# taz.de -- Feministischer Sex: Liege ich zu gerne unten? | |
> Die meiste Zeit bekämpft unsere Autorin das Patriarchat, im Bett | |
> überlässt sie dem Mann oft die Kontrolle. Wie politisch ist unsere Lust? | |
Bild: „Es gefällt mir, wenn jemand anderes Kontrolle übernimmt. Und der and… | |
Auf 90 Zentimeter gequetscht lagen wir einander gegenüber. Gerade mit so | |
viel Abstand, um uns im Halbdunkeln ins Gesicht schauen zu können. Ich war | |
19, er vier Jahre älter, mein erstes Mal damals knapp ein Jahr her. „Sag | |
mir, was du tun möchtest“, forderte er mich auf. Bisher hatte mich noch nie | |
jemand gefragt, worauf ich stehe. | |
Fuck, dachte ich völlig überfordert, ich muss doch wissen, was mich | |
anmacht. Alles, was mir einfiel, waren Bilder und Beschreibungen aus | |
[1][Pornos]. Ich dachte an Stellungen, Doggy oder ich ihn reitend, | |
Missionar – aber ist das nicht langweilig? Vanilla-Sex? Ich wusste nicht, | |
was ich antworten sollte. Also machte er Vorschläge: „Wie findest du Sex, | |
der etwas härter ist?“ Er wollte dominant sein und mit Schmerz spielen. Ich | |
war experimentierfreudig, aber spürte noch etwas: Druck, bloß nicht prüde | |
rüberzukommen. | |
Bei meinen ersten Malen bin ich meinen männlichen Sexualpartnern gefolgt, | |
ihren Bedürfnissen, ihrer Fantasie. Aber seine Frage hat etwas losgetreten: | |
Was gefällt mir eigentlich? | |
Ich mag es, sein Körpergewicht auf mir zu spüren. Die Kraft beruhigt mich, | |
wie eine schwere Decke. Ich genieße den leichten Schmerz, wenn er an meinen | |
Nippeln zieht. Er fasst mich an – mehr als ich ihn. Ich weiß nicht ganz, | |
wohin mit mir. Aber ich genieße seine Berührungen. | |
Es gefällt mir, wenn jemand anderes die Kontrolle übernimmt. Und der andere | |
war bisher immer ein Mann. Ist das nicht total patriarchal? Ein Mann als | |
Kämpfer und Beschützer. Der, im intimen Raum zwischen Lust und | |
Unsicherheit, mit der Fackel den Weg ausleuchtet und sicher durch den Akt | |
geleitet. Bis er mit dem Höhepunkt belohnt wird – oder was? | |
Das Bild vom starken Mann ist doch genau das, was ich außerhalb des Betts | |
bekämpfen möchte; damit ich über mich selbst bestimmen kann, frei sein | |
kann, Männer eben nicht die Vormachtstellung haben. Die Dinge, die meinem | |
Schleimbereich (Danke für den Begriff an die Autor*innen von „Wir | |
kommen“) gefallen, findet mein Kopf irgendwie falsch. | |
Im Grunde geht es darum, inwieweit unser politisches Verständnis unsere | |
Lust beeinflussen darf. Dabei ist es nicht nur Sexismus, der sich in den | |
Raum zwischen nackte Körper drängen kann. Wenn ein weißer Typ total auf | |
meinen Arsch fixiert ist und immer wieder betont, wie geil der bei | |
Schwarzen Frauen ist. Wenn einer erzählt, dass er unbedingt mal mit einer | |
Schwarzen Frau schlafen will, als sei Schwarzsein ein Faktor, der es zu | |
einer ganz anderen Erfahrung macht. Wenn die Vorstellung existiert, | |
Schwarze seien wilder oder Asiat*innen unterwürfiger. Dann ist das | |
[2][exotisierend und vor allem rassistisch] und beeinflusst nicht nur, wer | |
mit wem Sex hat, sondern auch wie. | |
Dass das scheiße ist, da sind wir uns mehr oder weniger einig geworden. | |
Gelöst haben wir das Problem nicht, aber es kommt mir zumindest so vor, als | |
würde es weniger kontrovers diskutiert. Warum ist das beim Thema Sexismus | |
anders? Und warum liege ich, wie so viele Frauen, doch mehr unten? | |
