| # taz.de -- Eugenik in den USA: USA first schon unter den Nazis | |
| > Die Nationalsozialisten schauten sich rassistische Praktiken in den USA | |
| > ab. Dort forschten Eugeniker Anfang des 20. Jahrhunderts. | |
| Bild: An der Grenze zwischen Mexiko und den USA 1920 | |
| Er habe Hitlers Reden als Nachtlektüre neben dem Bett liegen, erzählte | |
| Donald Trumps Ex-Frau Ivana Trump bereits 1990 dem Modemagazin Vanity Fair. | |
| Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Dezember 2023 verkündete Trump, nie | |
| „Mein Kampf“ gelesen zu haben und daher auch nicht Hitler zu zitieren, als | |
| er vor seinen Anhänger:innen wiederholte, dass klandestine | |
| Grenzgänger:innen „das Blut unserer Nation vergiften“. [1][Seit Montag] | |
| ist er erneut Präsident der Vereinigten Staaten. | |
| „Ein klares Hitler-Zitat“, ärgert sich der US-Historiker David Dorado Romo. | |
| „Doch vielleicht hat Trump recht, vielleicht haben US-amerikanische | |
| Eugeniker so etwas schon vor Hitler gesagt.“ Romo lebt in der texanischen | |
| Grenzstadt El Paso, seine Familie stammt aus dem benachbarten Mexiko. Er | |
| studierte an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Heute konzentrieren | |
| sich seine Nachforschungen auf globale historische Zusammenhänge, die zur | |
| mexikanisch-amerikanischen Grenze führen und sich in der Mikrogeschichte | |
| seiner Stadt widerspiegeln. Dabei stößt er immer wieder auf ideologische | |
| Gemeinsamkeiten wie auch ganz direkte Verbindungen zwischen | |
| US-amerikanischen „Rassenkundlern“ und Nazideutschland. | |
| Die Bewegung der Eugeniker setzte sich in den USA für die Schaffung einer | |
| „Master Race“ – im nationalsozialistischen Deutschland wurde der Begriff | |
| „Herrenrasse“ verwendet – durch Geburtenkontrolle, Zwangssterilisationen, | |
| Intelligenztests und Einwanderungsgesetze ein. Vor dem Ersten Weltkrieg | |
| hatte diese prominente Anhänger wie den Cornflakes-Schöpfer Dr. Harvey | |
| Kellogg und US-Präsident Woodrow Wilson und spielte noch bis nach dem | |
| Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle in den Vereinigten Staaten. | |
| Mithilfe pseudowissenschaftlicher Studien über angeblich bestimmten | |
| ethnischen Gruppen zuschreibbare genetische Eigenschaften wurde versucht, | |
| bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten und | |
| einkommenschwache Menschen, Menschen mit Behinderungen, mit diverser | |
| sexueller Identität und Angehörige schwarzer, indigener, mexikanisch- und | |
| asiatischstämmiger Communitys auszugrenzen und ihre Zahl in den Vereinigten | |
| Staaten zu begrenzen. Die Ideologie prägt bis heute existente | |
| gesellschaftliche Vorurteile. | |
| „Die Nazis beobachteten genau, was sich jenseits des Atlantiks tat“, | |
| bekundet Romo. Hitler begeisterte sich für das US-Einwanderungsgesetz von | |
| 1924, das das Gedankengut der Eugeniker in sich trug und nach dem | |
| Migrant:innen bestimmter ethnischer Herkunft die Einreise verweigert | |
| wurde. „Er schrieb dem Harvard-Chef-Eugeniker Madison Grant ‚Fanpost‘ und | |
| bezeichnete dessen Buch ‚The Passing of the Great Race‘ als ‚seine Bibel�… | |
| Begriffe, die heute weltweit als Naziterminologien bekannt sind, wie das | |
| Konzept vom „Untermenschen“, tauchten erstmals in den USA auf. Der | |
| US-Eugeniker Lothrop Stoddard stellte es in seinem Buch „The Revolt of | |
| Zivilisation. The Menage of the Under-Man“ auf. „Ich persönlich dachte | |
| immer, diesen Begriff hätten die Nazis erfunden“, sagt David Romo. Diese | |
| schauten aber auf die Eliteprofessoren in den Staaten, auf | |
