# taz.de -- Protest gegen AfD-Parteitag: Hart im Widerstand | |
> Das Bündnis Widersetzen mobilisiert rund 15.000 Menschen nach Riesa und | |
> schafft es, den AfD-Parteitag zu verzögern. Die Polizei reagiert mit | |
> Härte. | |
Bild: Mit Pfefferspray und Schlagstock geht die Polizei gegen die Demonstrant*i… | |
Nam Duy Nguyen lehnt sich am Bahnsteig in Leipzig nach vorne und hält nach | |
dem Regionalzug Ausschau. Obwohl es erst 4.30 Uhr morgens ist, ist es voll | |
am Gleis. Mehrere Hundert Menschen wollen an diesem Samstag nach Riesa, um | |
gegen den Bundesparteitag der AfD zu protestieren. Das bundesweite Bündnis | |
Widersetzen hatte dazu aufgerufen, ihn [1][mit zivilem Ungehorsam zu | |
verhindern]. „Da kommt er“, sagt Nguyen, er klingt etwas aufgeregt. Dabei | |
will der Linke-Politiker die Proteste eigentlich nur als sächsischer | |
Landtagsabgeordneter beobachtend begleiten und sich nicht an Aktionen | |
beteiligen. Die Bahn ist schnell gefüllt, an den Scheiben kondensiert | |
Wasser. | |
Nguyen ist in Riesa aufgewachsen, mittlerweile lebt er aber in Leipzig. | |
Dort holte er [2][bei der Landtagswahl im vergangenen September eins der | |
beiden Direktmandate], die seiner Partei den Verbleib im Landtag sicherten. | |
Es ist immer noch stockduster, als der Zug eine Dreiviertelstunde später in | |
Riesa ankommt. Die Polizei wartet bereits mit Hunden auf die rund 500 | |
Aktivist:innen, die sich auf dem Vorplatz sammeln, gelbe Warnwesten | |
anziehen, Banner entrollen, singen und gegen die Kälte antanzen. Nguyen und | |
sein Team organisieren noch schnell, wer in brenzligen Situationen filmt | |
und mit welchem Handy. Ein Problem: Die roten Westen, die sie als | |
parlamentarische Beobachter:innen tragen sollten, sind nicht da. Sie | |
seien im Chaos der Anfahrt verloren gegangen. Stattdessen organisieren sie | |
zwei orange Warnwesten und schreiben mit schwarzem Edding provisorisch | |
„Parlamentarische Beobachtung“ auf den Rücken. | |
Die Idee hinter der parlamentarischen Beobachtung: Mitglieder von | |
Parlamenten, der Legislative, sollen die Polizei, die Exekutive, bei ihrer | |
Arbeit beobachten, um sich selbst ein Bild zu machen. So kann die eine die | |
andere Staatsgewalt kontrollieren. Zwei Teammitglieder streifen sich die | |
Westen über. Nguyen zieht keine an, er könne sich schließlich als | |
Landtagsabgeordneter ausweisen. Da weiß er noch nicht, dass ihn wenige | |
Stunden später ein Polizist bewusstlos schlagen wird. | |
Es ist eine der Geschichten von den Protesten am Samstag, die bundesweite | |
Aufmerksamkeit erhalten. Die Mobilisierung für die Proteste und Blockaden | |
gegen den Parteitag der AfD war enorm: Bundesweit hat das Bündnis | |
Widersetzen über 200 Busse aus über 70 Städten organisiert. Schätzungen | |
zufolge demonstrieren etwa 15.000 Menschen. Trotz der Kälte und obwohl die | |
sächsische Kleinstadt für viele schwer zu erreichen war, haben sie es | |
geschafft, mit ihren Straßenblockaden den AfD-Bundesparteitag um zwei | |
Stunden zu verzögern. Für das Bündnis ein Erfolg. So lange wurde noch nie | |
ein Parteitag verzögert. | |
Um 2 Uhr morgens Freitagnacht steht die Gewerkschafterin Susi Rentzsch, | |
dick eingepackt in pinkfarbener Jacke und Gummistiefeln, auf dem matschigen | |
Vorplatz der Messehallen ICC in Berlin-Charlottenburg und wartet auf den | |
Gewerkschaftsbus: einen von 40 Bussen, die aus Berlin nach Riesa fahren. | |
Jede Stadt kommt in einer Farbe, um „Riesa bunt zu machen“ – die | |
Hauptstädter in Pink. | |
„An einer so großen Protestaktion habe ich noch nie teilgenommen“, erzählt | |
die 48-Jährige. „Meine Gruppe und ich sind eher ängstlich. Zu wissen, dass | |
man nicht an Blockaden teilnehmen muss, sondern auch nur die Kundgebung | |
