# taz.de -- Merz will Straftätern Pass entziehen: Heimat ist bedingungslos | |
> Friedrich Merz will Doppelstaatlern den deutschen Pass entziehen. Es ist | |
> eine Forderung ohne politische Zukunft – außer an der Seite der AfD. | |
Bild: Friedrich Merz auf dem Weg zur Winterklausur des CDU-Bundesvorstands | |
Was bleibt von einer Heimat, die man verlieren kann? Die nicht da ist, wenn | |
man fällt? Heimat ist mehr als ein Ort, mehr als ein Pass. Heimat ist ein | |
Anker, eine Gewissheit, dass man irgendwo dazugehört, selbst wenn man | |
Fehler macht. Wenn wir anfangen, Menschen diese Gewissheit zu nehmen, | |
verlieren wir mehr als sie. Wir verlieren uns selbst. Wir verlieren, was | |
dieses Land stark macht: die Überzeugung, dass Gleichheit kein Privileg, | |
sondern ein Recht ist. | |
Doch Friedrich Merz sieht Heimat anders. Für ihn scheint sie etwas zu sein, | |
das man sich verdienen muss – und das man verlieren kann, wenn man sich | |
nicht bewährt. Straffällig gewordene Doppelstaatler, [1][so fordert er], | |
sollen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können. Ein Satz, der | |
einfach klingt, fast plausibel. Doch hinter dieser Forderung steckt nicht | |
nur juristisches Flickwerk, sondern auch eine bewusste Verzerrung der | |
Realität. | |
## Der steinige Weg zum Pass | |
Merz will den Eindruck erwecken, als wäre es in Deutschland ein Leichtes, | |
eingebürgert zu werden. Doch wer sich die Mühe macht, einen Blick in | |
Paragraf 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes zu werfen, erkennt schnell, | |
dass das Gegenteil der Fall ist. Einbürgerung in Deutschland ist keine | |
Formalität. Es ist ein steiniger Weg, gesäumt von strengen Anforderungen: | |
Sprachkenntnisse, ein gesicherter Lebensunterhalt, Aufenthaltsrecht und – | |
besonders wichtig – ein klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen | |
Grundordnung. Dazu muss man im Regelfall fünf Jahre warten, bis man den | |
Antrag stellen darf. Bis zur Einbürgerungsreform 2024 waren es sogar acht | |
Jahre. Wer sich in diesem Land einbürgern lassen will, muss beweisen, dass | |
er oder sie hier wirklich dazugehört. | |
Und das ist nicht alles: Bereits jetzt gibt es klare Regeln, die | |
verhindern, dass Straffällige eingebürgert werden. Eine einzelne | |
Verurteilung von 91 Tagessätzen oder mehrere kleinere Straftaten können | |
ausreichen, um eine Einbürgerung zu verweigern. Wer glaubt, dass man sich | |
durch eine Einbürgerung seiner Verantwortung entziehen könnte, irrt. | |
## Lehre aus der Geschichte | |
Und selbst wer eingebürgert wird, kann seine deutsche Staatsangehörigkeit | |
verlieren. Bis zu zehn Jahre nach der Einbürgerung ist der Entzug möglich, | |
wenn sie durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erschlichen wurde. Auch | |
wenn ein Doppelstaatler sich an Kampfhandlungen einer terroristischen | |
Vereinigung im Ausland beteiligt, ist ein Entzug möglich. Bereits hier | |
greift der Gesetzgeber hart durch. Doch während Merz mehr fordert, zeigt | |
sich in unserer Verfassung, warum es rechtsstaatliche Grenzen gibt, die wir | |
nicht überschreiten sollten. | |
Der Satz „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden“ ist | |
mehr als ein Grundrecht in Artikel 16. Es ist das Echo eines Versprechens, | |
das nie wieder gebrochen werden darf: nie wieder staatenlos, nie wieder | |
entrechtet, nie wieder ausgestoßen. Es ist eine Mahnung, eine Lehre aus dem | |
dunkelsten Kapitel unserer Geschichte. | |
In einer Zeit, in der Millionen Menschen staatenlos gemacht wurden – | |
Jüdinnen, Kommunisten, Andersdenkende –, hat Deutschland gelernt, dass | |
Zugehörigkeit kein politisches Spielzeug sein darf. Die Verfassung zieht | |
eine klare Linie: Staatsbürgerschaft ist ein unveräußerliches Recht. Sie | |
schützt die Menschen vor dem Staat. Wer Artikel 16 Grundgesetz angreift, | |
greift nicht nur ein Grundrecht an. Er greift das Fundament an, auf dem | |
unser Land aufgebaut wurde. | |
Friedrich Merz weiß, dass sein Vorschlag juristisch kaum umsetzbar ist. Er | |
würde zu verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlungen zwischen | |
deutschen Staatsangehörigen führen. Heimat darf kein Werkzeug der | |
Bestrafung sein. Als Jurist muss er das wissen. Die SPD, die Grünen und die | |
FDP lehnen ihn kategorisch ab. Seine Forderung hat auch politisch keine | |
Zukunft – außer vielleicht an der Seite der AfD. Und genau das ist der | |
Punkt. [2][Merz geht es nicht darum, ein Problem zu lösen]. Es geht ihm | |
darum, Tatkraft zu simulieren. Und dafür nimmt er in Kauf, Ängste zu | |
schüren. | |
## „Wir“ und „die“ | |
Die doppelte Staatsbürgerschaft soll dabei zum Symbol seiner Rhetorik | |
werden – ein Feindbild, das er skizziert, um Zugehörigkeit in Frage zu | |
stellen. Doch was bedeutet es wirklich, deutsch zu sein? Ist ein Mensch | |
weniger deutsch, weil er neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch eine | |
andere besitzt? Diese Frage schwebt wie ein unsichtbares Trennmesser über | |
der Forderung und zerschneidet, was zusammengehört. | |
Was macht einen Menschen „deutsch“? Ein Pass? Eine Abstammung? Oder ist es | |
nicht vielmehr die Entscheidung, sich mit diesem Land und seinen Werten zu | |
verbinden? Die alte Unterscheidung zwischen dem „wir“ und „die“, deren | |
Zugehörigkeit immer ein „aber“ mit sich trägt, wirkt destruktiv. Statt zum | |
Ausdruck von Emanzipation und vielschichtiger Identität wird die doppelte | |
Staatsbürgerschaft damit zum Problem, zum Makel. | |
Was ernstlich einen Makel offenbart, ist Merz’ Sichtweise. Die Idee, dass | |
zwei Heimaten eine weniger wert machen könnten, zieht eine Grenze, die | |
niemand sieht, bis man plötzlich auf der anderen Seite steht. | |
Was bleibt von einer Heimat, die man verlieren kann? Nichts, außer Angst. | |
Angst, nicht dazuzugehören. Angst, dass die eigene Existenz ein Luxus ist, | |
die bei Fehlverhalten genommen werden kann. Heimat ist kein Privileg, das | |
man sich verdient. Heimat ist ein Versprechen, das verdient, gehalten zu | |
werden. Heimat, die an Bedingungen geknüpft ist, ist keine Heimat. Sie ist | |
ein Ort der Unsicherheit, des Zweifels. Und ein Land, das seine Bürger in | |
Kategorien teilt, verliert mehr als die Menschen, die es ausstößt. Es | |
verliert sich selbst. Es verliert das, was es stark macht: das Wissen, dass | |
Gleichheit vor dem Gesetz kein Privileg, sondern ein Recht ist. | |
14 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Farnaz Nasiriamini | |
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