| Einwanderungsgesetze an den US-amerikanischen Grenzen und die Praktiken der | |
| sogenannten Rassenhygiene im Inneren. Letztere wurden oft eins zu eins | |
| übernommen, so der Historiker; nur die Begrifflichkeiten wurden | |
| ausgetauscht. | |
| ## „Sterilisation der Untauglichen“ vor allem in Kalifornien | |
| Zwischen 1907 und 1932 verabschiedeten 32 US-Bundesstaaten unter dem | |
| Einfluss pseudowissenschaftlicher Studien Gesetze, die es der Regierung | |
| erlaubten, Menschen mit angeblichen geistigen Behinderungen und psychischen | |
| Krankheiten zu sterilisieren. Mehr als 60.000 Männer, Frauen und Kinder | |
| wurden auf gesetzlicher Grundlage sterilisiert. Die überwiegende Mehrheit | |
| war arm, lebte mit Behinderungen, viele waren Heim- oder Gefängnisinsassen. | |
| Vor allem aber galten die Gesetze Menschen, die nicht weiß waren. | |
| „Damit sollten ‚nordische Züge‘ in der US-Bevölkerung ‚gestärkt‘ w… | |
| so Romo. Der Begriff „nordisch“ sei in den USA sehr ähnlich dem Begriff | |
| „arisch“ in Deutschland verwendet worden, im Bezug auf eine angebliche | |
| „Herrenrasse“ aus Nordeuropa. | |
| Ausschlaggebend bei der „Sterilisation der Untauglichen“ war der Eugeniker | |
| Lewis Terman, der in Stanford forschte und lehrte. Er hatte den | |
| „Stanford-Binet-Test“ geschaffen und schrieb in seinem 1916 erschienenen | |
| Buch „The Measurement of Intelligence“, dass Letztere nicht nur erblich | |
| sei, sondern auch direkt mit Moral, Kriminalität und Armut in Zusammenhang | |
| stünde. Termans rassistischen Studien zufolge waren niedrige | |
| Intelligenzquotienten in der schwarzen, Latino-, Native American- und | |
| asiatischstämmigen Bevölkerung überproportional verbreitet. | |
| Bis 1933 hatte Kalifornien mehr Menschen einer Zwangssterilisation | |
| unterzogen als alle anderen US-Bundesstaaten zusammen. US-Eugeniker der | |
| Westküste schrieben [2][„Rassenkundlern“ an deutschen Universitäten und | |
| Kliniken] von ihren Erfolgen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für | |
| Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem wurde | |
| federführend im Entwurf von nationalsozialistischer „Rassenpolitik“. Noch | |
| im selben Jahr wurde in Nazideutschland das von Kalifornien inspirierte | |
| Gesetz verabschiedet, demzufolge im Dritten Reich mindestens 350.000 Kinder | |
| und Erwachsene zwangssterilisiert wurden. | |
| ## Rockefeller-Stiftung half bei Eugenikprogramme | |
| Nach seiner Rückkehr von einer Reise nach Nazideutschland, wo allein im | |
| Jahr 1934 mehr als 5.000 Menschen pro Monat zwangssterilisiert wurden, | |
| konstatierte der kalifornische Eugeniker C. M. Goethe gegenüber einem | |
| Kollegen: „Es wird Sie interessieren, dass Ihre Arbeit eine wichtige Rolle | |
| bei der Meinungsbildung der Intellektuellen gespielt hat, die hinter | |
| Hitlers epochalem Programm stehen. Überall spürte ich, dass ihre Meinungen | |
| enorm durch das amerikanische Denken angeregt wurden.“ | |
| Der Eugeniker Harry H. Laughlin, der in Princeton seinen Doktor gemacht | |
| hatte, beeinflusste maßgeblich die „Nürnberger Gesetze“, mit denen die | |
| Nazis alle Deutschen, die ihrer Meinung nach nicht zur „Volksgemeinschaft“ | |
| gehörten, ihrer Rechte enthoben. 1936 sollte Laughlin an der Universität | |
| Heidelberg die Ehrendoktorwürde für seine Arbeit erhalten. Aus finanziellen | |
| Gründen konnte er nicht zur Zeremonie nach Europa reisen und nahm die | |
| Auszeichnung stattdessen von der Rockefeller-Stiftung entgegen. | |
| [3][Die Rockefeller-Stiftung] half auch bei der Entwicklung und | |
| Finanzierung verschiedener Eugenikprogramme in Nazideutschland, darunter | |
