| # taz.de -- Wechseljahre: Ich glaube, ich mag mich so sehr wie noch nie | |
| > Die Wechseljahre beginnen mit einem leisen Grollen. Sind sie es? Oder | |
| > nicht? Mitten im Hormonchaos weiß man dann oft nicht, wo oben und unten | |
| > ist. | |
| Bild: Wechseljahre können für alle Beteilgten hart sein | |
| Später, wenn die Trümmer beseitigt sind, wenn man sich mit dem, was noch da | |
| ist, oder mit dem, was man sich neu zugelegt hat, ein neues Ich geschaffen | |
| hat, dann wird man sagen, ja, da ist so ein Vorgrollen gewesen. So ein | |
| leichtes Zittern. Eine Unruhe. Etwas nicht Fassbares, zu undeutlich, als | |
| dass Alarmglocken geklungen hätten. So, wie man nach den Erdbeben erfährt, | |
| Seismografen hätten schon Tage vorher ausgeschlagen. Kaum messbar, aber | |
| jetzt, in der Nachbetrachtung eindeutig. | |
| Die Vögel hatten sich, so wird im Nachhinein auffallen, zurückgezogen. | |
| Waren verstummt. Überhaupt, die Tiere … | |
| Ich hatte keinen Ara auf der Schulter. Keine Meise auf der Latte sitzen, | |
| keine Katze, die verstärkt um meine Beine schlich. Im Nachhinein, nachdem | |
| ich die Trümmer wieder zusammengesetzt habe und mit einem Ich durch die | |
| Welt gehe, das dem alten keine Träne nachweint, es wohl aber freundlich | |
| betrachtet, denke ich: Ja, da gab es ein Grollen. | |
| Aber wer denkt mit Ende 40 schon an so was? | |
| Wer hat mit Ende 40 schon eine Vorstellung davon, dass die Wechseljahre | |
| alles im Namen tragen, um das es bald gehen wird? „Wechsel“. Wechsel der | |
| Person, die man ist. Der Frau. Oder der Lebensumstände. | |
| Natürlich erinnere ich mich daran, dass mein Körper anfing, eigenartige | |
| Dinge zu tun. Er schien nach all den Jahrzehnten des Gemeinsamen einen | |
| eigenen Kopf zu entwickeln. Und diesen durchsetzen zu wollen. Ich schlief | |
| schlecht. Ich wachte ständig auf. Ich ging durch die Welt, als hätte ich | |
| Blei in meinen Gliedern. Ich nahm zu, ohne mehr zu essen. Mein Körper war | |
| nicht mehr der, den ich kannte. Ganz vorsichtig fragte ich die Gynäkologin, | |
| ob das wohl die Wechseljahre sein könnten. Sie sagte: „Sie bluten noch. | |
| Also nein.“ | |
| Zu „bluten“ war mit Ende 40 keine passende Beschreibung. Meine Regel glich | |
| einer Schlachtung. Sturzbäche kamen aus mir heraus. Das Blut lief den Arm | |
| herunter, wenn ich ein Tampon einführte. Die Mega-Größe war ein süßer Witz. | |
| Zwanzig Minuten später kam er vollgesogen wieder raus. Er gebar sich quasi | |
| selbst. | |
| Der Tampon ließ sich nicht optimieren. Vielleicht die Gynäkologin. Ich | |
| müsse bei so einem Blutverlust auf meine Eisenwerte achten, sagte die Neue. | |
| Aber nein, im Wechsel sei ich nicht. „Sie bluten ja noch.“ | |
| So begann ich die Veränderungen hinzunehmen und mitzuschleppen, wie ich so | |
| vieles mitschleppe im Leben. Den Umstand etwa, dass mich als junge Frau die | |
| Periode regelmäßig so aus der Kurve trug, dass ich vor Schmerzen nicht | |
| wusste, wohin. Dass es an mir war, Hormone zu schlucken, damit kein Baby | |
| kommt. Dass, als das Baby kam, die Hebamme im Kreißsaal sauer wurde, weil | |
| ich unter der Geburt pinkeln musste. Dass mir der Kinderarzt ungefragt an | |
| die geschwollenen Brüste griff. | |
| Man kann auf die Straße gehen gegen den Umstand, dass Frauen nicht selbst | |
| bestimmen können, ob sie abtreiben, dass sie für die gleiche Arbeit weniger | |
| Geld bekommen als Männer, dass es nicht genug Schutzräume für Frauen und | |
| Kinder gegen Männergewalt gibt. | |
| Gegen die Scham und das Ungemach, die es bedeuten, in dieser Gesellschaft | |
| einen Frauenkörper zu haben, nicht. | |
| Im Nachhinein ist mir klar, dass meine Krise mit Ende 40 begann, als mir | |
