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# taz.de -- Pasolini-Drehbuch auf Deutsch erschienen: Heiliger Paulus vs. Kapit…
> Pasolinis nie realisierter Film über den heiligen Paulus sagt: Der
> Widerstand gegen die „kapitalistische Zivilisation“ will religiös
> begründet sein.
Bild: Pasolini, 1962
Als der heilige Paulus nach New York kommt, versammelt er die Armen,
Kranken und Ausgeschlossenen um sich. Auch die „Engel der Verdorbenheit aus
Protest“ finden sich ein: Im Hof seines heruntergekommenen Hotels an der
West Side spricht Paul „wie Ginsberg“ zu Beatniks und Hippies, wild
gestylten Schwarzen, zu geschminkten Schwulen, jungen Strichern, alten
Trinkern und zu Bettlerinnen herabgesunkenen alten Huren: „Ich weiß und bin
im Herrn fest davon überzeugt, dass nichts aus sich selbst unrein ist,
sondern etwas unrein nur für den ist, der es für unrein hält.“
Das ist die Sprache der Liebe, doch schon bei seiner nächsten Rede schlägt
der Ton des Apostels um: „Wer sich der staatlichen Ordnung widersetzt,
stellt sich gegen die von Gott eingesetzte Ordnung.“ Paulus Ansprache geht
im Tumult unter. Der Protest junger Leute, die auf der richtigen Seite
stehen, „ist unendlich beängstigender als jegliche faschistische Randale“,
wie Pier Paolo Pasolini anmerkt.
Im Mai 1968 skizzierte Pasolini diese Szenen in seinem Drehbuch für einen
schon lange geplanten Film über Paulus, der allerdings nie realisiert
wurde. Das Skript, das er 1974 noch einmal gründlich überarbeitet hatte,
wurde 1977, zwei Jahre nach seinem Tod, auf Italienisch und Französisch
veröffentlicht, fand aber kaum Widerhall. Jetzt ist das faszinierende Buch,
dessen „poetische Idee“ schlicht darin besteht, „die Lebensgeschichte des
heiligen Paulus auf heutige Zeiten zu übertragen“, endlich auf Deutsch
erschienen.
„Himmel im Gegenlicht“ lautet die mysteriöse Ortsangabe einer Szene am
Anfang, in der Lukas, der als Verfasser der Apostelgeschichte gilt,
auftritt und direkt zum Zuschauer spricht: „Keine Wüste wird jemals ein
verlassenerer Ort sein als ein Haus, ein Platz, eine Straße, in denen man
im Jahr 1970 nach Christus lebt. Hier herrscht Einsamkeit. Schulter an
Schulter mit deinem Nachbarn, eingekleidet im eigenen Kaufhaus, Kunde
deiner eigenen Läden, Leser deiner eigenen Zeitungen, Zuschauer deines
eigenen Fernsehens, herrscht hier Stille.“ So sieht die „Entwicklung ohne
Fortschritt“ aus, die Pasolini nicht nur im Nachkriegsitalien am Werk
sieht.
Denn der totalitäre Konsumismus hat in der Lesart Pasolinis „sämtliche
überkommenen gesellschaftlichen Institutionen – Familie, Kultur, Sprache,
Kirche -„ zerstört, schreibt er später in einem Zeitungsartikel. Große
Teile der Bevölkerung seien innerhalb weniger Jahre aus ihrer
traditionellen bäuerlichen Lebenswelt in die modernen Konsumwelten
hineinkatapultiert worden, in denen die Vergangenheit ausgelöscht wird.
Mit ihrer alten Welt haben diese Menschen in den Augen Pasolinis ihre
Gelassenheit, Fröhlichkeit und ihre Würde verloren. Nach dieser „ersten,
wahren Revolution von rechts“ herrschen überall lange Haare, Neurosen und
Angst. Sein Paulus-Film soll dem Zuschauer nun mitteilen, „dass ‚der
heilige Paulus hier, heute unter uns‘ ist. Dass er sich an unsere heutige
Gesellschaft richtet; dass sie es ist, die er beweint und liebt, die er
bedroht, und der er verzeiht, die er angreift und zugleich zärtlich
umarmt.“ Pasolini verschiebt die Handlung seines Films also um 1.900 Jahre,
wobei den einzelnen Stationen der paulinischen Reisen jeweils die realen
Daten vorangestellt werden. Außerdem verlegt Pasolini die Schauplätze an
andere, der gegenwärtigen Situation angemessene Orte. Die Hauptstadt des
Imperiums heißt demnach nicht mehr Rom, sondern New York. Das Jerusalem des
historischen Paulus findet Pasolini in Paris wieder. Doch trotz all dieser
Transpositionen soll wie in seiner Verfilmung des Matthäus-Evangeliums an
einem nicht gerüttelt werden: dem Originaltext der von Paulus
geschriebenen, bzw. der ihm zugeschriebenen Briefe. „Ihr seid von Gott
selbst gelehrt, einander zu lieben“, agitiert Paulus also die Leute.
Im Drehbuch entwickelt diese erst einmal arg theoretisch anmutende Idee der
Übertragung erstaunliche Kraft. Mit meist nur ganz knappen, aber umso
genaueren Beschreibungen sowie den Paulus-Briefen entnommenen
Redefragmenten gelingt es Pasolini, Bilder und Szenen nicht nur plastisch
werden, sondern auch plausibel erscheinen zu lassen. Wer je einen
Pasolini-Film gesehen hat, kann gar nicht anders, als bei der Lektüre
dieses Drehbuchs jede Einstellung klar umrissen vor sich zu sehen. Jedes
Gesicht, jede Geste ist sofort präsent.