besuchen kann, hat die Hemmschwelle gesenkt.“ Rentzsch ist | |
Grundschullehrerin und in der Bildungsgewerkschaft GEW. | |
Die AfD, die sich als „Arbeiterpartei“ gibt, stehe für Spaltung und | |
Ausbeutung, nicht für Arbeitnehmerrechte, sagt Rentzsch. „Außerdem will die | |
AfD meine Schulklientel ‚remigrieren‘, und sie wollen weniger begabten | |
Kindern keine Chance geben und wieder Förderzentren einrichten. Das führt | |
zur Exklusion“, sagt Rentzsch. Sie liebe Neukölln für seine Diversität, mit | |
der AfD an der Macht würde diese Buntheit verschwinden. | |
Im Gewerkschaftsbus treffen Rentzsch und ihre Gruppe letzte Vorbereitungen: | |
Telefonnummern des Ermittlungsausschusses werden auf die Arme geschrieben, | |
Warnwesten und Wärmesohlen verteilt. Gegen halb sieben marschiert das | |
Demoaufgebot aus Berlin gegen den peitschenden Wind die Bundesstraße | |
hinunter in Richtung Ortseingang. In der Ferne blinkt Blaulicht. | |
Die sächsische Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort: nach eigenen | |
Angaben mit mehreren Tausend Einsatzkräften und Unterstützung aus zehn | |
weiteren Bundesländern und von der Bundespolizei. Der Demofinger, wie es im | |
Protestsprech heißt, in Pink wird mit bellenden Hunden, mit Pferden und | |
gepanzerten Fahrzeugen empfangen und sofort festgesetzt. Nach rund | |
eineinhalb Stunden kann der „Finger“ weitergehen. | |
## Nguyen: Angriff ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs | |
Der Landtagsabgeordnete Nguyen begleitet gegen 10.30 Uhr eine | |
Demonstration, die vom Bahnhof in die Stadt zur Hauptkundgebung vor der WT | |
Arena führt, dem Veranstaltungsort des Parteitags. Als sich an der | |
Rudolf-Breitscheid-Straße eine größere Gruppe aus dem Demozug löst, geht | |
Nguyen mit, um zu beobachten. Eine Polizeikette stoppt die Gruppe nach | |
kurzer Zeit, so erzählt er es später der taz. Nguyen steht seitlich an | |
einem Zaun, als weitere Polizist*innen hinter den Aktivist*innen | |
auftauchen und durch die Menge zur Kette durchwollen, auch mit Gewalt. Laut | |
Nguyen und weiteren Augenzeug*innen schlagen Beamte dabei offenbar | |
willkürlich um sich – und treffen dabei auch den Abgeordneten und einen | |
seiner Mitarbeiter. Nguyen geht bewusstlos zu Boden, sein Mitarbeiter trägt | |
ein blaues Auge davon. Danach brechen beide die parlamentarische | |
Beobachtung ab. | |
Etwas später behandelt ein Rettungswagen Nguyen in der „Wärmestube“, einem | |
von Aktivist:innen organisierten Rückzugsort auf der Hauptstraße. Er | |
wirkt immer noch geschockt, als er am frühen Samstagnachmittag dort mit der | |
taz spricht. Es sei ein Skandal, sagt er. Am Sonntag schickt er eine | |
Textnachricht: „Dieser Angriff ist aber nur die sichtbare Spitze des | |
Eisbergs.“ In Riesa seien „unzählige“ Menschen von der Polizei verletzt | |
worden. | |
Trotz des harten Eingreifens der Polizei ist Euphorie spürbar, als gegen 11 | |
Uhr ein Großteil der Demonstrant*innen die zentrale Kundgebung vor der | |
WT Arena erreicht, in der der Parteitag sich wegen der Blockaden verzögert. | |
Die Sonne scheint, die Omas gegen Rechts verteilen Kaffee und Kekse, | |
durchgefrorene Aktivist*innen wärmen sich mit Tee. Auf der Bühne der | |
Initiative „Kein Bock auf Nazis“ werden Reden gehalten, es treten die | |
Punkbands ZSK, Team Scheiße und der Rapper Pöbel MC auf. | |
Seit 10 Uhr sind die Zufahrten über die Landstraße durch Blockaden | |
praktisch unpassierbar, die Polizei rät, wieder umzukehren. | |
Autofahrer*innen stellen ihre Fahrzeuge ab und laufen zu Fuß bis zu | |
zwei Stunden in die Innenstadt. Dort gleicht die Szenerie einer dynamischen | |
Schnitzeljagd: Antifas eilen durch die Straßen, um eine Blockade nach der | |
