# taz.de -- Nach der Debatte um Thilo Mischke: Kultur für alle? Ja, aber nicht… | |
> Die Gesellschaft braucht engagierte öffentlich-rechtliche Kulturberichte. | |
> Doch die ARD sollte erst einmal den Fall Thilo Mischke aufarbeiten. | |
Bild: Die ARD-Programmdirektorin und ihr erst vorgesehener Kulturmoderator: Chr… | |
Berlin taz | Die Debatte über Thilo Mischke hat [1][ein Trümmerfeld | |
hinterlassen.] Die Programmdirektorin der ARD, Christine Strobl, hat | |
kundgetan, dass die heftige Auseinandersetzung rund um die Besetzung des | |
Moderatorenjobs bei der Kultursendung „titel, thesen, temperamente“ intern | |
und auch mit Beteiligten aus der Kulturszene aufgearbeitet werden soll. | |
Nur zu! Gut wäre es dabei, wenn die Aufmerksamkeit der vergangenen Tage als | |
Antrieb genutzt würde, auch noch einmal prinzipiell über die | |
Kulturberichterstattung im Fernsehen nachzudenken. Der Eindruck ist jetzt | |
nämlich, dass man das öffentlich-rechtliche Kulturfernsehen teilweise gegen | |
sich selbst verteidigen muss. | |
Zunächst: Es war, auch wenn das so behauptet wird, kein Shitstorm und keine | |
Hetzjagd, die da über Mischke und die ARD hereingebrochen sind. Das | |
Statement von Christine Strobl, die meint, die Wucht der Kritik habe eine | |
Debatte unmöglich gemacht, ist fragwürdig. | |
Es war eine Kampagne, das schon, und man sollte die Dynamik, die so etwas | |
in den sozialen Medien entfalten kann, auch keineswegs unterschätzen. Doch | |
erstens sind Kampagnen in der Meinungsbildung einer modernen Gesellschaft | |
legitim. Zweitens richtete sie sich keineswegs gegen das | |
öffentlich-rechtliche Fernsehsystem als Ganzes, sondern gegen eine ganz | |
spezifische und tatsächlich problematische Personalentscheidung, | |
unterfüttert mit einem [2][Engagement gegen Sexismus und Bro-Kultur.] Und | |
drittens hätte es auch von der Adressatenseite aus Möglichkeiten | |
gegeben, sie ins Konstruktive zu drehen. Diese Möglichkeiten hat die ARD | |
versäumt, und das lag, kann man jetzt denken, keineswegs nur an der | |
missglückten Krisenkommunikation. | |
Die ARD hätte die Gründe, die für Mischke sprechen, erläutern und das | |
Auswahlverfahren transparent machen können. Doch das hat sie nur | |
andeutungsweise und, wie man inzwischen ahnt, auch nur tendenziös getan. | |
Vor allem aber hätte die ARD die Sache nutzen können, um die Kriterien zu | |
erläutern, die sie an öffentlich-rechtliche Kulturberichterstattung anlegt. | |
## Omertahaftes Schweigegebot | |
Es ist wirklich interessant, warum die ARD hier so verzagt agierte. Das | |
wird einem doch in jedem Managementcoaching beigebracht: Kritik als | |
Gelegenheit nutzen, um das eigene Vorhaben noch einmal zu erläutern. Doch | |
da kam in diesem Fall halt nichts. | |
Was das Auswahlverfahren betrifft, kann man sich inzwischen einiges | |
zusammenreimen, und zwar trotz des geradezu omertahaften Schweigegebots, | |
das in der ARD zu herrschen scheint. Dass die Entscheidung für Mischke | |
schon lange, bevor sie publik wurde, intern hoch umstritten war und zu | |
heftigen internen Auseinandersetzungen führte, konnte man einigen | |
Andeutungen in den sozialen Medien entnehmen. Die FAZ hat das dann | |
glaubwürdig aufgeschrieben. | |
Danach haben sich vier der sechs an der Sendung beteiligten Redaktionen für | |
einen anderen Kandidaten entschieden, nur zwei für Mischke. Es hat dann ein | |
sogenanntes Nutzertesting gegeben. Dabei lag, der FAZ zufolge, „Mischke nur | |
in Kategorien wie Jugendlichkeit vorne, im Bereich Seriosität und | |
kulturelle Kompetenz konnte er nicht überzeugen“. Dennoch haben sich die | |
Kulturchef*innen der beteiligten Sender ohne weitere Rücksprache für | |
Thilo Mischke entschieden. | |
Kurz, Mischke sollte als Moderator von oben gegen die beteiligten | |
Redaktionen durchgedrückt werden. Legitimation durch Verfahren geht anders. | |
Natürlich konnte das in der Krise so nicht nach außen kommuniziert werden. | |
Lieber sich, so wie Christine Strobl das getan hat, über eine angeblich aus | |
dem Ruder gelaufene Debatte beschweren. | |
## Unterkomplexer Kulturbegriff | |
Und was ist mit den Kriterien für Kulturberichterstattung? Das Einzige, was | |
in der Sache stehen blieb, ist ein kurzer Film auf Instagram von Thilo | |