| bewusst wurde, dass ich alles, was ich mir für mein Leben vorgenommen | |
| hatte, erreicht habe. | |
| Ich war als Journalistin dort angekommen, wo ich immer hinwollte (bei den | |
| Toll-Schreiber*innen, die für und wegen ihrer Meinung gefragt sind). Ich | |
| hatte ein Kind, das noch dazu großartig gelungen ist und die eine Liebe an | |
| meiner Seite, die genau das ist, worum es bei der Liebe zu gehen scheint. | |
| Mit Ende 40 guckte ich auf mein Leben und war – zu meiner eigenen | |
| Überraschung – vollkommen zufrieden. Es war alles da, es war alles gut. | |
| Wenn morgen der Lkw käme und mich überführe, wäre das nicht schlimm. Ich | |
| hatte das Gefühl, es sei alles gesagt. | |
| Ich fühlte und fühle mich damit reich beschenkt. Was für ein Glück, das | |
| erleben zu können. Manche werden 80 und hoffen noch darauf. | |
| Und doch scheint dieses Momentum elementar für die große Krise, die mit der | |
| Entfaltung der Wechseljahre in ihre Sturm-und-Drangphase, der | |
| Perimenopause, einsetzte. Es ist der Bodensatz für das Trümmerfeld, das | |
| entstehen sollte. Für die Auflösung derer, die ich war. | |
| Die Journalistin Lisa Ortgies schreibt in ihrem Buch „Heißer Scheiß“: „… | |
| 30 wusste ich, was ich will. Mit 40 wusste ich, was ich kann …“ Ja, die | |
| 40er bringen ein neues Selbstbewusstsein mit sich. Sie sind die Zeit der | |
| gekonnten Umsetzung. Wir realisieren und bringen zur Blüte, was wir seit | |
| Jahrzehnten vorbereitet haben: Karriere, Familie oder was wir uns sonst | |
| unter Glück vorstellen. Wir sind auf den unterschiedlichsten Ebenen | |
| gefordert und haben die Energie, uns diesen Herausforderungen zu stellen | |
| und sie zu bestehen. Oft mehr schlecht als recht, vor allem, wenn Familie | |
| und Beruf aufeinandertreffen. Aber wir sind entschieden, das hinzubekommen. | |
| Doch wenn das fünfte Lebensjahrzehnt langsam ausläuft, verkrümeln sich mit | |
| ihm die Hormone, die das Ganze zusammengekleistert haben. Der Beginn der | |
| Wechseljahre, der mit der Prämenopause für die meisten Frauen Anfang/Mitte | |
| 40 einsetzt und mit Mitte/Ende 40 in die Perimenopause übergeht, verändert | |
| langsam, aber sicher das hormonelle Gefüge. | |
| Das Zusammenspiel der drei großen Player Östrogen, Progesteron und | |
| Testosteron wird ein neues. Ein Auf und Ab. Mit dem Ergebnis, dass wir | |
| möglicherweise nicht nur uns bis dahin unbekannte körperliche Symptome | |
| haben, sondern sich auch unser Wertekanon verschiebt. Östrogen etwa hat | |
| Einfluss auf das Bindungsverhalten. Auf das Bedürfnis, sich zu kümmern. Um | |
| den Nachwuchs. Um die Familie. Wenn der Östrogenspiegel sinkt, kann dieses | |
| Bedürfnis geringer werden – und das, sich selbst in den Fokus zu stellen, | |
| wächst. | |
| Durch den Rückgang des Östrogens gewinnt zugleich das Testosteron an | |
| Gewicht, wir werden gereizter und aggressiver. Unsere patriarchale | |
| Gesellschaft würde sagen: männlicher. Ich sage: endlich wütend. Uns passen | |
| Dinge nicht mehr, wir nehmen sie nicht länger hin: Die Beknacktheit des | |
| Chefs, die man jahrelang ausgehalten hat, will man nicht länger ertragen. | |
| Die Risse im Boden der Beziehung werden mitunter zu Gräben, das berufliche | |
| Tun bringt keine Erfüllung mehr. Kurz: Was die letzten Jahrzehnte richtig | |
| schien und was unser Leben ausgemacht hat, passt nicht mehr. | |
| In meinem Fall war das mein Beruf. Journalistin. Es gab keine Möhre mehr. | |
| Keine Entwicklungsmöglichkeiten. Ich hatte alles erreicht. Das Einzige, was | |
| noch fehlte, war so was wie der Nannen-Preis. Aber auch das gehört dazu, zu | |
| denken: Ob ich den nun hab oder nicht, ist auch egal. | |
