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# taz.de -- Gänse-Streit in Niedersachsen: Bauern rupfen Minister
> In Niedersachsen geht ein Rechtsstreit um die Entschädigung
> Gänse-geschädigter Bauern zuende. Die „Bild“ feiert das als Niederlage
> des Umweltministers.
Bild: Können als Gäste teuer werden: Schwarm Nonnengänse auf einer Wiese
Hannover taz | Bei der Bild-Zeitung sah man praktisch schon die gebratenen
Gänse fliegen. Passenderweise an Weihnachten haut die niedersächsische
Regionalausgabe die Schlagzeile raus: „Umweltminister verliert vor Gericht.
Land muss Bauern für Gänse-Schäden bezahlen“. Darunter eine Fotomontage von
Umweltminister Christian Meyer (Grüne), dem ostfriesischen Bauern Hero
Schulte und einem Feld voller Gänse.
Davon stimmt – wie so oft – nur ein Bruchteil. Schulte darf sich
tatsächlich über 75.000 Euro Entschädigung freuen. [1][Rastende Wildgänse]
hatten ihm sein Grünland kahlgefressen und so verkotet und verpatscht, dass
auch die traurigen Überreste unbrauchbar waren. Schulte musste sich das
Futter für seine Kühe woanders besorgen. Das ist ein Problem, das viele
ostfriesische Bauern kennen. Ob sie deshalb aber auch in den Genuss so
hoher Entschädigungszahlungen kommen, ist – anders als der Bild-Text
suggeriert – immer noch hoch umstritten.
Die Vorgeschichte ist lang, verwickelt und absurd. Sie beginnt 2017 – also
zu einer Zeit, in der der Umweltminister noch Olaf Lies (SPD) hieß und
gegen einen Bescheid des Innenministeriums klagte, das damals von seinem
Parteikollegen Boris Pistorius (SPD) geführt wurde. Das Innenministerium
war ins Spiel gekommen, weil es die „Enteignungsbehörde“ ist. Wenn Flächen
für Straßen, Wege oder andere Vorhaben im öffentlichen Interesse enteignet
werden müssen, erscheint diese Zuständigkeit ja auch erst einmal
einleuchtend.
## Zwei Ministerien haben sich nicht zu verklagen
Als teilweise Enteignung gilt allerdings auch, wenn naturschutzrechtliche
Auflagen die Nutzung einer Fläche erheblich einschränken – der Bauer also
mit seinem Feld nicht einfach machen darf, was er will. So landete die
Enteignungsbehörde im niedersächsischen Naturschutzgesetz – und die
umstrittenen Entschädigungsanträge einiger ostfriesischer Bauern auf einem
Schreibtisch im Innenministerium.
Dort hielt man die entstandenen wirtschaftlichen Schäden für so gravierend,
dass man mehreren Bauern Entschädigungssummen zwischen [2][39.000] und
[3][75.000 Euro] zusprach. Gezahlt werden sollten diese wiederum aus dem
Etat des Umweltministeriums, weshalb dieses gegen die Bescheide klagte –
auch weil es die Berechnungen fachlich zu beanstanden fand.
2024 befand das Verwaltungsgericht Oldenburg in dieser Sache, dass sich
zwei Ministerien in derselben Landesregierung nicht zu verklagen hätten.
Ein solcher „In-sich-Prozess“ sei unzulässig, man solle diese
Streitigkeiten durch einen Kabinettsbeschluss, Weisungen und
Verwaltungsvorschriften intern klären.
## Landesbetrieb soll über Entschädigungen entscheiden
Gegen diesen Beschluss hatte das Umweltministerium Berufung eingelegt,
weshalb die Angelegenheit ans Oberverwaltungsgericht wanderte. Dort hat das
Umweltministerium aber nun in zwei Fällen seine Berufung zurückgezogen –
auch weil man in der Zwischenzeit die Zuständigkeiten neu sortiert hat.
Zukünftig wird nur noch der Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und
Naturschutz (NLWKN) als nachgeordnete Behörde des Umweltministeriums über
Entschädigungsforderungen entscheiden, das Innenministerium ist raus.
Was damit allerdings nicht entschieden ist: ob die Entschädigungszahlungen
durch das Innenministerium korrekt berechnet wurden und angemessen sind.
Die erlassenen Bescheide treten jetzt in Kraft – über alle anderen Anträge
entscheidet der NLWKN.
