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# taz.de -- Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen: Ab jetzt ist das Motto: Hab…
> Die Grünen hoffen, vom Flirt der CDU mit der AfD zu profitieren. Rote
> Linien oder eine Absage an Schwarz-Grün gibt es auf ihrem Parteitag aber
> nicht.
Bild: Sieht die Wahl als „Weichenstellung“: Robert Habeck mit Parteichefin …
Berlin taz | Am Sonntagmittag geht es für einen kurzen Moment um eine der
Wahlkampfpannen, mit denen sich die Grünen das Leben selber schwermachen.
Susanne Hilbrecht, Delegierte aus der Parteibasis in Schleswig-Holstein,
steht auf der Bühne der Berliner Messehalle. Sie spricht über den
Grünen-Vorschlag, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben – was Robert
Habeck vor zwei Wochen vorgeschlagen hatte, [1][ohne zu erwähnen, dass
Kleinsparer*innen ausgenommen sein sollen].
„Was ihr uns hier geboten habt, hat zumindest bei uns an den
Wahlkampfständen einiges an Unruhe verursacht“, sagt Hilbrecht über den
Aufruhr, der danach durchs Land ging.
Aber viele Zuhörer*innen hat sie in diesem Moment nicht: Die Rede von
Kanzlerkandidat Robert Habeck ist schon zwei Stunden her, bis zu der von
Annalena Baerbock ist es noch eine Weile hin. Viele Delegierte des
eintägigen Grünen-Parteitags holen sich gerade einen Kaffee oder tratschen
in den Gängen. Die Debatte über die Kapitalerträge, [2][die Affäre um den
geschassten Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaa]r und die Tatsache, dass
die Umfragewerte der Grünen im Moment wieder leicht zurückgehen: Zur Prime
Time ist davon keine Rede.
Im Gegenteil: „Was in den letzten Wochen, in den letzten zweieinhalb
Monaten passiert ist, übertrifft alle Erwartungen“, sagt am Vormittag
Robert Habeck zu Beginn seiner Rede. Der Grünen-Wahlkampf, meint er, läuft
super.
## Stunde Null dank Merz
Wozu soll er die Pannen auch erwähnen? Wenn nicht alles so ernst wäre,
könnten die Grünen am Montag einen Präsentkorb ins Büro von CDU-Chef
Friedrich Merz schicken lassen. Nachdem der Unions-Kandidat als Reaktion
auf den Messer-Angriff von Aschaffenburg radikale Verschärfungen des
Asylrechts forderte [3][und sich dabei auch in Richtung AfD öffnete], fragt
von den Journalist*innen auf dem Grünen-Parteitag kaum noch jemand nach
den Geschichten der letzten beiden Wochen. Die Agenda hat sich geändert.
Und die Grünen – bei aller ehrlichen Bestürzung über Merz’ neuen Kurs –
wittern ihrerseits eine neue Chance für ihren Wahlkampf.
Knapp 25 Minuten spricht Habeck vor den Delegierten und den größten Teil
seiner Rede widmet er der Gefahr, dass die Konservativen in Zukunft
wirklich mit der AfD zusammenarbeiten könnten. „Wir sehen in Europa, dass
die Dinge ins Rutschen geraten“, sagt er. Für ihn gelte weiter, dass „die
Gemeinsamkeiten der demokratischen Parteien der Mitte immer stärker sein
müssen als die Nähe zu den rechtsradikalen Populisten“. Ob es dabei in
Deutschland und der EU bleibt, sei eine „entscheidende Weiche in diesen
Jahren, die nicht falsch gestellt werden darf“.
Und weiter, mit Verweis auf die drohende Regierungsübernahme der FPÖ in
Österreich: „Wenn es in Österreich passieren kann, kann es auch in
Deutschland passieren. Die Entscheidung, ob es passiert, steht jetzt zur
Wahl.“ Bei den Grünen im Saal kommt dieser Sound gut an: Wenig später gibt
es Standing Ovations, als Habeck vom „besten Deutschland, dass wir jemals
hatten“ redet, dass es zu verteidigen gelte. Der genaue Wortlaut geht im
Beifall unter.
## Schon mal gescheitert
Doch bei aller Begeisterung unter den Delegierten: Falls das ab sofort
wirklich der Wahlkampfschwerpunkt der Grüne sein sollte, ist nicht gesagt,
dass sie bei der Wahl auch wirklich davon profitieren. Schon bei den
Landtagswahlen im Osten im vergangenen Jahr hat die Partei stark auf das
Thema „Demokratie retten“ gesetzt. Das Ergebnis, wie Umfragedaten
nahelegen: Ihre Anhänger*innen sind zwar zur Wahl gegangen, haben dann
aber nicht für die (im Osten kleinen) Grünen gestimmt, sondern für die
jeweiligen Amtsinhaber von SPD und CDU. Ziel vieler Wähler*innen war es
offenbar, die AfD als stärkste Partei zu verhindern.
Jetzt ist die Konstellation freilich etwas anders. Auf welcher Seite die
Union steht, ist nach den letzten Tagen ja nicht mehr ganz eindeutig.