Paulus erscheint als Mann, „der in zwei Persönlichkeiten gespalten ist“.
Als Mystiker und Revolutionär spricht er von universeller Liebe,
gleichzeitig ist er ein Bourgeois, der sich als Organisator einer neuen
Kirche hervortut. Pasolini will mit dieser Figur die Konformismen seiner
Zeit angreifen, „im scheinheiligen und konventionell religiösen Sinn
(analog zu den Juden) und im weltlichen, liberalen und materiellen Sinn“.
Hier deutet sich schon an, was an seinem Paulus am problematischsten ist:
Pasolini setzt nämlich nicht nur die gesetzestreuen pharisäischen Juden,
denen Paulus vor seiner Bekehrung angehörte, mit den in Jerusalem
herrschenden Sadduzäern gleich, was die Herausgeber der deutschen Ausgabe,
Reinhold Zwick und Dagmar Reichardt, zu Recht kritisieren. Durch seine
Transposition von Jerusalem ins Paris der deutschen Besatzung wird aus dem
Pharisäer Paulus darüber hinaus ein Nazikollaborateur, womit Pasolini die
jüngere antisemitische Figur des Zionisten als neuen Nazis quasi historisch
umkehrt. Ganz im Stil des zeitgenössischen Antiimperialismus ist auch eine
Anmerkung Pasolinis gehalten, in der die Befreiung Frankreichs als
Fortsetzung der deutschen Besatzung durch die Amerikaner gedeutet wird:
„Formal gesehen handelt es sich um ein und dieselbe Sache.“
Der gute Paulus dagegen gerät Pasolini gerade in seiner Gespaltenheit und
Schwäche zum Objekt der Identifikation. Paulus wird von einer mysteriösen
Krankheit, „einem Stachel im Fleisch“, gequält. Pasolini deutet an, dass
Paulus unter seiner Homosexualität leidet und verweist damit auf sein
eigenes zwiespältiges Verhältnis zum Schwulsein. Als junger Mann war er
wegen seiner Homosexualität verfolgt worden, die er selbst immer als etwas
Äußerliches ansah: „Ich habe sie immer neben mir gesehen wie einen Feind,
ich habe sie nie in mir empfunden.“
Mitherausgeber Reinhold Zwick beleuchtet in seinem präzisen Nachwort die
Entstehungsgeschichte des Projekts mit einer Fülle von Querverweisen.
Allerdings hält er Pasolinis Auseinandersetzung mit Paulus für ein beinahe
solitäres Unterfangen in jüngerer Zeit und unterschätzt so die Rolle, die
die paulinische Theologie in der zeitgenössischen Theorie spielt. Seit
Jacob Taubes Vortrag über die politische Philosophie des Paul Ende der
Achtziger haben sich so produktive Theoretiker wie Giorgio Agamben, Alain
Badiou oder Slavoj Þiþek intensiv mit Paulus auseinandergesetzt.
Richtig ist aber, dass Pasolini den Philosophen vorausgriff, indem er mit
seinem Paulus-Projekt nicht nur einmal mehr die für ihn typischen
dialektischen Denkbewegungen vollführte, vermeintlich klare Verhältnisse in
ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu zeigen. Pasolini entwickelte
nämlich eine ganz eigene Vorstellung davon, was in der Moderne unter
aktuell und heilig zu verstehen sei. Unter Aktualität verstand Pasolini
jene Sphäre der Geschichte, „die in ihrem Exzess von Gegenwärtigkeit und
Dringlichkeit dazu neigt, ins Mysterium, die Abstraktheit und die Welt der
Fragen auszuweichen“. Gerade im vermeintlich konkreten Feld des Aktuellen
herrschen Mystifizierungen. Dagegen mischt sich das Göttliche für Pasolini
gerade in seiner religiösen Abstraktheit unter die Menschen, um dort
konkret wirksam zu werden: Je „heiliger“ also die Antworten des Paulus
ausfallen, schreibt Pasolini im Treatment zum Film, „umso stärker wühlen
sie die aktuelle Realität auf, widersprechen ihr und modifizieren sie“.
Hier deutet sich an, was es heißen kann, wenn sich Pasolini einerseits als
Kommunist und Marxist, andererseits aber auch als religiöser Humanist
bezeichnete. Immerhin schockierte ihn der Gedanke an die Legalisierung von
Abtreibung, weil das Leben heilig sei. „Was schwach ist in der Welt, hat
Gott erwählt, um zuschanden zu machen, was stark ist“, sagt Paulus in
seinem Brief an die Korinther und auch in Pasolinis Film.
Pasolini war aber außerdem der festen Überzeugung, dass die Opposition
gegen die neue, sich auf den Konsum stützende Macht eine Opposition sein
muss, „die auch religiösen Charakter hat“. Die Kirche aber hat ihre Chance
verspielt, sich auf die Seite des Widerstands zu stellen. Das ist ein
historischer Irrtum, „den sie wahrscheinlich mit ihrem endgültigen
Niedergang bezahlt“, wie Pasolini glaubte, und wahrscheinlich auch der
Grund gewesen, warum er Anfang der Siebziger sein Drehbuch gar nicht mehr
realisieren wollte. Das, sagte er, käme einem Meuchelmord gleich.
Pasolinis Paulus-Projekt lässt sich so als Beitrag zur wieder aufgeflammten
Debatte darüber lesen, welcher Stellenwert der Religion heute in der
Politik zukommt. Für Marx führte erst die radikale Kritik der Religion zum
„kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch
ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches
Wesen ist“. Pasolini dagegen fand diesen Imperativ schon bei Paulus
vorgedacht: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und Gottes Geist
in euch wohnt?“
19 Feb 2008
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Pier Paolo Pasolini
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