| # taz.de -- Umfrage zur Motivation am Arbeitsplatz: Ernste Fragen, dürftige An… | |
| > Eine EY-Studie legt Motivationsdefizite der Arbeitnehmer offen. Schade, | |
| > dass die Motivation innerhalb der Beratungsfirma nicht untersucht wurde. | |
| Bild: Braucht es mehr Tunnelblick? | |
| Dass die Kinder zappeliger, die Bilanzprüfer schlampiger, [1][die | |
| Autofahrer wahnsinniger] und die Arbeitnehmer fauler werden – kurz, dass | |
| die Welt immer schneller den Bach runtergeht, davon lasse zumindest ich | |
| mich immer wieder mal gern abholen. Denn trotz [2][gegenteiliger oder | |
| zumindest deutlich weniger apokalyptischer Fakten] entspricht das | |
| offensichtlich meiner spontanen Wahrnehmung der Außenwelt – oder einfach | |
| meinem winterlichen Gemütszustand. | |
| Daten dazu liefert nun [3][eine Umfrage der Beratungsgesellschaft EY,] | |
| früher unter dem Namen Ernst & Young bekannt. Nicht einmal jeder zweite | |
| Angestellte in Deutschland (48 Prozent) gibt dieser Erhebung zufolge | |
| aktuell an, auf der Arbeit sein Bestes zu geben. Dabei zeige sich ein | |
| Generationsgap: Bei den Ende 50-Jährigen bis über 60-Jährigen zeigten sich | |
| 63 Prozent hoch motiviert, bei Arbeitnehmern bis 29 Jahre liege der Anteil | |
| hingegen bei gerade mal 43 Prozent. | |
| Lässt das – bei den fünf Prozent Unterschied im Gesamtergebnis – | |
| mathematisch nicht darauf schließen, dass es schlicht sehr viel mehr junge | |
| als alte Angestellte gibt oder mehr von ihnen befragt wurden? | |
| Ich will mich da nicht so aus dem Fenster lehnen, ich habe nur | |
| bayerisch-humanistische Schulbildung und mich seit meiner Abiturprüfung | |
| (Grundkurs Mathematik, 4 Punkte) nicht mehr mit Zahlen über die | |
| Grundrechenarten hinaus beschäftigt. | |
| ## Lieber 85 Prozent geben | |
| Was ich sagen kann, ist, dass ich erst mit 40 Jahren angefangen habe, | |
| regelmäßig einen Büroarbeitsplatz aufzusuchen; und dass ich die jungen | |
| Menschen um mich herum bewundere, die sich tagein, tagaus vor ihrem Rechner | |
| einfinden, obwohl die Welt ihnen in ihrem Alter so viel Faszinierenderes zu | |
| bieten hat. | |
| Ich weiß aber auch, dass mir die [4][medial dauerpräsenten | |
| Stressbewältigungstipps] (die wiederum eine ganz eigene Art von Stress | |
| erzeugen) immer mal wieder einen Stich versetzen; so etwa der Ratschlag von | |
| Karriereberaterinnen und Coaches, im Job besser [5][nicht ständig 110 | |
| Prozent und mehr zu geben, sondern lieber nur 85 Prozent.] | |
| Ich frage mich dann zum Beispiel, ob nicht gerade in Magdeburg einige | |
| Verantwortliche für die Sicherheit des Weihnachtsmarktes mit sich hadern, | |
| ob sie diese Empfehlung nicht vielleicht etwas zu konsequent beherzigt | |
| haben. Allgemein gesagt gibt es Berufe – meiner gehört in, sagen wir, 85 | |
| Prozent der Fälle nicht dazu –, in denen eine Untererfüllung der Ansprüche | |
| einer Nichterfüllung gleichkommt: Eben dann, [6][wenn ein Polizeifahrzeug | |
| nicht dort steht, wo es hätte stehen müssen oder wenn Flucht- und | |
| Rettungswege nicht wie vorgesehen mit Stahlketten gesichert sind.] | |
| ## Geben bei EY alle „ihr Bestes“? | |
| Das sind sehr ernste Fragen, gerade einen Tag, nachdem ein sechstes | |
| Todesopfer des mörderischen Anschlags zu beklagen ist. Aber vielleicht wäre | |
| ein etwas ernsthafter Umgang der EY als „eine der großen deutschen | |
| Prüfungs- und Beratungsorganisationen“ (Selbstbezeichnung) mit Ursachen und | |
| Wirkungen des von ihr unter die Lupe genommenen Phänomens angemessen | |
| gewesen. | |
| Dann hätten sie sich fragen können, warum sie im Wirecard-Skandal jahrelang | |
| für die Testierung gefälschter Bilanzen millionenschwere Honorare kassiert, | |
| aber den Bilanzbetrug nicht entdeckt haben. Die [7][taz berichtete] im | |
| April 2023, die zuständige Aufsichtsbehörde habe geurteilt, EY habe „seine | |
| Berufspflichten verletzt“ und dürfe in den kommenden zwei Jahren „keine | |
| größeren Unternehmen mehr neu prüfen“. Und die Wirtschaftswoche [8][titelte | |
| im vergangenen November]: „Holen sich Wirecard-Aktionäre jetzt eine | |
| [9][Milliarden-Entschädigung] von EY?“ | |
| Interessant wäre doch die Zahl gewesen, wie viele Beschäftige von EY nach | |
| Eigeneinschätzung deutlich weniger als ihr „Bestes“ gegeben und welche | |
| Führungspersönlichkeiten und Strukturen zu diesem Desaster geführt haben. | |
| ## Nett ist kein Beruf | |
| Ich für meinen Teil muss sagen, dass ich als Angehöriger der | |
| 63-Prozent-Gruppe auf meine älteren Tage immer mehr zur Dankbarkeit neige: | |
| dass ich in einem funktionierendem Staat in einer funktionierenden Stadt | |
| lebe, was im Wesentlichen daran liegt, dass sehr viele Menschen ihrer | |
| Verantwortung gerecht werden und manchmal sogar noch ein Lächeln übrig | |
| haben, sogar in Berlin, wo es ja nicht umsonst heißt: Nett ist kein Beruf. | |
| Und ich versuche, meinen Teil zu diesem Funktionieren beizutragen. | |
| Und wer mich nun deswegen als sentimental und zu optimistisch kritisieren | |
| möchte, der mag das gern tun, ich bin da gerade heute ganz resilient: Denn | |
| mein dreijähriges Söhnchen durfte heute nach gut zwei Wochen andauernder | |
| Weihnachtspause endlich wieder in seine geliebte Kita gehen. Und glauben | |
| Sie mir: Er hat – gerade auch in dieser stillen Zeit – jeden einzelnen Tag | |
| deutlich mehr als 110 Prozent gegeben! | |
| 6 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Autounfaelle/!6048401 | |
| [2] /Negativity-Bias-im-Journalismus/!6055111 | |
| [3] https://www.ey.com/de_de/newsroom/2025/01/ey-work-reimagined-2024-2025 | |
| [4] https://www.deutschlandfunk.de/vom-gesunden-umgang-mit-stress-dlf-bedb7a47-… | |
| [5] https://www.derstandard.de/story/3000000182624/85-statt-100-prozent-im-job-… | |
| [6] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/magdeburg-todesopfer-100.html | |
| [7] /Wirecard-Skandal/!5923524 | |
| [8] https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/wirecard-musterprozess-holen-… | |
| [9] /Aktionaere-wollen-Entschaedigung/!6051017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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