# taz.de -- Ungerechte Gesundheitsversorgung: Therapie höchstens für Rich Kids | |
> Für Kinder und Jugendliche mit seelischen Problemen ist die Versorgung in | |
> Hamburg schlecht. In sozial benachteiligten Vierteln existiert sie kaum. | |
Bild: Jugendlich und Therapie-bedürftig? Dann hilft es, in den betuchten Viert… | |
Hamburg taz | Kinder und Jugendliche warten in Hamburg zu lange auf einen | |
[1][Therapieplatz] – so viel ist derzeit Konsens. Bei der nächsten Frage, | |
was sich dagegen tun ließe, gehen die Meinungen weit auseinander. Schon zu | |
der Frage, wie lange die Wartezeit im Durchschnitt dauert, gibt es keine | |
verlässlichen Zahlen. | |
Die Hamburger Psychotherapeutenkammer hat 2022 und 2024 bei ihren | |
Mitgliedern nachgefragt und erfahren, dass sich bei mehr als der Hälfte die | |
Wartezeit verlängert hat, nachdem sie bereits 2022 bei jede:r zweiten | |
Therapeut:in acht Monate betrug. Doch die Umfrage, so sagt die | |
Vorsitzende der Psychotherapeutenkammer, Heike Peper, sei nicht | |
repräsentativ. Trotzdem ist sie sicher: Die Versorgungslage ist schlecht | |
und „in bestimmten Vierteln noch schlechter“. | |
Sieht man sich die Verteilung von Psychotherapeut:innen – aber auch | |
von Kinderärzt:innen – über das Stadtgebiet an, so ist eines | |
offenkundig: In sozial belasteten Gebieten wie etwa auf der Veddel finden | |
sich deutlich weniger als in den besser gestellten. Die Linkspartei hat | |
2023 nachgeprüft, wie sich die Versorgung aufschlüsselt, und | |
herausgefunden, dass im edlen Stadtteil Rotherbaum der Versorgungsgrad mit | |
62 Therapeut:innen, in denen auch Kinder- und Jugendtherapeut:innen | |
inbegriffen sind, bei üppigen 1.240 Prozent liegt, während es im armen | |
Rothenburgsort oder auf der Veddel keinerlei Therapeuten gibt – und damit | |
einen Versorgungsgrad von null. | |
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), selbst Mediziner, hatte in einem | |
Interview mit der Deutschen Presse-Agentur gesagt, es sei „eng“ – und er | |
befinde sich in Gesprächen mit der Kassenärztlichen Vereinigung und der | |
Ärztekammer über die Verteilung der Kassensitze. Horcht man nach dem Stand | |
dieser Gespräche, so scheint bislang nichts Wegweisendes geschehen zu sein. | |
Stattdessen verweisen die einzelnen Akteure darauf, was die jeweils andere | |
Seite tun könne – und damit, ganz nebenbei, auch für die Kosten aufkommt. | |
## Theoretisch ist Hamburg überversorgt | |
Die Sozialbehörde spielt den Ball Richtung Kassenärztliche Vereinigung | |
Hamburg (KVH). Deren Aufgabe sei laut Sozialgesetzbuch die Sicherstellung | |
der flächendeckenden Versorgung. In ihrer Antwort auf eine taz-Anfrage hat | |
die Sozialbehörde auch gleich eine Liste mit Handlungsmöglichkeiten der KVH | |
aufgestellt. Zwei Punkte darauf: Unterteilung der Planungsbereiche und | |
Ausbau der Eigeneinrichtungen. | |
Doch das stößt bei der KVH auf wenig Begeisterung. Die Planungsbereiche, so | |
der Sprecher der KVH, seien nicht das eigentliche Problem, sondern die | |
Bedarfsplanung. Die bestimmt, ob sich in einem Planungsbereich neue | |
Ärzt:innen ansiedeln dürfen. Da Hamburg, das nur ein Planungsbereich ist, | |
als überversorgt ausgewiesen ist, gilt derzeit eine Sperre. Der zweite | |
Kritikpunkt, den auch die Hamburgische Psychotherapeutenkammer teilt: Bei | |
der Bedarfsplanung wird nicht zwischen Erwachsenen- und Kinder- und | |
Jugendtherapeut:innen unterschieden. Bundesgesundheitsminister Karl | |
Lauterbach (SPD) hatte dies reformieren wollen, doch das Ampel-Aus ist ihm | |
dazwischengekommen. | |
