| # taz.de -- „Zwischenraum“ für die Partizipation: Der Vinyl-Schatz vom Mus… | |
| > Ein Scharnier zwischen Drinnen und Draußen, Museum und Menschen: Der | |
| > „Zwischenraum“ im Hamburger ethnologischen Museum MARKK wird sechs Jahre | |
| > alt. | |
| Bild: Ein Hauch von Provisorium: der „Zwischenraum“ im MARKK | |
| Ganz niedrigschwellig ist er nicht, denn man muss Eintritt zahlen, wenn man | |
| den „Zwischenraum“ besuchen möchte – außer donnerstags ab 16 Uhr: Da ist | |
| seit 2018 das ganze Museum gratis zu besuchen, bis 21 Uhr sogar. | |
| Das mit dem Geld habe rein praktische Gründe, sagt Kurator Gabriel | |
| Schimmeroth. In der Tat liegt der Raum genau zwischen der Eingangshalle und | |
| dem Durchgang zur regulären Ausstellung. Weil der sich aber lückenlos | |
| kontrollieren lässt, so ein Museum aber stets klamm ist, muss man eben | |
| zahlen. | |
| Das „Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt“ (MARKK) hieß bis | |
| 2017 „Museum für Völkerkunde“. Hervorgegangen ist es 1867 aus der | |
| ethnografischen Sammlung der Hamburger Stadtbibliothek. In den Folgejahren | |
| bekam es etliche Objekte geschenkt, von Kaufleuten mitgebracht aus den | |
| Kolonien. Wie in allen ethnologischen Museen Europas wurden die Exponate | |
| hier als „exotisch“ und kulturell unterlegen präsentiert. Etliche waren | |
| geraubt worden, illegal oder deutlich zu günstig erworben – lange Zeit, | |
| ohne dass man es kenntlich machte. | |
| Eben dieser Aufarbeitung und, wo möglich, [1][Restitution], gilt die 2017 | |
| gestartete Neuausrichtung. Seither sucht man mit Ausstellungen etwa über | |
| das kulturelle Erbe der durch Atomtests versuchten, heute vom Klimawandel | |
| bedrohten [2][Marshall-Inseln], über [3][Salpeter]-Kolonialismus in Chile | |
| oder die einst in „Völkerschauen“ gezeigten [4][Sami] Provenienzforschung | |
| und aktuelle Diskurse zu verbinden. | |
| ## Raum mit Depot-Atmosphäre | |
| Im Zuge dessen wurde auch jener „Zwischenraum“ eingerichtet, der, leicht | |
| provisorisch, an ein Depot erinnert. Povisorisch geriet vielleicht auch die | |
| Jubiläumsplanung: Hatte das MARKK zunächst verkündet, der Raum werde fünf | |
| Jahre alt, sind es tatsächlich schon sechs. | |
| Was seinem Transit-Anspruch umso mehr gerecht wird: Als „dritter Raum“ – | |
| weder privat noch kommerziell – wurden da 300 Quadratmeter Museum wirklich | |
| bewohnbar gemacht. Zuvor hatte man dort eine Ausstellung zu | |
| Forschungsreisen des späteren Museumsdirektors Jürgen Zwernemann aus den | |
| 1950er-Jahren gezeigt. Fenster wurden freigelegt, Tageslicht | |
| hereingelassen, Essen und Trinken erlaubt – Dinge, die im Museum wegen der | |
| empfindlichen Exponate normalerweise tabu sind. | |
| Dabei versteht sich der „Zwischenraum“ nicht etwa als Gegenentwurf zum | |
| übrigen Museum, sagt Gabriel Schimmeroth, zugleich Veranstaltungsleiter und | |
| Projektkoordinator des MARKK. „Die Idee war anfangs auch, hier Menschen | |
| zusammenzubringen, die den Wandel zum MARKK verstehen wollten.“ In den | |
| vergangenen Jahren habe sich der Raum dann immer mehr zu einem Ort für | |
| experimentelle Ausstellungs- und Veranstaltungsformate entwickelt. | |
| Man hat in diesem Fall also gar nicht, wie andere Museen und Konzerthäuser, | |
| explizit auf eine Verjüngung der Besucherschaft gezielt. Vielmehr sollten | |
| partizipative Angebote ein diskursfreudiges Publikum locken, das sich für | |
| die Provenienzforschung des MARKK interessiert oder für Restaurierung; | |
| eines, das gemeinsam museumsrelevante Texte durcharbeitet, aber auch gern | |
| mal feiert. | |
| ## Sütterlin und Elektronische Musik | |
| So ist es dann auch gekommen: Der „Zwischenraum“ bietet kleine | |
| Ausstellungen, Gespräche, offene Proben, Performances und Workshops – auch | |
| zum Sütterlin-Lernen, für jene, die Omas Briefe entziffern wollen; da kamen | |
| laut Kurator 25 Leute. Man wolle einen „modernen, flexiblen Umgang mit dem | |
| Museumserbe“, sagt Schimmeroth. So ließ man etwa den | |
| britisch-jamaikanischen Künstler [5][Satch Hoyt] unter dem Motto „Sonic | |
| Restitutions“ auf historischen Instrumenten aus dem Museumsdepot spielen | |
