# taz.de -- Strukturwandel in Brandenburg: Wenn nur die Bockwurst bleibt | |
> In der Lausitz naht der Kohleausstieg. Viele Menschen fühlen sich | |
> abgehängt. Ein Verein möchte mehr Bürger an der Zukunftsgestaltung | |
> beteiligen. | |
Bild: Jetzt schon museal: Schaufelrad eines Kohlebaggers im brandenburgischen W… | |
„Gott schuf [1][die Lausitz] und der Teufel die Kohle darunter“, besagt ein | |
altes [2][sorbisches] Sprichwort. Seit über zweihundert Jahren wird in der | |
Lausitz Kohle abgebaut – mitsamt all den viel diskutierten [3][Folgen für | |
Landschaft], Bevölkerung, Wasserhaushalt und Klima. | |
Ab 2038 ist damit Schluss. Allein in meiner Straße kenne ich zwei Frauen, | |
die ihr ganzes Leben lang in der Kohle gearbeitet haben. Ein Knochenjob, | |
den sie trotzdem gern gemacht haben: „Das kann man sich heute vielleicht | |
nicht mehr vorstellen, aber wir waren hier das Rückgrat der DDR“, erklärte | |
mir eine von ihnen nicht ohne Stolz. | |
Die Identifikation mit der Kohle ist in der Region nach wie vor hoch. | |
Trotzdem haben sich viele Menschen damit abgefunden, dass der Ausstieg | |
kommen wird. Nur über das Wie herrscht noch Diskussionsbedarf. Mit dem | |
Kohleausstieg steht die Lausitz vor enormen Herausforderungen. Einer der | |
letzten großen Industriezweige in einer ansonsten vergleichsweise | |
strukturschwachen und überalterten Region fällt weg. | |
Um den nötigen Umbau zu unterstützen, wurde 2020 das Investitionsgesetz für | |
Kohleregionen verabschiedet. Allein auf die sächsischen Landkreise Bautzen | |
und Görlitz entfallen damit bis 2038 knapp 7 Milliarden Euro. | |
Der sogenannte Strukturwandel ist in vollem Gange. Dabei ist es nicht | |
selbstverständlich, dass derartige Summen in betroffene Regionen investiert | |
werden. | |
Umso bemerkenswerter fand ich, dass ich vor Ort bisher kaum jemandem | |
begegnet bin, der den Strukturwandel und die damit einhergehenden | |
Investitionen mit sich in Verbindung bringt. Ein Nachbar hat es auf den | |
Punkt gebracht: „Ich bin in der DDR aufgewachsen – mein ganzes Leben ist | |
ein einziger Strukturwandel!“ | |
## Auf offene Arme gestoßen | |
Handelt es sich um ein politisches Problem, weil dieser Region – schon | |
wieder – ein Umbruch von oben übergestülpt wird oder ist es vielmehr ein | |
Kommunikationsproblem, weil die Menschen schlichtweg zu wenig von den | |
Prozessen mitbekommen? | |
Das habe ich meine Bekannten Jan und Franzi gefragt, die sich an | |
verschiedenen Stellen für einen ganzheitlichen Strukturwandel engagieren. | |
Spoiler: Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Jan arbeitet seit Jahren | |
im Bereich Bürgerbeteiligung und macht sich als Gründungsmitglied der | |
Lausitzer Perspektiven für mehr Partizipation im Strukturwandel stark. | |
„In Brandenburg sind wir mit dem Thema auf offene Arme gestoßen, in Sachsen | |
eher gegen Wände gelaufen“, erklärte er mir. Er hat den Eindruck, die | |
sächsische Politik fühle sich beinahe bedroht von dem Gedanken der | |
Beteiligung ihr Bürger*innen. Bestehende Beteiligungsformate hätten dabei | |
häufig eher symbolischen Charakter als echte Gestaltungsmacht. | |
Beispielsweise gibt es einen Regionalen Begleitausschuss, in welchem | |
betroffene Landkreise und ausgewählte Gemeinden über kommunale | |
Strukturwandelprojekte abstimmen. | |