Bis heute hat sich das Verständnis der sexpositiven Bewegung aus dem | |
Dritte-Welle-Feminismus gehalten: Beim Sex ist alles erlaubt, solange alle | |
Beteiligten dem zustimmen. In ihrem Essay [3][„Does anyone have the right | |
to sex?“] wagt die Philosophin Amia Srinivasan eine ambivalentere Haltung. | |
In ihrem Essay aus dem Jahr 2018 schreibt sie, wie wichtig der | |
feministische und queere Kampf war, Sex von Scham, Stigma, Zwang und | |
unerwünschtem Schmerz zu befreien. Sagen zu können, mein Begehren ist mein | |
Begehren, es gehört zu meiner Identität – I’m born this way. | |
Trotzdem wäre es falsch, die Entstehung unserer Begierde gar nicht zu | |
hinterfragen, sagt Srinivasan. Sonst sei jede Präferenz nur noch etwas | |
Natürliches und nicht mehr auch politisch. Ein allein auf Consent basierter | |
Feminismus laufe Gefahr, unter dem Deckmantel der persönlichen Vorliebe | |
Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Transphobie oder | |
Fettfeindlichkeit zuzulassen. | |
Worauf wir stehen, was uns sexuelle Lust bereitet, ist ziemlich komplex, | |
weil Lust im Unterbewusstsein fußt. Wir wissen aber, dass die Gesellschaft, | |
in der wir leben, und Erfahrungen, die wir machen, unsere Vorlieben und | |
Fantasien prägen. Für sie kann niemand etwas. Vielleicht hätte ich gar | |
keine Vorliebe, dominiert zu werden, wenn sich [4][Hetero-Sex] weniger um | |
Penetration und den Mann drehen würde. Vielleicht wäre es anders in einer | |
feministischen Utopie, in der keinem Geschlecht Stärke oder Schwäche, | |
Dominanz oder Passivität zugeordnet wäre. | |
Srinivasan schreibt, der Feminismus solle in der Lage sein, die Gründe des | |
Begehrens zu hinterfragen, aber ohne autoritär oder moralistisch zu werden, | |
ohne Slut-Shaming, Prüderie oder Selbstverleugnung. Stimmt, denke ich: | |
Anderen Personen ihre Lust abzusprechen und ihnen vorzuschreiben, was sie | |
idealerweise geil finden, wie sie zu vögeln haben – das ist ja mal so was | |
von unfeministisch. | |
Gleichzeitig finde ich das alles ziemlich verkopft. Ich fühle mich unter | |
Druck gesetzt, und noch mehr Druck kann dieses Thema nicht gebrauchen. Wie | |
oft haben sich meine Gedanken beim Sex schon überschlagen? Während er | |
zwischen meinen Beinen liegt, kann ich die Berührungen nicht einfach | |
genießen. Ich muss auch performen – und einen Orgasmus haben. | |
Als Frau verdiene ich ihn, denn guter gleichberechtigter Sex ist, wenn | |
beide kommen. Als Feministin habe ich zu kommen, vorausgesetzt er macht es | |
richtig – Stichwort [5][Orgasm Gap]. Und ja, das tut er, es fühlt sich gut | |
an, er gibt sich Mühe, er will, dass ich komme. Auch, weil er sich so | |
vergewissern kann, dass er gut im Bett ist. Aber genau dann klappt es | |
nicht. Deshalb wünsche ich mir Sex, der mit weniger Erwartungen aufgeladen | |
ist, der auf keiner Seite ein Anrecht auf Orgasmus braucht, um sich als Sex | |
zu definieren. | |
Ich hoffe weitere Antworten bei der Kulturwissenschaftlerin Beate Absalon | |
zu finden, die auch Workshops zu queer-feministischer Sexualität leitet. | |
Sie hat zuletzt das Buch „Not giving a fuck“ geschrieben, in dem sie | |
einlädt, gesellschaftliche Zwänge abzuschütteln, um Lust und Intimität | |
erfinderischer anzugehen. Klingt nach dem passenden Perspektivwechsel. | |
Absalon erinnert an die Vielseitigkeit von Sex und daran, warum wir | |
