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# taz.de -- Durs Grünbeins „Der Komet“ auf der Bühne: Dresden sitzt sich …
> Tilmann Köhler inszeniert Durs Grünbeins Roman „Der Komet“ über das
> Dresden der NS-Zeit fürs dortige Staatsschauspiel. Dabei setzt er voll
> aufs Sprechtheater.
Bild: Ein Spiegel über Dresden, in dem das Publikum zunehmend sich selbst sieh…
Es mag kein Zufall sein, dass Durs Grünbeins „Der Komet“ gerade jetzt
seinen Weg auf die Bühne des Staatsschauspiels Dresden findet, wo doch
vielerorts daran erinnert wird, dass Auschwitz vor 80 Jahren befreit wurde.
Gleichsam jähren sich am 13. Februar auch die Luftangriffe auf Dresden zum
80. Mal, deren Gedenken die Stadt bekanntlich spaltet. In diejenigen, die
einer Legende von der Unschuld Dresdens an den Zerstörungen und 25.000
Opfern folgen. Und in jene, die „Nie wieder!“ rufen und „Wehret den
Anfängen!“.
[1][Grünbeins jüngster Roman, erschienen 2023,] ist einerseits ein Roman
über diese Stadt; ein faktenreicher literarischer Stadtführer, ja sogar
eine Liebeserklärung an Dresden, wo der Autor 1962 geboren wurde. Eine
Kunststadt ist sie für Grünbein weiterhin, „altehrwürdig“, wird in den
1930ern aber als dynamisch, gar „erotisch“ beschrieben, schwer vorstellbar
heute. Sie ist der Sehnsuchtsort für Dora, Grünbeins Großmutter, die vom
schlesischen Lande herkommt und mit ihrer großen Liebe Oskar vier „goldene
Jahre“ bis zum Kriegsausbruch 1939 erlebt. Bis er eingezogen wird und als
verschollen an der Ostfront gilt und bis Dora mit ihren beiden Mädchen das
Bombardement Dresdens knapp überlebt.
In diese biografische Erzählung spielt das andere Dresden hinein, das meist
verdrängte. Die erste Reichstheaterfestwoche 1934, ein Jahr zuvor schon die
erste weichenstellende Ausstellung „Entartete Kunst“, eine höfische Stadt
des besonders devoten Führerkults. Der Grundstein für ein
größenwahnsinniges Gauforum war schon gelegt. Das einfache, aber seelisch
und moralisch intakte Paar erlebt, wie Repressionen im gleichgeschalteten
Staat immer mehr auf sein Leben durchgreifen.
Das ist im Grunde „Oral History“, die authentische Auffächerung von
Geschichte als eine Summe von Geschichten. Die Romanvorlage erzählt und
beschreibt überwiegend, Dialoge sind selten. Ein Handicap für die Bühne?
[2][Regisseur Tilmann Köhler] wählt erstaunlicherweise das Einfache, das
schwer zu machen ist. Er lässt die sieben Darstellenden den Text
nacherzählen. Verteilte Rollen, dann wieder chorisch im Block, imponierende
Soli, gelegentlich ein schlichtes Lied, begleitet nur von einer dezenten
Gitarre. Mit solchen exzellenten Schauspielern kann man das wagen. Sie
verdienen eigentlich ein Kollektivlob, aber Henriette Hölzel und Karina
Plachetka kommen den Vorstellungen von der sympathischen, sinnlichen
Hauptfigur Dora vielleicht am nächsten.
## Nix für Castorf-Anhänger
Köhler war schon in seiner Zeit als junger Hausregisseur am
Staatsschauspiel bis 2016 kein Krawallmacher, sondern ein solider Arbeiter.
[3][Anhänger von Frank Castorf] sollten sich also diesen Theaterbesuch
schenken. Sie würden halbstündiges Kino auf der Hinterbühne, aufgesetzte
Predigten und Drastik nur vermissen.
Köhler setzt stattdessen auf die ursprüngliche Kraft des Sprechtheaters.
Das Konventionelle kann ja heute schon wieder als ausgefallen gelten.
Sparsamkeit erweist sich als Gewinn. Man erlebt viel mehr als etwa eine
szenische Lesung, denn die Illustrationen sind sehr genau gearbeitet und
gestische Unterstreichungen harmonieren. Das nutzt sich über zweieinhalb
Stunden reine Spielzeit auch nicht ab oder erschöpft sich in Stereotypen.
Bei der von Regie und Spielern gemeinsam vorgenommenen Textauswahl kommen
allerdings die vom Autor ins Biografisch-Narrative eingestreuten
bekenntnishaft-essayistischen Passagen zu kurz. Sie stellen den Zeitkontext
her und verweisen damit unaufdringlich auf bestürzende Parallelen heute.
Das Bühnenbild von Karoly Risz ist ein Statement für sich. Eine schräge
Spielfläche mag wiederum modisch erscheinen, aber hier stimmt das Sinnbild.
Heute wie damals gerät alles ins Rutschen, sogar der Kinderwagen muss
festgehalten werden. Die Fläche zeigt einen stilisierten Dresdner
Innenstadtplan. Einzelne Planquadrate können herausgenommen werden, um
bestimmte Orte zu simulieren, ein Verschwinden im Untergrund ist ebenso
möglich.
## Narzisstische Selbstbespiegelung
Als besonders bildstark erweist sich der zunächst kaum beachtete
Deckenspiegel. Den titelgebenden Unheilkometen Halley von 1910 kann man da
oben vermuten, ebenso den [4][1937 verunglückten Zeppelin „Hindenburg“],
der die Bombergeschwader vorwegnahm. Gegen Ende senkt sich der Spiegel
schräg herab und die zu narzisstischer Selbstbespiegelung neigenden
Dresdner sitzen plötzlich sich selbst gegenüber. Zur Premiere erschien die
Kulturelite der Stadt. Manche meinten selbstkritisch, Roman und
Bühnenfassung funktionierten so nur in Dresden. Nein, die janusköpfige
Stadt steht exemplarisch für Nazideutschland.
28 Jan 2025
## LINKS
[1] /Familienerinnerungen-von-Durs-Gruenbein/!5979186
[2] /Macbeth-am-Deutschen-Theater/!5015837
[3] /Spielzeitbeginn-Deutsches-Theater-Berlin/!5958175
[4] /Abschluss-der-Gereon-Rath-Krimis/!6049393
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Theater
Dresden
Holocaust-Gedenktag
Roman
Jugend vor den Ostwahlen
Literatur
Postkommunismus
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