anderen zu stärken. | |
Diese werden teils brachial von der Polizei geräumt. Friedliche | |
Demonstrant*innen werden mit Pfefferspray und Schlagstöcken attackiert. | |
Ein Video auf X zeigt, wie ein Polizeihund auf eine Person losgelassen | |
wird, weil diese auf der falschen Straßenseite gelaufen war. Die Polizei | |
ermittelt nun in diesem Fall. Mehrere Videos zeigen, wie | |
Personenschützer*innen von AfD-Parteichefin und Kanzlerkandidatin | |
Alice Weidel mit Pfefferspray und Schlagstöcken auf friedliche | |
Protestierende losgehen, die Weidel den Weg blockieren. Dabei soll einem | |
Sanitäter die Milz gequetscht worden sein. Eine Sprecherin des | |
Elblandklinikums in Riesa bestätigte der taz, dass 15 Personen im | |
Zusammenhang mit den Protesten medizinisch behandelt wurden, darunter auch | |
mindestens zwei Polizist*innen. | |
Die Polizei spricht von sechs leicht verletzten Beamten. Der Aktionskonsens | |
lautete deutlich: Keine Eskalation! Der taz ist kein Fall von proaktiver, | |
körperlicher Gewalthandlungen seitens der Demonstrant*innen bekannt. Die | |
zuständige Polizeidirektion Dresden registrierte bis zum Redaktionsschluss | |
hingegen 34 Straftaten bei den Protesten unter anderem wegen | |
Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, Nötigung und | |
Sachbeschädigung. Der Dresdner Polizeipräsident Lutz Rodig zieht eine | |
positive Bilanz: Immerhin habe der Parteitag stattgefunden. Tino Chrupalla, | |
Co-Chef der AfD, schien das Vorgehen der Polizei nicht auszureichen. Er | |
forderte im Parteitagssaal eine „AfD-Polizei, die härter durchgreift“. | |
Als die Sonne untergeht, ist die Stadt voll mit erschöpften und verfrorenen | |
Aktivist*innen. Auch die Gewerkschafterin Rentzsch ist zwar am Ende ihrer | |
Kräfte, aber froh: „Unser Ziel war, Riesa lahmzulegen – und das ist uns | |
gelungen.“ Dass der Parteitag mit zwei Stunden Verspätung starten musste, | |
wertet sie als großen Erfolg. Ihre Hoffnung: dass die AfD ihre Parteitage | |
nicht mehr in Riesa veranstalten kann – und auch nirgendwo anders eine | |
Bühne findet. | |
Auch Trong Do Duc bewertet die Proteste positiv. Der gebürtige Riesaer hat | |
vor wenigen Wochen die Initiative „Riesa für alle“ mitgegründet. Aktuell | |
sind sie noch zu dritt, aber gemeinsam wollen sie mit den Riesaer:innen | |
gegen rechts mobilisieren. Am Samstag haben sie die „Wärmestube“ | |
organisiert. Aber er mache sich auch Gedanken, sagt er, wie die Proteste | |
bei den Menschen in Riesa ankommen. | |
Da unterbricht ein Nachbar das Interview und fragt Do auf Vietnamesisch, ob | |
er ihm sagen könne, wie er an den Polizeisperren vorbei raus aus Riesa | |
komme. „Und dann hat er gefragt, was das für Leute in der Stadt seien, die | |
da protestierten? Ich hab ihm erklärt, dass es Protest gegen die AfD ist“, | |
übersetzt Do. Der Nachbar habe gesagt, dann sei er beruhigt. | |
In Riesa leben 29.000 Menschen. Bei der letzten Landtagswahl bekam die AfD | |
38 Prozent der Zweitstimmen. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass es eine | |
Nachbereitung mit der Stadtgesellschaft gibt“, sagt Do. Es müsse klar | |
kommuniziert werden, dass der Protest friedlich war. „Die Eskalation ging | |
von der Polizei aus.“ | |
Am späten Samstagnachmittag fährt Nam Duy Nguyen mit dem Zug heim nach | |
Leipzig. Polizeipräsident Rodig entschuldigt sich am Abend noch öffentlich | |
bei dem Abgeordneten. Es sei sicher nicht die Intention der Polizei | |
gewesen, einem Abgeordneten und dessen Begleiter zu schaden. Bei verletzten | |
Aktivist*innen entschuldigt sich Rodig nicht. | |
12 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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