| Zu bemerken, dass mit meinem Beruf etwas nicht mehr stimmt – das war das | |
| leise Grollen. Wieder und wieder gab es kleine Eruptionen. Unzufriedenheit. | |
| Genervtsein. Schon bedenklicher im Ausschlag: Langeweile. Dann kam die | |
| Perimenopause. Jene Zeit, in der die Natur uns Frauen zeigt, was sie kann. | |
| Ich hatte das Gefühl, ich sei ein Schoner auf dem offenen Meer und ich | |
| würde durch die Palette an Stürmen geschickt, die ein Meer bereithält. | |
| Herzklopfen, Nachtschweiß, Haarausfall, Gelenkschmerzen, dazu Brainfog und | |
| dauerhafte Schlafstörungen, bleierne Glieder und bleierne Müdigkeit, | |
| Depression. | |
| Ich war mitten im tobenden Sturmgebraus und wusste nicht mehr, wo unten und | |
| oben ist. Die hilflosen Ärzt*innen schickten mich zum Infoabend | |
| „Schlafhygiene“ und zum Alzheimer-Test. Dass das tägliche, nächtliche | |
| Aufwachen um 3.30 Uhr mit den Wechseljahren zu tun haben könnte, davon | |
| hatte der Schlafexperte so wenig gehört, wie die Neurologin hormonell | |
| bedingten Brainfog als Ursache dafür in Erwägung zog, dass ich meinen | |
| Nachbarn nicht mehr erkannte. | |
| Rückblickend würde ich „was genommen“ haben. Ich hätte mir Hormone | |
| verschreiben lassen, um dem Sturm nicht so hilflos ausgeliefert zu sein, um | |
| nicht zwei Jahre meines Lebens in einer elementaren Krise gesteckt zu | |
| haben, in der ich annehmen musste, es sei meine Unzulänglichkeit, die mich | |
| in diese Erschöpfung gebracht hatte, in dieses Aus. | |
| Diese Zeit ist erst ein paar Jahre her, aber die Wechseljahre waren noch | |
| kein Thema. Es gab kaum eine Mediziner*in, die informiert war, kaum eine | |
| Frau. Das ändert sich gerade. Aktivistinnen, zu denen auch ich mich zähle, | |
| treiben das Thema voran. Fordern mehr Kenntnis aufseiten der Medizin, mehr | |
| Blick auf die Frage, wie Frauen durch ihren Arbeitgeber am Arbeitsplatz | |
| unterstützt werden können. | |
| Die Pharmaindustrie frohlockt: Hormone und Nahrungsergänzungsmittel werden | |
| zu Lifestyle-Produkten, die Energie und Produktivität bis ins hohe Alter | |
| versprechen. Jede Frau, die keine nimmt, so die Suggestion, schaufelt sich | |
| ihr Grab, in Sabber und Demenz verbrachter Jahre im Altenheim. Denn alles, | |
| was das Alter schwer macht, ließe sich – so der Ruf etwa von Sheila de Liz, | |
| Gynäkologin und Autorin von „Woman on Fire“ – durch die rechtzeitige | |
| Einnahme von Hormonen verhindern. Ob das so ist und ob die | |
| Hormonersatztherapie so harmlos ist, wie behauptet wird, weiß kein Mensch. | |
| Ich nahm keine Hormone, weil mir die Informationen fehlten. Ich durchlebte | |
| diesen Sturm und es war eine enorm harte Zeit. Auch für mein Umfeld. Die | |
| Frage, wer ich wäre, wenn ich keine Journalistin mehr wäre, war | |
| existenziell. Für andere mag die Frage sein: Wer bin ich, wenn ich mich von | |
| meinem Partner, meiner Partner*in trenne? Wer bin ich, wenn die Kinder | |
| fort sind? Wenn ich das Haus aufgebe, umziehe, noch mal was ganz anderes | |
| mache? | |
| Ich habe mich sehr mühsam wieder zusammengesetzt. Es ist, als hätte ich | |
| alle meine Einzelteile wiederfinden müssen. Und nicht alle davon wollte ich | |
| für mein neues Leben haben. Ich frage mich, was gewesen wäre, wenn ich | |
| Hormone genommen hätte. Hätten sie mein Auseinanderbrechen gemildert? Was | |
| hätte das für meine Entwicklung bedeutet? | |
| Die Krise in der Lebensmitte ist eine elementar wichtige, sagen die | |
| Psycholog*innen. Sie sei die Vorbereitung auf das, was kommt: das Alter. | |
| Ich war noch nie so in Frieden mit mir wie heute. | |
| 8 Mar 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Silke Burmester | |
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