Dieser Ausschuss steht in der Prozesskette jedoch so gut wie am Ende, | |
sodass in den meisten Fällen lediglich die Projekte durchgewunken werden, | |
die bereits ministeriell bestätigt worden sind. Zudem sind | |
Interessenvertretungen aus dem Bereich Wirtschaft, Zivilgesellschaft oder | |
Ökologie involviert – nur haben diese kein Stimmrecht. | |
Die echten Entscheidungen werden vornehmlich da gefällt, wo die Betroffenen | |
keinen Zugang haben. Dabei sendet die Kommunikation der Beschlüsse und | |
Zuwendungen zudem oft an den Menschen vor Ort vorbei: „Wir brauchen nicht | |
noch mehr riesige Aufstelltafeln oder Anzugträger, die mit Flipcharts | |
irgendwelche Investitionsströme erklären“, so Franzi. Vielmehr gehe es | |
darum, die Leute da abzuholen, wo sie sind. So zieht eben doch das Fest mit | |
Bockwurst und Bier am besten, bei dem der ansässige Bäcker vom gelungenen | |
Umbau seiner Filiale berichten kann. | |
Neben dem Wie liegt das Problem auch im Was: „Der Strukturwandel in der | |
Oberlausitz ist am Ende des Tages eine business as usual | |
Wirtschaftsförderung“, so Jan. Für ihn ist zumindest fraglich, ob die alte | |
Logik noch gilt, man müsse einfach genügend Arbeitsplätze schaffen und dann | |
kämen die Leute von ganz allein. | |
Natürlich sind beim Strukturwandel wirtschaftliche Veränderungen zentral. | |
Doch wenn es darum geht, diesen Wandel auszugestalten, geht es um mehr als | |
nur die Kompensation von Wirtschaftsfaktoren. | |
Hier wird nicht weniger verhandelt als die Frage, in was für einer Region | |
die Menschen künftig arbeiten und leben wollen. Im Umkehrschluss liegt für | |
Franzi und Jan die Vision darin, den Strukturwandel ganzheitlich zu | |
betrachten – wirtschaftlich, ökologisch und zivilgesellschaftlich. Das geht | |
nur gemeinsam. | |
## Einmalige Chance | |
So einleuchtend dieser Ansatz klingt, räumt Jan nach langen Jahren der | |
Arbeit in verschiedenen Beteiligungsformaten ein: | |
„Das Problem liegt nicht nur auf der Seite der Politik, sondern ist auch | |
ein gesellschaftliches. Ganz oft haben die Leute zwar viel zu meckern, | |
wollen sich aber gar nicht einbringen.“ Auf Kompetenzen der | |
Selbstwirksamkeit in einer gelebten Demokratie können viele nicht | |
zurückgreifen. Der Glaubenssatz, man könne ohnehin nichts bewirken, sitzt | |
tief. Zeit für Engagement muss man sich zudem auch erst mal leisten können. | |
Was ich aus den Gesprächen auch mitgenommen habe: Bei aller berechtigen | |
Kritik sind der Strukturwandel und die Milliardensummen eine einmalige | |
Chance für die Lausitz. Es gibt durchaus Leuchtturmprojekte, wie die | |
Ansiedlung des Deutschen Zentrums für Astrophysik in Görlitz, die eine | |
Strahlkraft auf die ganze Region ausüben können. | |
An machen Stellen braucht es vielleicht auch einfach noch Zeit, bis die | |
Leute merken, dass hier wirklich was passiert. Dass sich das Ganze positiv | |
auf ihr Leben auswirkt. | |
Umso wertvoller ist die Arbeit all der Initiativen, Vereine oder | |
Einzelpersonen, die sich in den betroffenen Regionen unermüdlich mittels | |
soziokultureller Zentren, Beteiligungsformaten oder auch | |
Gewerkschaftsarbeit für einen erfahr- und gestaltbaren sozial-ökologischen | |
Wandel starkmachen. Davon gibt es zum Glück so einige. | |
12 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Linda Leibhold | |
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