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# taz.de -- Juristin über mehr Diskriminierungen: „Leider zeigen die wenigst…
> Die Zahl der Diskriminierungsfälle steige, sagt Juristin Eva Maria
> Andrades. Sie erklärt, was Betroffene tun können und welche Rechte sie
> haben.
Bild: Hoffnungsmachend: Großdemonstration gegen Rechtsextremismus. Brandenburg…
taz: Frau Andrades, am 29. Januar brachte die Union ihren Antrag für eine
massive Verschärfung der Migrationspolitik [1][mit Stimmen der AfD] durch
den Bundestag. Was bedeutet dieses Ereignis für Menschen, die von
Diskriminierung betroffen sind?
Eva Maria Andrades: Das, was da im Bundestag passiert ist, ist extrem
besorgniserregend. Es stellt einen Dammbruch dar, der vielen Menschen im
Land das Signal gegeben hat, dass sie jetzt offener denn je MitbürgerInnen
rassistisch diskriminieren können. Für alle, die von Rassismus betroffen
sind, für Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte bedeutet das
wiederum, dass sie nicht sicher sind und dass sie sich fürchten müssen.
taz: Inwiefern äußert sich der Rechtsruck in der Arbeit der
Beratungsstellen, die sich unter dem Dach Ihres Verbands vereinen?
Andrades: Wir beobachten, dass die gemeldeten Fälle von Diskriminierung und
die Beratungsanfragen in jüngster Zeit deutlich zugenommen haben. Damit
setzt sich die Entwicklung der vergangenen Jahre fort. Viele BeraterInnen
berichten, dass rassistische Beleidigungen und Angriffe heute
offensichtlicher passieren als noch vor ein paar Jahren. [2][In Magdeburg]
trauen sich rassifizierte Menschen seit dem Attentat auf dem
Weihnachtsmarkt im Dezember zum Teil nicht mehr allein auf die Straße.
KollegInnen vor Ort versuchen Betroffene mit Piepern auszustatten, damit
diese auf sich aufmerksam machen können, wenn sie angefeindet oder
angegriffen werden. Dass wir solche Maßnahmen brauchen, um Menschen vor
Diskriminierung und Gewalt zu schützen, macht mich sprachlos.
taz: Welche Möglichkeiten haben Betroffene darüber hinaus, um sich gegen
Diskriminierung zu wehren?
Andrades: Grundsätzlich – das wissen viele Betroffene gar nicht – gilt:
Diskriminierung ist verboten. Das regeln der Artikel 3 des Grundgesetzes
und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Wer Diskriminierung erfährt,
hat also Rechte. Die Beratenden in unseren Mitgliedsorganisationen klären
Betroffene über diese auf und überlegen mit ihnen gemeinsam, welche
weiteren, auch rechtlichen Schritte möglich sind.
taz: Angenommen, ich werde in der Bahn rassistisch beschimpft. Was kann ich
ganz konkret in der Situation tun?
Andrades: Das kommt immer auf den Einzelfall an, und so eine rassistische
Anfeindung bringt viele Betroffene in einen emotionalen Ausnahmezustand.
Von ihnen zu erwarten, dass sie immer angemessen reagieren, wäre also nicht
fair. Als Erstes gilt, sich zu schützen und nicht in weitere Gefahr zu
bringen. Außerdem ist es ratsam, Menschen in der Bahn zu fragen, ob sie die
Anfeindung mitbekommen haben. So lassen sich möglicherweise ZeugInnen
finden, die im Fall einer Anzeige den Vorfall bestätigen können. Dann
sollte man die Polizei rufen, um den Fall anzuzeigen. Allerdings haben
nicht alle Betroffenen die Nerven und die Kraft dafür, und das verstehe
ich. Ich rate dazu, den Fall zumindest zu melden, damit er in der Statistik
nicht untergeht.
taz: Wie kann ich helfen, wenn ich die Situation in der Straßenbahn als
außenstehende Person mitbekomme?
Andrades: Leider zeigt unsere Erfahrung, dass die wenigsten in solchen
Momenten Zivilcourage zeigen. Natürlich ist auch die Frage, wie
gewaltbereit die Person ist, von der die Diskriminierung ausgeht. Aber
grundsätzlich hilft es Betroffenen ungemein, wenn sie Solidarität erfahren,
indem man ihnen sagt: Ich habe gesehen, was passiert ist, das war nicht
okay. Ich halte zu dir und kann dich unterstützen. Wenn möglich, sollte man
bei der betroffenen Person bleiben, bis die Polizei kommt, damit sie nicht
allein ist.
taz: Wie kann ich FreundInnen oder Verwandte unterstützen, die von
Diskriminierung betroffen sind?
