Bundestagswahl am 23. | |
| Februar. | |
| Eine weitere Parallele gibt es: Genau wie der Bimbes-Kanzler Kohl einst | |
| pflegt auch der aktuelle Kanzlerkandidat der Union ein besonders enges | |
| Verhältnis zur Wirtschaft. Viele sagen, ein viel zu enges Verhältnis, bei | |
| dem Merz seine Rolle als Politiker, der das Gemeinwohl im Blick hat, mit | |
| der eines blinden Fürsprechers von Konzerninteressen vermischt. | |
| „Merz pflegt schon seit Jahrzehnten einseitige Nähe zu Lobbynetzwerken, | |
| insbesondere zu Großkonzernen aus der Chemie- und Autobranche“, sagt | |
| [1][Lobbycontrol]-Sprecherin Christina Deckwirth. Er sei als Lobbyist tätig | |
| gewesen und habe mehrere Funktionen in Lobbyverbänden gehabt. Das | |
| hinterlasse einen riesigen Abdruck in seiner aktuellen Politik. Merz | |
| täusche die WählerInnen, „wenn er diese Verbindungen immer wieder | |
| abstreitet“, ärgert sich Deckwirth. „Das macht ihn wenig glaubwürdig.“ | |
| Von 2005 bis 2021 arbeitete der Jurist Merz als Anwalt für Firmen, bislang | |
| saß er in mindestens 13 Aufsichts- und Verwaltungsräten, von Alba bis hin | |
| zur Commerzbank oder Borussia Dortmund. Dabei [2][verdiente der | |
| CDU-Politiker Millionen]. | |
| ## Hohe Nebeneinkünfte | |
| Allein im Jahr 2006, als er schon Anwalt und noch Bundestagsabgeordneter | |
| war, saß Merz in acht Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräten von | |
| Unternehmen: Als Aufseher bei der Deutschen Börse fuhr er damals 100.000 | |
| Euro ein, insgesamt schätzte das Manager-Magazin für dieses Jahr | |
| Nebeneinkünfte in Höhe von einer Viertelmillion Euro für den Hobbypiloten | |
| Merz. Kein Wunder, dass er gegen die Veröffentlichungspflichten von | |
| Nebeneinkünften der Parlamentarier vor dem Bundesverfassungsgericht klagte, | |
| die Rot-Grün eingeführt hatte – vergeblich. | |
| Die alte Verbindung zur Chemieindustrie war Merz immer wieder nützlich in | |
| seiner Karriere: Lange war er Büroleiter der international aktiven | |
| Anwaltskanzlei Mayer Brown, die unter anderem BASF vertritt, den | |
| umsatzstärksten Chemiekonzern der Welt. Blackrock, wo er von 2016 bis 2020 | |
| Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Tochter war, ist der größte | |
| Investor bei dem Chemieriesen. Fast ein Jahrzehnt war Merz zudem | |
| Verwaltungsrat bei BASF Antwerpen. | |
| Jobs, Positionen, Pöstchen, alles im Grunde kein Problem, juristisch nicht | |
| angreifbar. Aber: Wenn Merz sich „öffentlich zur Wirtschaftspolitik äußert, | |
| klingen seine Worte in vielen Fällen wie vom Chemieverband VCI | |
| vorformuliert“, schreibt beispielsweise das Recherchemedium Correctiv. Das | |
| zeige sich, wenn Merz nach einem „Belastungsmoratorium“ für Unternehmen | |
| ruft, „Bürokratiemonster“ bekämpfen oder „Berichtspflichten“ für Fir… | |
| abschaffen will. | |
| Ähnlich: Höhere Klimaziele, so der CDU-Chef, würden zu einer Zerstörung der | |
| „freiheitlichen Lebensweise“ und der „marktwirtschaftlichen Ordnung“ | |
| führen. Ob Lieferkettengesetz, Mindestlohn, Bürgergeld oder Verbrenner-Aus | |
| – kaum eine sozial- oder umweltpolitische Errungenschaft, gegen die Merz | |
| nicht wettert, am liebsten zusammen mit Verbänden. | |
| ## Private Interessen in der Politik | |
| So wollte der Kanzlerkandidat der Union Ende Januar eigentlich in Berlin | |
| beim sogenannten „Wirtschaftswarntag“ auftreten – einer Veranstaltung der | |
| [3][„Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM)]. Nur ein noch | |
| wichtigerer Auftritt im Bundestag verhinderte dies. Die Nähe zur wegen | |
| ihrer neoliberalen Kampagnen umstrittenen INSM ist groß: Merz war 2005 | |
| Gründungsmitglied des Fördervereins der arbeitgeberfinanzierten Lobby- und | |
| PR-Truppe. Die Krisenkampagne der INSM sei „ein Paradebeispiel für eine | |
| Lobby-Erzählung, die Angst schüren und damit die Bevölkerung und die | |
| Verantwortlichen in der Politik beeinflussen soll“, schreibt Lobbycontrol. | |
| Wie sich Privates und Politik vermengen können, zeigte auch Merz’ Wechsel | |
| zum [4][Finanzkonzern Blackrock] im Jahr 2016. Er vertrete die Interessen | |
| des „Großkapitals“, wurde ihm seitdem immer wieder vorgeworfen. Als Merz im | |
| Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine Blackrock-Veranstaltung | |
| besuchte, wurde das als „instinktlos und völlig deplatziert“ kritisiert. | |
| Merz habe „immer noch eher das Format eines Finanzlobbyisten als das eines | |
| Staatsmannes“, sagte Linkenchef Jan van Aken. | |
| Den Blackrock-Job gab Merz Anfang 2020 zusammen mit anderen Ämtern auf – | |
| also kurz nachdem er sich das zweite Mal für den Parteivorstand beworben | |
| hatte. Länger behielt er dagegen den Posten als Vize im „Wirtschaftsrat der | |
| CDU“. Dies ist kein Parteigremium, sondern eine Lobbytruppe, die Konzernen | |
| laut „Lobbycontrol“ privilegierte Zugänge in die CDU ermöglicht. | |
| In der Kritik stand Merz auch wegen seines Aufsichtsratsmandats bei der | |
| Bank HSBC Trinkaus und Burkhardt von 2010 bis 2019 – und zwar gleich | |
| doppelt: Einerseits beriet Merz damals gleichzeitig den Bankenrettungsfonds | |
| Soffin, was KritikerInnen für einen Interessenkonflikt hielten. Außerdem | |
| war HSBC in die Cum-Ex-Deals verwickelt, durch die dem Staat | |
| Milliardeneinnahmen durch Steuertricks verloren gingen. Merz wird | |
| vorgeworfen, er müsse als Aufsichtsrat von den Geschäften gewusst haben, | |
| ohne sie zu verhindern – er selbst streitet dies ab. | |
| Natürlich betont er auch, kein Büttel von Unternehmensinteressen zu sein. | |
| Ob der Kanzlerkandidat der Union „trotz dieser einseitigen Nähe unabhängig | |
| entscheiden kann“, zweifelt zum Beispiel Lobbycontrol an. Die neue | |
| Bundesregierung brauche PolitikerInnen, die „politische Entscheidungen ohne | |
| Lobbyschlagseite treffen können. Ob Merz dazu in der Lage ist, bleibt | |
| fraglich“. | |
| 9 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.lobbycontrol.de/ | |
| [2] /Merz-Soeder-und-Reichtum/!6063163 | |
| [3] https://insm.de/ | |
| [4] https://www.blackrock.com/de | |
| ## AUTOREN | |
| Kai Schöneberg | |
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