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# taz.de -- Regierungskrise in Österreich: Österreichischer Scherbenhaufen
> Konservative und Sozialdemokraten können sich nicht auf eine Koalition
> einigen. ÖVP-Chef Nehammer tritt daraufhin zurück. FPÖ vor
> Regierungsbildung.
Bild: Er muss nun entscheiden, wer es als nächstes mit einer Regierungsbildung…
Turbulente Tage in Wien: Als am Freitag bekannt wurde, dass die liberalen
Neos die Koalitionsgespräche verlassen, wollten ÖVP und SPÖ zunächst
weiterverhandeln. Immerhin hätten Konservative und Sozialdemokraten auch
ohne Neos eine hauchdünne parlamentarische Mehrheit. Samstagabend platzte
dann aber die Bombe: Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl [1][Nehammer kündigte
seinen Rücktritt aus beiden Funktionen] an. „In wesentlichen Punkten ist
mit der SPÖ keine Einigung möglich“, erklärte Nehammer in einem Video. „…
werde mich als Bundeskanzler und auch als Parteiobmann der Volkspartei
zurückziehen und einen geordneten Übergang ermöglichen.“
Seitdem schieben sich beide Seiten gegenseitig die Schuld zu. Die jeweils
andere Partei habe sich zu wenig kompromissbereit gezeigt. Nehammer selbst
ließ die Hintergründe unausgesprochen und stellte sich keinen Fragen.
Spekuliert wurde, dass er von der eigenen Partei abgesägt wurde. So oder
so: Mit seinem Rücktritt hinterlässt Nehammer einen Scherbenhaufen, nicht
nur in seiner Partei. Denn seitdem versinkt Österreich im politischen
Chaos. Ein neuer Übergangskanzler steht noch nicht fest.
Noch am Wochenende sah sich die ÖVP eilig nach einem neuen Parteichef um.
Dieser wird nun als Interimslösung der eher farblose Christian Stocker,
Generalsekretär der Partei. Bisher hatte er sich gegen eine Regierung mit
der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei (FPÖ) ausgesprochen. Er wolle nun
„eine Einladung der FPÖ annehmen“, sagte Stocker am Sonntag. Das
wahrscheinlichste Szenario ist jetzt tatsächlich eine Regierung unter
FPÖ-Führung. Nach den gescheiterten Verhandlungen ist schon rechnerisch
keine Variante ohne die Freiheitlichen möglich, die bei den
[2][Parlamentswahlen im September mit rund 29 Prozent stärkste Kraft]
wurden.
Wie es nun weitergeht, liegt auch an Bundespräsident Alexander Van der
Bellen. Für Montagvormittag lud er FPÖ-Chef Herbert Kickl in die Wiener
Hofburg ein. Wahrscheinlich ist, dass Kickl einen Auftrag zur
Regierungsbildung erhalten wird. Der Bundespräsident betonte vorab
sicherheitshalber, dass die neue Regierung demokratische Grundpfeiler wie
Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Minderheitenrechte, freie und unabhängige
Medien sowie die EU-Mitgliedschaft respektieren müsse.
Noch im Herbst hatte Van der Bellen Kickl übergangen und keinen
Regierungsauftrag an die bei der Wahl erstplatzierte Partei vergeben – mit
der Begründung, er sei in intensiven Gesprächen mit SPÖ und ÖVP zum Schluss
gekommen sei, dass beide Parteien auch nach der geschlagenen Wahl eine
Zusammenarbeit mit Kickl ablehnen. Dabei blieb es, durchaus zur
Überraschung mancher Beobachter, auch bei der ÖVP unter Karl Nehammer.
## Expertenregierung brächte keine Lösung
Nehammer ist nun weg, seine Verhandlungen sind gescheitert. Mangels
Alternativen hat Van der Bellen also kaum eine andere Wahl, als einen
Regierungsbildungsauftrag an Kickl zu vergeben. Eine Expertenregierung
brächte keine Lösung des politischen Patts, ebenso wenig wie eine Neuwahl
im Lauf des Frühlings. Angesichts drängender Probleme wie der
Rekordverschuldung, derentwegen Österreich auch ein EU-Defizitverfahren
droht, wäre dies auch kaum vermittelbar.
Inhaltlich trennt ÖVP und FPÖ in vielen Bereichen ohnehin nicht viel – und
in Zukunft wohl noch weniger, da Nehammer weg ist, der eine Zusammenarbeit
mit FPÖ-Chef Herbert Kickl ausgeschlossen hatte. Hinter den Kulissen machen
einige Schwergewichte der ÖVP schon lange Druck. Noch am Sonntag forderte
der Tiroler Landeshauptmann, Anton Mattle von der ÖVP, eine „rasche
Handlungsfähigkeit der Bundespolitik“. Das lässt sich kaum anders denn als
Aufforderung zu einer FPÖ-Koalition lesen.
Dass mit der FPÖ eine dezidiert antieuropäische und russlandfreundliche
Partei an die Macht käme, ist bisher noch nicht so richtig durchgedrungen.
Mehrmals hatte Kickl angekündigt, die Politik des illiberalen ungarischen
Premiers Viktor Orbán kopieren zu wollen. Als Damoklesschwert über den
Dreiergesprächen hing daher von Anfang an eine Regierung mit der FPÖ. Klar
ist mittlerweile: Wenn nicht einmal ÖVP und SPÖ zusammenfinden, hätte eine
Dreierkoalition zusammen mit den liberalen Neos schon gar nicht
funktioniert.
Rasch hatten sich am Samstag auch Gerüchte einer neuerlichen Übernahme der
ÖVP durch deren einstige Lichtgestalt, Ex-Kanzler Sebastian Kurz,
verbreitet. In einem solchen Szenario hätte Kurz wohl auf Neuwahlen
gedrängt. Die Gerüchte waren aber so schnell wieder vom Tisch, wie sie
aufgekommen waren. Dass ausgerechnet er manchen als Wunsch-Nachfolger
Nehammers galt, sagt einiges über die Verfasstheit der ÖVP. Kurz war es,
der mit zahlreichen Skandalen, autoritären Anwandlungen und wenig Achtung
vor demokratischen Institutionen Partei und Republik beschädigt hat.
Jetzt könnte Österreich blau-schwarz werden. Vor einem Kanzler Kickl stehen
nur mehr eine Einigung mit der ÖVP und die Zustimmung des
Bundespräsidenten. Doch auch die FPÖ muss mitgehen. Sie dürfte überlegt
haben, es auf Neuwahlen ankommen zu lassen: In Umfragen stehen die
Freiheitlichen derzeit bei 35 Prozent und mehr. Ein solches Ergebnis
brächte ihnen noch mehr Verhandlungsmacht. Angesichts der Ungeduld in der
Bevölkerung und mit dem Kanzleramt vor Augen braucht Kickl das eigentlich
nicht mehr.
5 Jan 2025
## LINKS
[1] /Regierungskrise-in-Oesterreich/!6060585
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## AUTOREN
Florian Bayer
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