Habeck hegt die Hoffnung, CDU und CSU Wähler*innen abnehmen zu können,
die von einem Rechtskurs nichts halten. In seiner Rede erinnert an die Deko
früherer CDU-Parteitage. „Die Mitte“ habe auf den Kulissen gestanden.
„Diese Mitte ist jetzt leer“, sagt Habeck.
Und die SPD? Anders als zuletzt bei den Ost-Wahlen hat sie in den
bundesweiten Umfragen nur einen kleinen Vorsprung vor den Grünen. Für eine
Zuspitzung des Wahlkampfs auf ein Duell zwischen Merz und Scholz spricht
also nicht viel. Und um sicherzugehen, dass es dabei bleibt, erwähnt Habeck
auf dem Parteitag den amtierenden Kanzler aus der SPD noch nicht mal.
## Rückenwind oder Misstrauen?
Umso ausführlicher reden die Grünen an diesem Tag über [4][die
Demonstrationen gegen rechts], die es an diesem Wochenende gab und die an
die große Protestwelle des vergangenen Winters anknüpfen könnte. „Wir
sehen, dass auf einmal das Land wach wird“, sagt Habeck. Fraktionschefin
Britta Haßelmann berichtet in ihrer Rede, dass sie am Samstag selbst am
Brandenburger Tor demonstriert habe. „Jede und jeder Einzelne dort hat
gespürt: Es kommt auf sie, auf ihn an, dort präsent zu sein.“
Allerdings: Als die Demonstrationswelle des letzten Jahres abebbte, hatte
sich unter vielen Teilnehmer*innen ein Gefühl der Enttäuschung
eingestellt. Eine erkennbare Resonanz in der Politik hatte der Protest
damals nicht gefunden. Der Rechtsruck setzte sich nicht nur bei Wahlen
fort. Die Bundesregierung, unter Beteiligung der Grünen, verschärfte die
Asylgesetze. Auf ein Demokratiefördergesetz konnte sich die Ampel dagegen
bis zum Schluss nicht einigen.
Unter Teilen der Wählerschaft könnte sich Misstrauen gehalten haben. Und es
könnte jetzt noch mal angefacht werden. Den Grünen ist es ja weiterhin ein
großes Anliegen, auch nach der Wahl zu regieren. Neben Schwarz-Grün haben
sie im Moment aber keine realistische Machtoption. Und nach den letzten
Tagen müssten sie dafür inhaltlich wohl noch einige Schritte mehr auf die
Union zugehen, als ohnehin schon absehbar war.
Bereitschaft dazu scheint noch da zu sein: Bei aller Kritik an Merz
formuliert auf dem Parteitag niemand aus der Grünen-Führung rote Linien für
mögliche Koalitionsverhandlungen. Geschweige denn, eine grundsätzliche
Absage an Schwarz-Grün. Stattdessen setzen die Spitzen-Grünen darauf, dass
es in der Union innere Bruchlinien geben könnte und dass der weitere Kurs
der Konservativen noch keine beschlossene Sache ist. Als Appell formuliert
das unter anderem Haßelmann: „Ich kenne so viele engagierte Leute auch in
der CDU. Aber was ist bei euch los, wo ist der Kompass?“, sagt sie.
## Wolkig im Wahlprogramm
Ein Wahlprogramm beschließen die Grünen an diesem Tag nebenbei auch noch.
Friedrich Merz kommen sie dabei nicht direkt entgegen. Gegenüber [5][dem
Entwurf des Parteivorstands aus dem Dezember] konnte der linke Flügel
einige Ergänzungen durchsetzen – auch im Kapitel zur Migration.
„Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten sich“, heißt es jetzt
zum Beispiel. Oder: „Die Menschenrechte sind unverhandelbar“.
Viele der Änderungsanträge wurden in Verhandlungen aber auch noch
abgeschwächt. So wollen sich die Grünen nicht „gegen Verschärfungen“ im
Asylrecht stellen, wie es die Grüne Jugend beantragt hatte. Sondern,
wolkiger formuliert: gegen „reine Symbolpolitik und einen Kurs der
Asylrechtsverschärfungen, die nur zu Lasten der Schutzsuchenden gehen“.
Wieder andere Anträge scheiterten komplett, zum Beispiel einer, der die
Möglichkeit des Familiennachzugs auch auf die Gruppe der subsidiär
Schutzberechtigten ausweiten wollte.
Falls die Union also doch wieder zu einer Politik der Kompromisse
zurückkehrt: Mit den Grünen ließe sich noch was machen.
26 Jan 2025
## LINKS
[1] /Gruenen-Plaene-zur-Krankenversicherung/!6058666
[2] /Gruenes-Desaster/!6061781
[3] /Merz-Anbiederung-an-die-AfD/!6061889
[4] /Demos-gegen-rechts-am-Wochenende/!6064757
[5] /Gruenes-Wahlprogramm-2025/!6057556
## AUTOREN
Tobias Schulze
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