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# taz.de -- Stück über Pasolini in Mülheim: Stimme aus dem Totenreich
> Starb Pier Paolo Pasolini, weil er zu viel wusste? Roberto Ciulli setzt
> ihm in „Pasolini. Io so“ am Theater an der Ruhr in Mülheim ein Denkmal.
Bild: Lakonisch schildern die Schauspieler Herzog, Neumann, Glose und Keskin in…
Ein Lakenbündel liegt auf der Bühne, beschwert mit Steinen, kaum von einem
Haufen Müll zu unterscheiden. So, wie Pier Paolo Pasolinis zerschmetterter
Körper am 2. November 1975 in den italienischen Abendnachrichten gezeigt
wurde, bedeckt mit einem Leintuch – hingemetzelt, mit einem Auto
überfahren, ein Klumpen aus Fleisch und Blut. Der Mord an [1][Pasolini, dem
legendären Filmemacher, Dichter, Kommunisten und bekennenden
Homosexuellen], ist bis heute nicht aufgeklärt. Zunächst wurde ein
Strichjunge verhaftet, später DNA von fünf Beteiligten gesichert, heute
wird eine Verschwörung aus Staat, Mafia und Ölindustrie für wahrscheinlich
gehalten.
Pasolini war ein Kämpfer gegen Kapitalismus und Faschismus, seine
kraftvollen, stillen Filme zeigen brutal und wahrhaftig das Leben der
Unterschicht. Ein Kapitel seines damaligen Romanprojekts „Petrolio“ bleibt
bis heute verschwunden – und bleibt ein düsteres Geheimnis, passend zu
jenen, die das Theater an der Ruhr im neuen Aufführungszyklus „Geheimnis“
des Theaters an der Ruhr zum Thema macht. Die erste Inszenierung „Pasolini.
Io so“ hat Roberto Ciulli übernommen, Gründervater des Theaters, Bruder im
Geiste Pasolinis und selbst eine 90-jährige Legende.
Der Abend beginnt wie eine Lesung: Nachdem die Nachrichten von damals
eingeblendet wurden, sitzen fünf Schauspieler auf Stühlen wie in einem
Tribunal vor uns, wechseln später an Schulpulte wie gehorsame Schüler.
Lakonisch und nüchtern schildern Klaus Herzog, Albert Bork, Bernhard Glose,
Ferhat Keskin in eigenen Worten, was geschah, berichten von rechtsradikaler
Häme über Pasolinis Tod, lesen einen Brief der Schriftstellerin Oriana
Fallaci und Teile aus seinem letzten Interview: „Ich steige in die Hölle
hinab und weiß Dinge, die den Frieden anderer nicht stören. Aber gebt acht:
Die Hölle steigt zu euch hinauf.“
## „In der Schwärze meines Todes“
Wie Botschaften aus dem Jenseits und Kommentare zur Gegenwart wirkt das
zuweilen: Pasolini spricht davon, wie viel er „weiß“ (io so), droht,
konkrete Namen zu nennen und beschreibt einen mörderisch
faschistisch-neoliberalen Komplex aus „Willkür, Wahnsinn und Geheimnis“.
Aktueller klingen seine Worte, als man es sich je hätte träumen lassen.
Doch immer stärker gleitet die Welt der Kunst und des Traums in das
aseptisch-dokumentarische Setting, wechselt das Licht, sinken die Köpfe der
Schauspieler auf die Tische. „Unter einer Linde, zart vor Grün, sterb ich
in der Schwärze meines Todes“, spricht Schauspielerin Maria Neumann ein
Pasolini-Gedicht, als Eva Mattes in Schwarz als Pasolinis Mutter auf die
Bühne schreitet. Sie entkleidet Neumann wie ein Kleinkind bis auf die
Unterwäsche, setzt sie sich so zärtlich trauernd wie übergriffig auf den
Schoß: Pietà-Metapher und Sinnbild einer widersprüchlichen Beziehung: „Wir
sind Überlebende: in uns das Labyrinth eines Daseins jenseits der
Vernunft.“
Hinten werkeln vier Schauspieler auf einem Gerüst an einem Fresko, das
einen seltsam verwischten, unfertigen Jesus mit Dornenkrone zeigt.
Pasolini, der Allround-Autodidakt, restaurierte auch Kirchen. Zugleich
erscheint das Bild wie ein Verweis auf die trotzige Widerstandskraft der
Kunst gegen die faschistische Landnahme. Dennoch bleibt sie hilflos und
fehlerhaft, gefertigt von einfachen Menschen – die ja auch Pasolini
porträtierte.
Ein Engel steigt eine Leiter herab, lasziv legt sich Schauspieler Mohammad
Saado Kharouf vorne an den Bühnenrand. Die anderen kicken derweil mit einem
Fußball herum, eine weitere Leidenschaft Pasolinis. Sie heben das Laken,
unter dem wir gerade noch seine Leiche verortet haben, lassen es unwirklich
leicht durch die Luft fliegen: Das Schwerste ist das Leichteste, das Größte
zugleich das Banalste. Der Tod verändert seine Bedeutung, der Ermordete
wird zu einem Wesen der Lüfte, dessen künstlerische Spur bleibt. Dann wird
das Laken zum Tischtuch, auf dem die Schauspieler um Eva Mattes herum eine
verknäulte, fröhliche Orgie abhalten.
Regisseur Ciulli ist Meister der feinen Gratwanderung aus Ironie und
Metaphysik. Auch in „Io so“ erschafft er eine surreale Welt zwischen Leben
und Tod, zwischen Trost und Trauer um die ganze Welt. Ciulli setzt dem
Künstler Pasolini ein Denkmal, indem er ihn aus dem Totenreich zu uns
sprechen lässt. Um Wut auf die Verhältnisse oder konkreten Widerstand geht
es nicht mehr – eher um die zarte, unvollkommene und unbesiegbare
Gegenstimme der Kunst.
9 Feb 2025
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## AUTOREN
Dorothea Marcus
## TAGS
Pier Paolo Pasolini
Theater
Italien
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt LGBTQIA
Bühne
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sein.
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