Wenn sich der Landwirt Hero Schulte, der nebenbei auch noch
stellvertretender Vorsitzender des Friesischen Verbandes für Naturschutz
(FVN) und begeisterter Jäger ist, also [4][von der Bild zitieren lässt] mit
den Worten: „Jetzt kann jeder Landwirt dem Land die Schäden durch Wildgänse
in Rechnung stellen. Die Landesregierung muss zahlen. Das Urteil bezieht
sich nicht nur auf Flächen in Vogelschutzgebieten, sondern auf alle
Gebiete. Die Regierung muss sich jetzt überlegen, ob sie jährlich
Schadensersatzforderungen im dreistelligen Millionenbereich zahlen will.“
Dann verspricht er seinen Mitbauern möglicherweise ein bisschen viel.
Das Umweltministerium glaubt jedenfalls nicht, dass es seinen
Haushaltsansatz deshalb jetzt so weit in die Höhe schrauben muss, wie ein
Sprecher auf taz-Anfrage erklärt. Grundsätzlich hält man die Zahlungen, die
jetzt schon geleistet werden, für ausreichend.
In den EU-Vogelschutzgebieten können die Landwirte über die Agrarumwelt-
und Klimamaßnahmen (AKUM) einen finanziellen Ausgleich für ihren
Mehraufwand beantragen. Dafür müssen sie den nordischen Gastvögeln zwischen
November und März allerdings auch störungsarme Rast- und Nahrungsflächen
anbieten.
Bei Großschäden durch sogenannte Rastspitzen können Bauern weitere
Leistungen beantragen. Hier rückt eine Expertenkommission der
Landwirtschaftskammer zur Begutachtung an. Diese Leistungen sind allerdings
freiwillig, es gibt keinen Rechtsanspruch.
## Wer hohe Schäden hat, bleibt auf den Kosten sitzen
Wer dann immer noch glaubt, er sei einer „unzumutbaren Belastung“ (so
formuliert es das Gesetz) ausgesetzt, der kann versuchen, eine angemessene
Entschädigung nach dem Bundesnaturschutzgesetz einzufordern. Das
Umweltministerium glaubt, dass dies nur in wenigen Fällen vorkommen wird.
Andererseits könnten sich natürlich nun viel mehr Landwirte ermutigt
fühlen, Schäden geltend zu machen und sich auf die nun gültigen Bescheide
zu berufen.
Manfred Tannen, der das Thema für das Landvolk Niedersachsen lange beackert
hat und mit seinem Betrieb in Ostfriesland selbst betroffen ist, hofft vor
allem auf vernünftige Neuregelungen. „Wir hoffen, dass damit anerkannt ist,
dass die Schäden schon ein deutliches Stück darüber hinausgehen, was man
unter dem Stichwort ‚Sozialpflichtigkeit des Eigentums‘ sonst so hinnehmen
muss“, sagt er.
Das gilt insbesondere für die Gebiete, wo die Landkreise ihre
Schutzgebietsordnungen so streng verfasst haben, dass nicht mal mehr
einfache Vergrämungsmaßnahmen wie Vogelscheuchen, akustische Signale oder
Aufscheuchen zulässig sind. „Da müssen Sie danebenstehen und gucken, wie
die Gänse die Felder leer fressen.“
Außerdem fordert das Landvolk seit Jahrzehnten, die Entschädigungen stärker
an den tatsächlichen Schäden auszurichten – und weniger mit
Pauschalbeträgen zu arbeiten. „Die werden niemandem gerecht, weil es diese
Durchschnittsfälle gar nicht gibt“, sagt Tannen. Wer hohe Schäden zu
verzeichnen hat, bleibt meist auf einem guten Teil der Kosten sitzen. Dafür
streichen andere Bauern deutliche Mitnahmeeffekte ein. „Das
Rastspitzenmanagement ist da zumindest ein Schritt in die richtige
Richtung.“
Das letzte Wort ist in diesen Angelegenheiten jedenfalls noch lange nicht
gesprochen – das letzte Gerichtsurteil ganz gewiss auch nicht.
6 Jan 2025
## LINKS
[1] /Verfressene-Gaense-in-Schleswig-Holstein/!5881464
[2] https://www.agrarheute.com/tier/rind/39000-euro-ministerien-streiten-ueber-…
[3] http://fvnj.eu/aktuelles/gaensefrassschaeden-landwirt-erhaelt-75-000-euro-e…
[4] https://www.bild.de/regional/niedersachsen/umweltminister-verliert-vor-geri…
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Gänse
Tiere
Vogelschutz
Entschädigung
Niedersachsen
CDU Schleswig-Holstein
Schwerpunkt Stadtland
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