| und mit heutiger elektronischer Musik verbinden. | |
| Mit zufällig auf dem Museumsdachboden gefundenen Kisten mit Schallplatten | |
| wiederum begann das gut besuchte Vinyl-Projekt, für das man den Hamburger | |
| DJ Sebastian Reier alias [6][Booty Carrell] gewann. „Inzwischen sind die | |
| Platten im ‚Zwischenraum‘ neu präsentiert und können auf einem | |
| Plattenspieler angehört werden“, sagt Schimmeroth. | |
| Stattgefunden hat aber auch ein „Thementag“ für den kurz zuvor verstorbenen | |
| linken US-Anthropologen [7][David Graeber] (1961–2020) oder Performances | |
| der namibischen Künstlerin Tuli Mekondjo. Regelmäßige Gäste sind die | |
| ResidenzkünstlerInnen des MARKK: Bei der anstehenden Geburtstagsparty wird | |
| sich der indische Künstler und Aktivist Sujatro Ghosh vorstellen. | |
| „Unser großer Vorteil ist, dass wir – anders als der mit langem Vorlauf | |
| arbeitende Ausstellungsbetrieb – schnell reagieren können“, sagt der | |
| Kurator. So folgte auf den Tod der 22-jährigen [8][Jina Mahsa Amini] in | |
| iranischem Polizeigewahrsam im September 2022 bald ein Werkstattgespräch im | |
| „Zwischenraum“ und im Januar 2023 eine Ausstellung des „Woman* Life Freed… | |
| Collective Hamburg“. Und kurz nach Bekanntwerden der frauenfeindlichen, | |
| gewalttätigen Tradition des Borkumer „[9][Klaasohm]“ Ende 2024 gab es | |
| Anfang Januar eine Debatte über die Wandlungsfähigkeit von Traditionen mit | |
| Filmemacher Gunnar Krupp und dem Ethnologen Thomas Hauschild sowie eine | |
| Präsentation von Krampus-Masken. | |
| ## Breites Altesspektrum | |
| Entstanden ist der „Zwischenraum“ im Zuge des 2019 gestarteten vierjährigen | |
| Projekts „MARKK in Motion – Initiative für Ethnologische Sammlungen“, | |
| gefördert von der Kulturstiftung des Bundes. Von diesem Geld wurden unter | |
| anderem der Umbau sowie die Veranstaltungen der ersten Jahre finanziert. | |
| Ende 2023 liefen die Bundesmittel aus. Er sei „froh, dass wir den Raum, | |
| dessen Veranstaltungen bis zu 200 Leute besuchen, verstetigen konnten“, | |
| sagt Schimmeroth. „Unsere BesucherInnen sind zwischen 20 und 80 Jahre alt | |
| und interagieren sehr gut miteinander.“ Und sei auch das nun vom MARKK | |
| gestellte Budget weniger üppig, könne der Betrieb gut weiterlaufen. | |
| Derzeit zum Beispiel reflektieren Menschen jeden Alters in der Reihe | |
| „Coding Culture – Emojis, Memes, Museum“ über Nutzung und Bedeutung solch | |
| heutiger Zeichen. „Es ist wichtig, diese Debatten, die wir in einem nicht | |
| produktiven, oft toxischen Sinne ins Digitale ausgelagert haben, in den | |
| analogen Raum zurückzuholen“, sagt Schimmeroth. „Das Bedürfnis danach ist | |
| groß.“ | |
| 8 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hamburger-Ausstellung-von-Benin-Bronzen/!5820824 | |
| [2] /Ausstellung-Lose-Enden-in-Hamburg/!5945848 | |
| [3] /Koloniale-Gewalt-in-Chile/!6011888 | |
| [4] /Hamburger-Ausstellung-ueber-Sami-Kultur/!5961592 | |
| [5] /!289546/ | |
| [6] /Streit-um-Golden-Pudel-Club/!5012364 | |
| [7] /David-Graeber-ist-tot/!5712342 | |
| [8] /Zwei-Jahre-Frauenproteste-im-Iran/!6034100 | |
| [9] /Nach-Recherchen-zum-Klaasohm-Fest/!6050231 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Kolonialismus | |
| Chile | |
| Provenienzforschung | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Vinyl | |
| Dokumentarfilm | |
| Afrika | |
| Mongolei | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Regisseur über Salpeter-Abbau in Chile: „Natürlich war das Ausbeutung“ | |
| Robert Krieg hat mit „Weißes Gold“ einen Dokumentarfilm über seine | |
| Hamburger Vorfahren gemacht. Die haben sich an Naturvorkommen in Chile | |
| bereichert. | |
| Staatsministerin Keul über Afrikapolitik: „Das haben wir so nicht kommen seh… | |
| Putsche, Kriege, Fortschritte: Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen | |
| Amt, zieht eine gemischte Bilanz der deutschen Afrikapolitik in den | |
| Ampeljahren. | |
| Die Aktualität nomadischen Designs: Vom wenig romantischen Jurtenleben | |
| Die Hamburger Ausstellung „Jurte jetzt!“ erklärt zwar schön nomadische | |
| Symbole. Aktuelle Probleme zentralasiatischer Menschen deutet sie aber nur | |
| an. |