Bleibt also die Frage, was in Hamburg vor Ort möglich ist. Bei der KVH | |
sieht man da wenig Spielraum. Eine kleinräumigere Planung, sagt der | |
Sprecher, würde die Versorgungslage nicht ändern. Bereits jetzt seien | |
Kassensitze frei – „aber es gibt keine Menschen, die dorthin gehen“. Die | |
Verteilung der Ärzt:innen über die Stadt sei „historisch“ gewachsen – u… | |
bleibe so bestehen, weil die Sitze weitergegeben werden. Eine Verlegung ist | |
nur möglich, wenn nachgewiesen werden kann, dass der neue Standort | |
unterversorgt ist. | |
Bemerkenswert ist, dass die Hamburger Ärztekammer deutlich aufgeschlossener | |
gegenüber einer Neuordnung der Planung ist. „Eine kleinräumigere Planung | |
kann ein Weg sein, um eine bessere ambulante Versorgung in Hamburg zu | |
erreichen“, schreibt der Pressesprecher der Kammer. Und fährt fort: „Daher | |
ist es gut, wenn wir in der Selbstverwaltung diese Option ernsthaft prüfen | |
und in die Diskussion über die Zukunft der ambulanten Versorgung | |
einbringen.“ | |
Dass es zu wenig Bewerber:innen für Kassensitze – insbesondere in | |
sozial benachteiligten Gegenden – geben soll, überrascht Heike Peper, die | |
Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hamburg. Schließlich werde in | |
Hamburg das Instrument der Sonderzulassungen genutzt – was ohne | |
Kandidat:innen nicht funktionieren würde. Was sie bestätigt: Die | |
Versorgungsstrukturen bauen auf dem vorgefundenen Status quo auf. | |
## Die Benachteiligung wenigstens mildern | |
Als 1999 psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendtherapeuten | |
als Heilberufe etabliert wurden, sei die Verteilung der Sitze über das | |
Stadtgebiet kein Thema gewesen. Dennoch hat sie Ideen, wie das | |
Ungleichgewicht auch vor einer Reform auf Bundesebene zumindest gemildert | |
werden könne. Etwa durch lokale Gesundheitszentren, wie es in Hamburg | |
bereits sechs in sozial benachteiligten Stadtteilen gibt. An den haus- oder | |
kinderärztlichen Praxen, die der Kern dieser Zentren sind, könne man auch | |
psychotherapeutische Diagnostik andocken, sagt Peper. | |
In den Plänen der Sozialbehörde taucht eine Ausweitung der lokalen | |
Gesundheitszentren nicht auf. Dafür aber der Vorschlag an die KVH, mehr | |
kassenärztliche Eigeneinrichtungen wie [2][die von ihr betriebene | |
Kinderarztpraxis in Rahlstedt] aufzubauen. Für solche Praxen müssten die | |
Hamburger Ärzt:innen aus eigener Tasche beitragen, gibt der Sprecher der | |
KVH zu bedenken – und das bei einer Vergütungsquote von 67 Prozent bei den | |
Hausärzt:innen. Die Vergütungsquote der Fachärztinnen, etwa in der | |
Radiologie, scheint da nicht zu helfen. | |
„Letztendlich geht es ums Geld“, sagt Heike Peper abschließend. Für sie | |
[3][wird bei der therapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen | |
unklug gerechnet]. Denn zum einen brauchten Kinder, bei denen die | |
Erkrankungen noch nicht chronifiziert seien, oft nicht so aufwendige | |
Behandlungen oder Therapien wie Erwachsene. Und gerade bei ihnen sei | |
Prävention wichtig – „da würden wir als Therapeut:innen gerne | |
mitarbeiten“. Wenn sich die Stadt auf diesem Feld, etwa auch bei der | |
Vernetzung zwischen Schule, Jugendamt und Therapeut:innen stärker | |
einbringe, sei viel gewonnen. | |
19 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Familienberaterin-ueber-Ohnmachtsgefuehle/!6034401 | |
[2] /!5985850&s=rahlstedt+praxis&SuchRahmen=Print/ | |
[3] /Weiterbildung-von-Psychotherapeutinnen/!6040074 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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