Mischke selbst, worin er als da noch designierter Moderator drei Worte | |
droppte: „unterkomplexer Kulturbegriff“, „verkaufen“ und „Kultur für… | |
Darüber hinaus: kein Statement, welche konzeptuellen Überlegungen mit der | |
Berufung Mischkes verbunden worden sind. Mögliche Anknüpfungspunkte in der | |
Debatte wurden auch schlicht überhört. | |
Der von Autor*innen und Intellektuellen unterzeichnete offene Brief | |
gegen die Besetzung formulierte etwa den Wunsch nach „enthusiastischen und | |
an Kultur interessierten Moderator*innen, die sensibel und in der Lage | |
sind, auf Gegenwartsdiskurse zu antworten und der Komplexität aktueller | |
Kulturdebatten gerecht zu werden“. Offenbar haben die Kulturchef*innen | |
der Sender andere Ansprüche. Aber welche? Man wüsste es gern. | |
Die Wendung „Kultur für alle“, auf die Mischke sich beruft, ist ein Begriff | |
mit Geschichte. Der damalige Kulturdezernent der Stadt Frankfurt am Main, | |
Hilmar Hoffmann, hat ihn noch in der alten Bundesrepublik in die Debatte | |
eingebracht, gerade auch im Kontext von TV-Berichterstattung über Kultur. | |
Verbunden gewesen war das mit einem Bildungs- und Vermittlungsgedanken. Die | |
Eigengesetzlichkeit von Kunst sollte einem breiten, interessierten Publikum | |
aufgefächert werden – also genau das getan werden, was der offene Brief | |
sich wünschte. | |
Bei Mischke dagegen klingt das sehr stark nach Vereinfachung und einem | |
Absenken der vermeintlichen Zugangsschranken gegenüber Kultur. Dabei | |
braucht gerade ein aktueller Kulturbegriff, der nicht mehr mit | |
Geniegedanken auskommen und Hochkultur nicht mehr weihevoll beraunen | |
möchte, jeweils viel Hintergrundwissen, was die jeweiligen kulturellen | |
Gegenstände betrifft. Als Beobachter fällt einem allerdings keine andere | |
Möglichkeit ein, als die angestrebte Besetzung so zu verstehen, dass hier | |
ein 43-jähriger Jugendlichkeitsdarsteller ohne kulturelle Expertise als | |
Moderator der wichtigsten Kultursendung der ARD präsentiert werden sollte. | |
Das konnte in der Krisenkommunikation selbstverständlich auch nicht so nach | |
außen gegeben werden, es hätte genauso zynisch geklungen, wie es | |
tatsächlich auch zu sein scheint. Was hätte denn kommuniziert werden | |
sollen? Mag sein, dass, angetrieben von Teilen der AfD, wieder ein | |
nationalistischer und völkischer Kulturbegriff auf dem Vormarsch ist – aber | |
wir präsentieren hier jetzt mal jemanden, der frisch, fromm, fröhlich, frei | |
alles wegmoderieren kann? Oder: Tut uns ja leid, dass die Kulturszene | |
gerade unter Spardruck leidet – aber wir haben hier jemanden, der zumindest | |
gute Laune verbreitet? | |
## Ein kulturfernes Management | |
Wer sich in der Mediathek die letzten Sendungen von „titel, thesen | |
temperamente“ anschaut, wird feststellen, dass sie jetzt schon nicht eben | |
einen reflektierten, die Rolle von Kunst und Kultur immer auch | |
mitbedenkenden Kulturbegriff pflegten. Kultur wird nicht befragt. | |
Stattdessen wird affirmativ das jeweilige Thema als bedeutend gesetzt und | |
mit Interviewschnipseln illustriert. Das sollte mit einem Moderator Mischke | |
offenbar auf einen für soziale Medien kompatiblen Stand gebracht werden. | |
Dagegen kann man aber auch behaupten, dass das Publikum tatsächlich viel | |
weiter und an differenzierter Kulturberichterstattung interessiert ist, | |
gerade auch in den sozialen Medien. Offenbar aber müssen sich die | |
Kulturredaktionen der ARD gegen ein im Grunde [3][kulturfernes Management] | |
durchsetzen – und können das nicht. Vielleicht ist jetzt aber zumindest | |
deutlich geworden, dass es höhere Ansprüche an öffentlich-rechtliche | |
Kulturberichterstattung gibt, als die Leitungsgremien es sich vorstellen | |
können. | |
Mögliche Fragen, die die ARD sich bei der Aufarbeitung – sie kommt doch | |
wirklich, oder? – stellen sollte, lauten: Wäre es nicht eine superfreshe | |
Idee, das nächste Mal jemanden gewinnen zu lassen, der im Bereich | |
kulturelle Kompetenz überzeugen kann? Und was außer einem unterkomplexen | |
Kulturbegriff und internen Mauscheleien spricht eigentlich dagegen? | |
10 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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