| auch jenes, an dem Josef Mengele arbeitete, bevor er seine Arbeit im KZ | |
| Auschwitz aufnahm. „In Deutschland gab es keine Stiftungsgelder für eine | |
| ‚Rassenforschung‘, wie sie an den US-Universitäten betrieben wurde“, so | |
| Romo. „Die Nazis verfolgten begeistert, was in den in ihren Augen auf | |
| diesem Feld ‚fortschrittlichen‘ USA vor sich ging.“ | |
| „Sogar Zyklon B wurde zunächst als Pestizid bei der Kontrolle mexikanischer | |
| Wanderarbeiter an der Südgrenze der USA eingesetzt, bevor es zunächst für | |
| Entlausungen und dann für den Massenmord in [4][Vernichtungslagern der SS | |
| eingesetzt wurde]“, so der Historiker. Mit der Rechtfertigung, dass | |
| Mexikaner:innen Läuse und mit diesen Typhus in die USA einschleppten, | |
| wurden schon ab 1917 Pestizide auf der Grenzbrücke Santa Fe zwischen Ciudad | |
| Juárez und El Paso eingesetzt. Alle Grenzgänger:innen mussten sich | |
| komplett entkleiden, untersuchen lassen und Kerosinbäder nehmen. Die | |
| abgelegten Kleidungsstücke wurden dann auch noch mit Pestiziden bearbeitet. | |
| „Ab 1929 wurde dafür Zyklon B verwendet“, berichtet Romo. Wäre es direkt | |
| auf den menschlichen Körper aufgetragen worden, hätte es schwere | |
| Gesundheitsschäden oder sogar den Tod zur Folge gehabt. Während die Beamten | |
| Gasmasken trugen, berichteten Betroffene von Brechreiz und starken | |
| Hautreaktionen. Der jugendliche David Romo hörte zum ersten Mal von seiner | |
| Großtante über die Demütigungen, die sie an der Grenzbrücke Santa Fe | |
| erdulden musste. Adela Dorado arbeitete in den 1930er Jahren als | |
| Dienstmädchen in El Paso und wurde regelmäßig gezwungen, sich nackt vor den | |
| Grenzbeamten auszuziehen, die Witze und Fotos machten, so Romo. | |
| ## Vom Nationalsozialismus überzeugte Chemiker | |
| Der Einsatz des Biozids an der US-mexikanischen Grenze wurde in | |
| Nazideutschland übernommen. Im „Anzeiger für Schädlingskunde“ von 1937 | |
| berichtet Dr. Gerhard Peters davon. „Er spricht vom ‚Schutz des | |
| Vaterlandes‘ vor ‚ausländischem Ungeziefer‘. Später sichert Peters, | |
| NSDAP-Mitglied und SA-Angehöriger, für die Degesch, die „Deutsche | |
| Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“, ein Tochterunternehmen der I. G. | |
| Farben, das Patent für die Massenproduktion von Zyklon B. „Vom | |
| Nationalsozialismus überzeugte Chemiker wie er instruierten dann im | |
| Holocaust das Personal der Konzentrationslager, wie sie es auf eine sichere | |
| Weise für sich und eine absolut tödliche für die Insassen anwenden | |
| konnten.“ Laut dem Historiker Michael Thad Allen soll es Peters gewesen | |
| sein, der die SS erstmals auf die Eignung des Nervengifts Zyklon B zur | |
| Massenvernichtung hinwies. | |
| In einem Nachfolgeprozess der I. G.-Farben-Prozesse wurde Peters [5][1949 | |
| zu fünf Jahren Gefängnis] und drei Jahren Ehrverlust verurteilt. 1955 legte | |
| er dagegen erfolgreich vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main Berufung ein. | |
| Viele der Angeklagten in den Nürnberger Prozessen hatten zehn Jahre zuvor | |
| versucht, ihre Verbrechen vor den Alliierten zu rechtfertigen, indem sie | |
| auf die gemeinsamen Grundlagen der US-amerikanische Eugenikbewegung und der | |
| „Rassenpolitik“ der Nationalsozialisten verwiesen. | |
| In den USA macht Donald Trump derweil eugenisches Gedankengut wieder | |
| salonfähig. Er will massive Abschiebungen aus den Staaten umsetzen; auch | |
| von Familien mit Kindern, die US-amerikanische Staatsbürger:innen sind. | |
| „Das hatten wir schon mal“, seufzt Romo. | |
| 27 Jan 2025 | |
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