überhaupt Sex haben. Aus einem Bedürfnis nach Nähe zum Beispiel, gegen | |
Stress, aus Neugierde nach etwas vermeintlich Verbotenem. „Oft wollen wir | |
durch Sex unser Selbst stabilisieren, wollen normal, geliebt, gesund oder | |
bewundert sein. Nur macht unser Begehren dem oft einen Strich durch die | |
Rechnung, weil es so ambivalent ist und über bloßes Wohlfühlen | |
hinausschießt“, sagt sie. | |
Sexuelle Fantasien wirkten bisweilen irritierend. Auch, weil es eine | |
psychische Strategie sein kann, Gewalt- und Traumaerfahrungen zu | |
sexualisieren, um sie zu verarbeiten. „Das widerspricht den sauberen und | |
einfachen Kategorien, in die Sex so oft gesteckt wird.“ Umso schlimmer, | |
findet sie, wenn Fantasien als „unfeministisch“ bewertet werden. Und regt | |
an, sich zu fragen, woher der Wunsch nach feministischem Sex kommt. Gehe es | |
darum, Unterdrückung zu bekämpfen, oder darum, wie nach einem | |
„Reinheitsgebot“, auf der vermeintlich „richtigen“ Seite zu stehen? | |
Sex zu instrumentalisieren, werde im Feminismus oft kritisiert. „Das heißt | |
aber auch, dass Sex nicht als Mittel für Empowerment und Gleichberechtigung | |
herhalten sollte“, sagt sie. Da ist etwas dran, denke ich. Nur aus einem | |
feministischen Gedanken heraus sollte ich weder Sex haben noch auf ihn | |
verzichten. Dafür ist Sex viel zu intim. | |
Für Absalon ist Sex gerade dann am schönsten, wenn er nicht effizient sein | |
muss. „Weil wir in ihm Lebendigkeit fühlen können: Lust, Unlust, | |
Langeweile, Geilheit, Scham, Trost, Albernheiten, Traurigkeit, | |
Awkwardness.“ Was bringe uns denn Perfektionismus beim Sex? In den | |
komischen Momenten könnten wir unsere eigene Unvollkommenheit erleben und | |
damit irgendwo auch das Menschsein. | |
Sich mit dem Patriarchat im Bett auseinanderzusetzen, heißt für mich, über | |
die Machtdynamiken, die mein Gegenüber und ich mitbringen – Mann/Frau, | |
schwarz/weiß, erfahren oder nicht –, sprechen zu können. Die Freiheit zu | |
haben, Sex gemeinsam immer wieder neu zu definieren. | |
In letzter Zeit erlebe ich Sex viel spielerischer. Meine Finger tanzen über | |
seinen Körper, erkunden ihn und fragen tastend, wie ich sich das anfühlt – | |
bis auch mein Mund die Frage ausspricht. Wir kriechen ineinander, ohne | |
einzudringen, lassen unsere Körper treiben. Wir wissen, wir könnten sofort | |
aufhören, wenn sich etwas nicht gut anfühlt. Ob einer von uns oder beide | |
einen Orgasmus haben, wir einen Lachanfall bekommen oder uns zärtlich in | |
den Armen liegen, spielt keine Rolle. | |
Unser Begehren liegt nicht fertig gebacken in uns, schreibt Katharina Angel | |
in ihrem Buch „Tomorrow Sex Will Be Good Again“. Das glaube ich auch. Es zu | |
erkunden, ist kein abgeschlossener Prozess. Wir können unsere Muster | |
verstehen und auflösen. | |
Wenn wir nackt wresteln und ich den Kampf darum, wer oben liegt, gewinne, | |
finde ich es schön, zur Geberin zu werden. Und ich mag es weiterhin, wenn | |
er die Kontrolle übernimmt und ich mich fallen lassen kann, das Schwirren | |
meiner Gedanken pausiert. Das hat, egal, wie es von außen wirken mag, | |
nichts Patriarchales. Denn der entscheidende Unterschied liegt darin, ob | |
ich nur konsumiert werde oder wir den Sex gemeinsam gestalten – und ich | |
mich aktiv hingebe. | |
8 Mar 2025 | |
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