# taz.de -- Die Wahrheit: Die zwei Primatonnen | |
> Neues von der Sprachkritik: Schreiberinnen und Schreiber beherrschen | |
> selten die hohe Kunst des flachen Witzes. | |
Bild: Nicht allen gehen Wortspiele kinderleicht von der Zunge | |
„Wo die gemeinen Leute Vergnügen an Wortspielen finden, und häufig selbst | |
welche machen, da kann man immer darauf rechnen, daß die Nation auf einer | |
sehr hohen Staffel von Kultur steht“, notierte Georg Christoph Lichtenberg | |
in einem seiner „Sudelbücher“ und klagte: „Die Calenberger Bauern machen | |
keine.“ Von wem hätten sie es auch lernen können? Ihr einziger Lesestoff | |
wird die von Luther übersetzte Bibel gewesen sein – und wenn der mal ein | |
Wortspiel machte, merkte er es nicht mal selber. | |
Der Beweis ist das Jesuswort „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein | |
Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“ (Matthäus | |
19,24) – ein wunderbar grotesker Vergleich, aber aus Versehen gezogen: | |
Luther verwechselte aramäisch „gamta“ (Tau, Schiffstau) mit „gamal“ (K… | |
– das Wortspiel findet also nur hinter den Kulissen statt. | |
Was ein Wortspiel ist, wissen auch heute nicht viele Leute. Vor wenigen | |
Jahren hielt Henryk M. Broder vor der AfD-Bundestagsfraktion eine Rede und | |
staunte über die Chance, als „Jude in einem Raum voller Nazis, Neo-Nazis, | |
Krypto-Nazis und Para-Nazis aufzutreten“. Die taz vermutete, entweder habe | |
Broder die AfD-Bagage als Nazis bezeichnet – oder aber er „machte sich | |
durch das Wortspiel über den Nazi-Begriff lustig“. | |
Nur, welches Wortspiel? Ein solches beruht auf dem Zusammentreffen zweier | |
bedeutungsverschiedener Wörter, die gleich oder ähnlich klingen, etwa so, | |
als der Dirigent Hans von Bülow über zwei füllige Opernsängerinnen als | |
„Primatonnen“ frotzelte. Oder als der russische Außenminister Sergej Lawrow | |
während einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrates dies auf einen Zettel | |
kritzelte: „Diplomacy – deep, low, messy“ (unergründlich, heruntergekomm… | |
chaotisch). Ersteres nennen Fachleute eine Amphibolie (zwei Wörter | |
beziehungsweise Bedeutungen in eines gepackt), letzteres eine Paronomasie | |
(zwei oder mehr Wörter). | |
## Wortspiel muss kein Witz sein | |
Lawrows Notiz ist mehr geistreich als komisch, aber ein Wortspiel muss kein | |
Witz sein. Im Gegenteil: Es kann durch reichen Bedeutungszusammenhang | |
nerven, mit seinem Hintersinn und Tiefsinn lästig werden. Anders der | |
Kalauer! Höheren Orts wird er zwar verschmäht: „Kalauer sind sozusagen | |
schlechte Wortspiele“, behauptet der Schweizer Literaturwissenschaftler | |
Ralf Müller. | |
Doch wer Freude am Unfug hat und lieber albern ist, statt allweil | |
herumzuernsteln und jeden Spaß wegzuvernünfteln, liebt den Kasper namens | |
Kalauer. Der, höheren Orts als „Flachwitz“ verteufelt, hat keinen lästigen | |
Tiefgang, sondern ist sich selbst genug: „Was ist rot und wiehert? Eine | |
Pferdbeere.“ | |
Die schlechte Meinung über den Kalauer hat einen schlechten Grund: Die | |
Leute wissen gar nicht, was ein Kalauer ist. Nur deshalb kann die | |
Hannoversche Allgemeine Zeitung, angesichts der Krise bei VW eine | |
Presseschau vornehmend, behaupten: „Ein mannigfaches Kalauern hat | |
eingesetzt.“ Und zum Beweis anführen: „,VW wolle zurück in die Erfolgsspu… | |
(NDR) beziehungsweise 'auf die Überholspur’ (Sat1), aber leider, 'stottert | |
der VW-Motor’ (Kurier), weshalb sich das Unternehmen am Scheideweg’ | |
(AutoScout 24) befinde; die Elektromobilität nämlich biege derzeit 'auf die | |
Standburg ab’ (Handelszeitung)“ – jedes Zitat eine billige, abgegriffene | |
Metapher, doch von einem Kalauer keine Spur. | |
Offenbar sitzen die Calenberger Bauern inzwischen in Hannover und Hamburg. | |
„,Hallo, ich bin Joe Biden, der Mann von Jill Biden’, kalauert er zur | |
Einstimmung“, berichtet oder nein, „kalauert“ der Spiegel anlässlich ein… | |
Veranstaltung der US-Demokraten. „Freiheit ist immer die Freiheit des | |
Andersdenkenden: Bis zum Erbrechen haben die Medien der Rosa Luxemburg das | |
Wort zum antikommunistischen Kalauer im Mund herumgedreht“, findet, nein | |
„kalauert“ Konkret. | |
Mit dem Wortspiel verwandt ist die Metapher, die zwei unterschiedliche | |
Bereiche zusammenbringt, einen Gedanken in ein Bild fasst. Nach | |
konservativer Auffassung muss die Idee, die Sache, in den von der Sprache | |
gebildeten Rahmen passen. Doch viel schöner ist’s, wenn dem nicht so ist: | |
„Wer die Brandmauer eine Rille öffnet, wird sie kaputt machen“, beschwor | |
Marie-Luise Strack-Zimmermann ihre FDP, womit, in welcher Angelegenheit | |
auch immer, zwar nicht alles geritzt, aber doch irgendwas gerillt war. | |
## Sorgsam, sorgsam Worte abwägen | |
Von der Rille zur Pille: „Der 35-Jährige stand völlig konsterniert vor der | |
Kamera und wägte seine Worte sorgsam ab, schließlich wollte niemand diese | |
bittere Pille höher hängen, als sie ist“, schreibt über einen Torwart nach | |
einem verlorenen Fußballspiel die sorgsam ihre Worte abwägende Frankfurter | |
Rundschau, und das Göttinger Tageblatt zitiert einen Handballtrainer: „Ich | |
habe in der Vorbereitung mehr aufs Zahnfleisch gedrückt“ – damit seine | |
Schützlinge auf der Tube gehen?! | |
Und nun zu etwas ganz anderem: Nach so viel Ungereimtem zum Schluss etwas | |
Gereimtes! „Vollweib“-Autorin Christine Neubauer lebt in München, mag sogar | |
den Föhn und, berichtet das Münchner Wochenblatt, „kann sich einen kleinen | |
Reim nicht verkneifen: Der Föhn schenkt uns laue Tage, das finde ich sehr | |
schön!“ Da reime ich gleich mit: Ich finde, so geht es nich! | |
10 Jan 2025 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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