# taz.de -- Jazzalbum von Jeff Parker: Adrenalin, ohne Wurzeln zu schlagen | |
> „The Way out of Easy“, ein unglaublich tolles neues Jazzalbum von dem | |
> Jeff Parker ETA IVtet, ist inspiriert von den Klangwelten des HipHop. | |
Bild: Cool, calm, collective: Jeff Parker (zweiter von links) mit dem ETA-Quart… | |
„The Way out of Easy“, das neue Album [1][des kalifornischen | |
Jazzgitarristen Jeff Parker] mit dem ETA-Quartett, ist das Dokument einer | |
Livesession, die am 2. Januar 2023 in einer Weinbar im Großraum Los Angeles | |
aufgenommen wurde. In den vier langen Songsuiten stecken so viel cooles | |
Wissen, verschärfte Groovepsychedelik und spielerische Brillanz, dass man | |
zu jedem Track eigene Nachforschungen anstellen könnte. Enfield Tennis | |
Academy, nach dem sich das ETA IVtet benannt hat, verweist nicht etwa auf | |
ein Vereinslokal, es zitiert einen zentralen Handlungsort, ein | |
Tennis-Internat in Massachusetts, [2][in David Foster Wallace’ Romanepos | |
„Unendlicher Spa]ß“. | |
Das 2022 in gleicher Besetzung am selben Ort entstandene Album „Mondays at | |
the Enfield Tennis Academy“ trug den Doppelbezug bereits im Albumtitel. | |
Alle Beteiligten – neben Gitarrist Parker, Bassistin Anna Butterss, | |
Saxofonist Josh Johnson und der Drummer Jay Bellerose, gehören zum | |
Dunstkreis der südkalifornischen Jazzszene und trafen sich über Jahre | |
wöchentlich zum Jammen in der Enfield Tennis Academy, einem mittlerweile | |
geschlossenen Fixpunkt der Musikszene von L.A. | |
„The Way out of Easy“ schließt nun den Kreis. Wie David Foster Wallace sind | |
auch Parker und das ETA IVtet große HipHop-Fans und hören begeistert hin, | |
[3][wenn Produzenten wie Madlib Beats mit einem Drumcomputer schmieden und | |
Samples am Roland MPC schneiden, so dass sie für die achttaktigen Reime von | |
Rapper:Innen ein Musikbett bilden.] | |
„Freakadelic“, der Auftaktsong, weist mit seinem klassischen Boombap | |
nachempfundenen Drumbeat sofort die Richtung: [4][Das musikalische Drama | |
eines HipHop-Instrumentals] wird beim Wiederanverwandeln neu erzählt, ohne | |
dass die Dringlichkeit flöten geht, oder die gesellschaftliche Apathie, | |
[5][deren Ausdruck die Vorstellungswelten von HipHop immer thematisierte.] | |
Rap klaute hemmungslos beim Jazz. Das Verhältnis von Jazz und HipHop, auch | |
das spricht aus „The Way out of Easy“, ist daher kompliziert: Rhythm und | |
Blues, Massenkompatibilität von Jazz als Vorläufer von Popmusik in den | |
1940ern, kommerzielle Erfolge und Ausbeutung von afroamerikanischen | |
Künstler:Innen; ohne diese musikalische (Unrechts-)Geschichte gäbe es | |
keinen HipHop. Aber muss er sich deshalb andauernd beim Jazz bedanken? | |
## Gravitätisch über HipHop nachdenken | |
Nichts wird hier nachträglich in mildes Licht getaucht. „The Way out of | |
Easy“ denkt gravitätisch über HipHop nach, verliert beim Nachdenken aber | |
nicht den Bezug zu den Abgründen. „Rapper:Innen sind Milton’sche Teufel“ | |
hat David Foster Wallace über Künstler:Innen postuliert, die das | |
Unsagbare aussprechen. „The Way out of Easy“ macht sich auf instrumentale | |
Weise einen Reim auf kontroverse Songtexte, statt nach abstrakten Reimen | |
sucht die Musik nach ihrer Gegenständlichkeit – verblüffend präzise. | |
In „Freakadelic“ versenkt sich Anna Butterss mit einem kurzen Bassthema in | |
den Drumbeat, während Johnson und Parker abwechselnd im Tiefflug über die | |
Rhythmussektion solieren, aber auch diverse Soundeffekte, wie Sonden in | |
deren Eingeweide, auf Erkundung schicken. Wenn der Beat in Minute 9 | |
wechselt, dann erneut bei Minute 12, als er dem Boombap-Schema davontrabt, | |
werden einzelne Features prominent, ein straightes Ridebecken, | |
unterbrechende Snare- und Tom-Schläge. Plötzlich treiben Saxofon und | |
Gitarre mit einer Unisono-Melodie an; Zeit zum Wurzelnschlagen bleibt hier | |
keine, der Wumms vom Drumbeat sagt nein. | |
„Late Autumn“ und das mit dem Albumtitel spielende „Easy Way Out“ | |
reduzieren die musikalischen Mittel und arbeiten mit anschwellenden Drones | |
und in eher stiller Zurückhaltung, während zum Finale „Chrome Dome“ die | |
Echokammern des Dub produktiv abgetastet werden und der Lautstärke beim | |
Zusammenspiel Stringenz abgewonnen wird. | |
HipHop sei „ein Stil, der beim Sampling Unterschiede zwischen Hommage und | |
Urheberrechtsverletzung verwischt und nicht zwischen Eigenem und Anderem | |
trennt“. Er könne daher „beim Plündern gar nicht eigenständig sein“, | |
schrieb David Foster Wallace 1990 über die Klangwelten des Rap. Zu einer | |
Zeit, als Sampling noch als monströse neue Kulturtechnik galt. Die Zitate | |
stammen aus „Signifying Rappers“, ein Essay, dass Wallace zusammen mit Mark | |
Costello veröffentlichte, bevor er als Schriftsteller bekannt wurde. Aus | |
weißer, männlicher US-Mittelklasse-Perspektive blicken die beiden darin | |
staunend auf Erscheinungsformen des HipHop. „Rap appropriiert hypnotische | |
Jazzmelodien, aber sein Adrenalin verengt den großen Spielraum von | |
Jazzpatterns zum Stakkato-4/4-Takt des Rock.“ Die Angst vor Adrenalin und | |
seiner kommerziellen Nivellierung, ganz unbegründet war sie nicht. | |
Tröstlich, dass nun vier Jazzkünstler:Innen ihrerseits von „Signifying | |
Rappers“ und ihren hypnotischen Patterns zitieren. Bewusstseinserweiterung, | |
live in der Enfield Tennis Academy. | |
16 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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