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# taz.de -- SPD beschließt Wahlprogramm: Glaube, Hoffnung, Zuversicht
> Die Umfragen sind schlecht, der Wille der SPD, aufzuholen, ist groß. Man
> setzt auf Pragmatismus, linke Inhalte und Olaf Scholz als
> Kanzlerkandidaten.
Bild: Per Akklamation kürt der SPD-Parteitag Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten…
Berlin taz | Ein bisschen Glamour kann nicht schaden. Findet die
SPD-Wahlkampfleitung und projiziert am Freitag das Programm als QR-Code in
den Berliner Nachthimmel. Blöd nur, dass jenseits des etwas abseits
gelegenen Messegeländes kaum jemand etwas von dem Spektakel mitbekommt. Das
passt zur Lage der SPD, die bei 14 Prozent steht und weit hinter der Union
liegt. Der Parteitag soll die Aufholjagd einleiten.
Am Samstagmittag steht Olaf Scholz auf der ausladenden Bühne der City Cube
Halle und sagt: „Also kämpfen wir.“ Es ist ein dramaturgisch fragiler
Moment seines Auftritts. Denn es fehlt die Betonung, die den 596
Delegierten klarmacht, dass die Rede jetzt zu Ende ist. Erst nach zwei,
drei Sekunden klatschen die GenossInnen. Diese unbeabsichtigte Verzögerung
ist ein Symbol für das Verhältnis der Partei zum Kanzler: Es war immer
störanfällig.
Fast die Hälfte der gut 50-minütigen Rede warnt der Kanzlerkandidat vor der
Union. Die CDU/CSU wolle die Renten kürzen und das obere eine Prozent
begünstigen und dafür „einen Riesenkrater von 100 Milliarden in den
Haushalt“ reißen. Wenn die Union regiere, „werden die normalen Leute die
Zeche“ zahlen. Persönliche Angriffe auf den Unionskandidaten spart Scholz
sich.
Die normalen Leute sind eine Art Refrain dieser Rede. Die seien die
„Leistungsträger, nicht die oberen 10.000.“ Die SPD sei Stimme der vielen
Vernünftigen und Anständigen, von Industriearbeitern und Pflegekräften.
„Die normalen Leute haben Anspruch auf pragmatische Lösungen. Die bekommen
sie mit uns.“
## „Verdammt ernste Zeiten“
Scholz redet eher sachlich als gefühlsbetont, eher abstrakt als griffig,
eher allgemein als anschaulich. Wer einen neuen Scholz erhofft hatte, der
den Parteitag anzündet, dürfte enttäuscht sein. Neu ist allerdings eine
Formulierung zur Ampel. „Vielleicht hätte ich öffentlich früher auf den
Tisch hauen und die Ampel früher beenden sollen“, sagt Scholz. Der Beifall
dafür ist spontan und laut.
Wir leben, so Scholz mit Blick auf einen möglichen rechtsextremen Kanzler
in Österreich, in „verdammt ernsten Zeiten“. Es sei eine Zeit der
Enthemmung, nicht nur wegen Putins Krieg. Dass Grenzen unverletzlich sind,
sei ein „westlicher Wert“, der für alle gelte. Gemeint sind damit Trumps
irrwitzige Drohungen an Dänemark, Kanada und Panama. Scholz erwähnt Trump,
der in acht Tagen US-Präsident sein wird, mit Bedacht nicht namentlich. Er
redet als Wahlkämpfer, aber auch als Kanzler, der außenpolitisch
diplomatisch formuliert.
Inhaltlich referiert Scholz die zentralen Punkten des Wahlprogramms.
Unternehmen, die in Deutschland investieren, sollen mit
Steuererleichterungen, [1][einem „Made in Germany“-Bonus gefördert werden].
Der Mindestlohn soll auf 15 Euro steigen. Die SPD will, dass die oberen
fünf Prozent mehr Einkommensteuer zahlen, zugunsten der „normalen Leute“.