Andrades: Das Wichtigste: Zuhören, ernst nehmen und den Vorfall nicht
relativieren. Für Außenstehende ist es vielleicht nur ein Einzelfall, aber
für Betroffene reiht sich dieser oft ein in eine lange Kette von
Diskriminierungserfahrungen, die irgendwann zu einer großen Last wird. Im
Fokus sollte immer die betroffene Person mit ihren Bedürfnissen stehen. Was
braucht sie gerade am dringendsten, um mit der Situation fertigzuwerden,
und wie kann ich dabei helfen? Es geht um emotionale Unterstützung und
nicht darum, alle Fristen und Hilfsadressen im Kopf zu haben. Stattdessen
kann man zum Beispiel auf der Suche nach einer Beratungsstelle in der Nähe
helfen und beim ersten Termin mitgehen. Im Fall von Diskriminierung am
Arbeitsplatz kann ich unterstützen, indem ich mich als ZeugIn zur Verfügung
stelle, wenn ich etwas mitbekommen habe.
taz: Nicht immer reicht der Mut, um sich mit seinem Chef oder seiner Chefin
anzulegen, weil man im Job Diskriminierung erfährt.
Andrades: Das stimmt, und an diesem Machtverhältnis können auch wir erst
einmal nichts ändern. Wir motivieren dennoch alle Betroffenen, sich
trotzdem zu melden. In der Beratung kann man gemeinsam schauen, ob es
Beweise für die Diskriminierung gibt, Verbündete im Team oder eine
Beschwerdestelle im Unternehmen, an die man sich wenden kann. Viele
Menschen trauen sich das nicht und melden sich erst, wenn sie innerlich
schon abgeschlossen haben mit ihrem Job. Damit es erst gar nicht so weit
kommt, brauchen wir in Deutschland einen besseren arbeitsrechtlichen Schutz
vor Diskriminierung, mehr Beschwerdestellen in Unternehmen, an die sich
Betroffene wenden können, und mehr Prävention, damit Unternehmen sensibler
für das Thema Diskriminierung werden. Da haben wir noch einen langen Weg
vor uns – wenn auch in den letzten 20 Jahren schon viel passiert ist in
Sachen Antidiskriminierung.
taz: Bis heute meldet sich nur ein Bruchteil der von Diskriminierung
Betroffenen in den Beratungsstellen. Warum ist das so und wie lässt sich
das ändern?
Andrades: Nicht selten spielt sicher ein Gewöhnungseffekt eine Rolle. Wenn
ich ein Leben lang die gleichen rassistischen Erfahrungen mache, immer
wieder Ausschluss erlebe, nehme ich das irgendwann als Teil meines Alltags
hin – so schmerzlich dieser auch ist. Häufig melden sich Betroffene erst,
wenn die Diskriminierung mit schwerwiegenden Konsequenzen verbunden ist,
wenn Gewalt oder der Verlust der Wohnung droht. Wir wissen auch, dass der
Gang zur Beratungsstelle immer noch mit zu vielen Hürden verbunden ist.
Weil Menschen gar nicht wissen, dass es Hilfsadressen gibt, oder es ihnen
an Zeit und Energie fehlt oder am Vertrauen darauf, dass sie in der
Beratung ernst genommen werden und diese auch etwas bewirken kann.
taz: Um marginalisierten Menschen besser helfen zu können, pocht Ihr
Verband auf eine Reform des AGG, des [3][Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes], die die Ampelkoalition verschlafen hat. Wie
zuversichtlich sind Sie, dass die Reform mit der nächsten Bundesregierung
kommt?
Andrades: Sagen wir so: Für Konservative hat das Thema keine besondere
Priorität. Dabei ist eine Reform des 18 Jahre alten AGG dringend notwendig.
Denn aktuell deckt es nur den Privat- und Dienstleistungsbereich ab.
Erfahre ich bei der Polizei oder im Jobcenter Diskriminierung, greift das
Gesetz nicht. Ein weiteres Problem ist, dass Betroffene ihre Rechte laut
aktuellem AGG innerhalb von zwei Monaten nach dem Diskriminierungsfall
geltend machen müssen, und diese Frist ist aus unserer Sicht viel zu kurz.
Darüber hinaus müssen Betroffene selber klagen, wenn sie rechtliche
Schritte gehen wollen. Vielen fehlen dafür Zeit, Energie und Geld. Daher
fordern wir in einem neuen AGG ein Klagerecht für
Antidiskriminierungsverbände, damit die Betroffenen diesen Weg nicht allein
gehen müssen.
10 Feb 2025
## LINKS
[1] /Migrationsplan-mit-AfD-Stimmen/!6066347
[2] /Nach-dem-Anschlag-von-Magdeburg/!6056886
[3] /AGG/!t5011098
## AUTOREN
Laura Catoni
## TAGS
Anti-Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Diskriminierung
Antifaschismus
Anschlag in Magdeburg
Polizei Hamburg
Tarif
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Antisemitismus
Gleichbehandlungsgesetz
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