Im Programm wird auch die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine
höhere Erbschaftsteuer gefordert, allerdings ohne Zahlen. Scholz möchte
„das obere ein Prozent etwas mehr in die Pflicht nehmen“. Diese moderate
Formulierung ist kein Zufall. Scholz will, dass die SPD Konservativen beim
Thema Umverteilung wenig Angriffsfläche bietet.
## Vom Scholz-Kritiker zum Scholz-Ultra
Für manche Genoss:in dann doch überraschend geht Scholz auf die Jusos zu,
lobt deren Konzept für bezahlbare WG-Zimmer, das es ins Wahlprogramm
geschafft hat. „Von solchen intelligenten Vorschlägen brauchen wir mehr“,
so Scholz väterlich.
Juso-Chef Philipp Türmer bedankt sich überschwänglich bei Scholz und
vollzieht öffentlich den [2][Wandel vom Scholz-Dauerkritiker zum
Scholz-Ultra]. Der sei der Einzige, der noch verhindern könne, dass „Fritze
Merz, dieser ultrakapitalistische Dinosaurier, Kanzler wird. Und dabei hast
du unsere volle Unterstützung.“
Nach dem quälenden parteiinternen Streit um die Kanzlerkandidatur herrscht
parteiintern nun Geschlossenheit. Hauptgegner, da sind sich (fast) alle
einig, ist die Union mit Friedrich Merz, wobei Seitenhiebe auf die grüne
Konkurrenz durchaus erlaubt sind. „Habt ihr keine Selbstachtung“, wirft
Juso-Chef Türmer den Grünen vor, die ihm zufolge jeden Morgen neue
Liebeserklärungen an die Union abgäben. Laut Forschungsgruppe Wahlen sind
die Grünen gerade an der SPD vorbeigezogen – das schmerzt.
Dass Scholz die Union massiv angegangen ist, kommt bei vielen im Saal gut
an. Entwicklungspolitikerin und Parteilinke Sanae Abdi, Direktkandidatin in
Köln, lobt, dass Scholz die Unterschiede zur Union deutlich herausgestellt
habe. Dagmar Schmidt, Sprecherin der Parlamentarischen Linken, findet:
„Scholz hat den richtigen Ton getroffen. Die Zeiten sind ernst, wir
brauchen keinen Zampano.“
Der Tenor: Die Pflicht war gut, die Kür könnte besser sein, aber Scholz sei
eben Scholz.
## Seenotrettung und WG-Garantie
Dass gerade die Parteilinken so versöhnt sind mit ihrer Partei und dem
Kanzlerkandidaten, ist kein Zufall. Fast jeden ihrer Änderungsanträge hat
die Antragskommission ins Wahlprogramm übernommen – dort taucht nicht nur
die WG-Garantie auf, sondern auch der politisch verbrannte Begriff der
Kindergrundsicherung. Auch eine staatlich finanzierte Seenotrettung und
sogar eine verklausulierte Forderung nach einem regionalen Mietendeckel
tauchen auf. Frei nach der Devise: Bloß kein Streit, die Details der
Wahlprogramme interessieren eh niemanden, und nach der Wahl wird neu
verhandelt.
Die großen Auseinandersetzungen bleiben erwartungsgemäß aus: Die
Delegierten [3][beschließen das Programm] und küren Scholz mit
überwältigender Mehrheit per Akklamation zum Kanzlerkandidaten. Nur fünf
Delegierte wagen es, öffentlich gegen ihn zu stimmen.
Dass Scholz Kanzler bleibt, dafür würde keiner hier sein Leben verwetten,
heißt es unter der Hand. Es sei auch ein Erfolg, wenn man es schafft, im
Schlussspurt auf 20 Prozent zu kommen – und in Schlagweite der Union. Ein
Wert, den die SPD in Umfragen zuletzt Anfang Februar 2023 erreichte.
In manchem Ministerium denken die unteren Ebenen bereits über
„Anschlussverwendungen“ nach. Klar ist: Für Olaf Scholz wird es keine
Anschlussverwendung geben. Sein politisches Schicksal ist mit dem
Kanzleramt verknüpft. Er hat noch 43 Tage, um zu kämpfen.
11 Jan 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Anna Lehmann
Stefan Reinecke
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SPD
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