# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in den Medien: Nicht viel gelernt | |
> Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung untersucht Artikel über | |
> geschlechtsspezifische Gewalt. Das Ergebnis: Es geht immer noch zu oft um | |
> Einzelfälle. | |
Bild: Einer Demonstration am Internationalen Tag für die Beseitigung von Gewal… | |
Gewalt gegen Frauen sind keine Einzelfälle. Gewalt gegen Queers sind keine | |
Einzelfälle. Gewalt gegen Mädchen sind keine Einzelfälle. Leider muss das | |
oft wiederholt werden. Fast jeden Tag wird eine Frau oder ein Mädchen | |
getötet – Femizide sind aber nur die Spitze der Gewalt. [1][Andere Formen | |
von Gewalt wie häusliche Gewalt sind noch viel weiter verbreitet]. Die | |
polizeiliche Kriminalstatistik zeigt das auf: Im Jahr 2023 wurden täglich | |
mehr als 140 Frauen und Mädchen Opfer sexualisierter Gewalt, alle drei | |
Minuten erlebte eine Frau oder ein Mädchen häusliche Gewalt. | |
Auch in Medien sind – spätestens seit der 2017 gestarteten | |
#MeToo-Bewegungen, diese Themen allgegenwärtig. Aber wie berichten Medien | |
über geschlechtsspezifische Gewalt? Eine neue Studie der | |
Otto-Brenner-Stiftung, veröffentlicht am 12. Dezember 2024, beleuchtet die | |
Berichterstattung über Gewalt an Frauen. Sie zeigt, dass sich trotz | |
jahrelanger Debatten und [2][Bewegungen wie #MeToo] in der journalistischen | |
Praxis wenig verbessert hat. In der Studie wurden Berichte von | |
Boulevardmedien wie der Bild-Zeitung, Regionalzeitungen wie dem Münchner | |
Merkur sowie der dpa und Spiegel Online aus den Jahren 2020 bis 2022 | |
analysiert. Die Ergebnisse sind leider ernüchternd. | |
Gewalt in Partner*innenschaften wird zwar etwas häufiger thematisiert | |
als in früheren Untersuchungen, jedoch bleiben wichtige Gewaltformen wie | |
psychische und finanzielle Kontrolle fast vollständig unbeachtet. Insgesamt | |
ist Partnerschaftsgewalt im Verhältnis zu ihrem realen Ausmaß in den Medien | |
deutlich unterrepräsentiert. Besonders kritisch ist, dass sich immer mehr | |
Artikel auf die Motive der Täter konzentrieren, während die Perspektive der | |
Opfer medial kaum Platz findet. Nur 16 Prozent der untersuchten Artikel | |
ordnen Gewalt gegen Frauen thematisch ein, lediglich vier Prozent fordern | |
politische oder gesellschaftliche Maßnahmen. Noch gravierender: In nur zwei | |
Prozent der Berichte werden Hilfsangebote für Betroffene erwähnt, obwohl | |
diese Informationen essenziell sind, um Gewaltopfern konkrete Unterstützung | |
zu bieten. | |
Ein weiteres Problem zeigt sich laut dem OBS-Papier bei der Darstellung von | |
Taten, die von nichtdeutschen Tatverdächtigen begangen wurden. Diese werden | |
etwas häufiger als strukturelles und wiederkehrendes Problem dargestellt, | |
was stereotype Vorstellungen über Gewaltursachen und Tätergruppen | |
verstärkt. Auch hier bleibt die Berichterstattung oft oberflächlich und | |
schürt Vorurteile, statt differenziert auf die tatsächlichen Strukturen | |
hinter der Gewalt einzugehen. | |
## Kein Randthema | |
Der Deutsche Journalisten-Verband DJV betont die Verantwortung der Medien | |
in diesem Bereich. Gewalt gegen Frauen sei kein Randthema, sondern müsse | |
viel stärker in den Fokus rücken. „Wir Journalistinnen und Journalisten | |
haben eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, vielschichtig über | |
Gewalt gegen Frauen zu berichten“, erklärte DJV-Bundesvorsitzender Mika | |
Beuster anlässlich der Veröffentlichung der Studie in einer | |
Pressemitteilung. Medien prägen entscheidend mit, wie die Gesellschaft | |
solche Themen wahrnimmt und welche Bedeutung ihnen beigemessen wird. | |
Für eine bessere Berichterstattung braucht es strukturelle Veränderungen in | |
der journalistischen Praxis. Redaktionen sollten verbindliche Normen | |
schaffen, um sensibler mit dem Thema umzugehen. Die Sprache in den | |
Berichten muss präzise und respektvoll sein, um Gewalt weder zu | |
verharmlosen noch zu dramatisieren. Es ist wichtig, dass Artikel | |
systematisch auf Hilfsangebote hinweisen, damit Betroffene wissen, wo sie | |
Unterstützung finden können. Gleichzeitig muss die Perspektive der Opfer | |
stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, statt lediglich die Täter und | |
deren Motive zu beleuchten. | |
Die Empörung über Gewalt gegen Frauen ist in etablierten wie sozialen | |
Medien oft groß, flacht aber nach wenigen Wochen wieder ab, ohne dass sich | |
etwas ändert. Doch das kann und darf nicht der Normalzustand bleiben. Wenn | |
das Leben von Frauen, Mädchen und queeren Menschen wirklich etwas zählt, | |
muss die Gesellschaft diesen Moment der Aufmerksamkeit nutzen, um | |
dauerhafte Veränderungen einzuleiten. Journalist*innen spielen dabei | |
eine Schlüsselrolle – sie können die nötigen Debatten anstoßen, die | |
strukturelle Gewalt sichtbar machen und den Opfern eine Stimme geben. | |
12 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /taz-Recherche-zu-Gewalt-gegen-Frauen/!6048072 | |
[2] /Vergewaltigungsvorwurf-gegen-Jay-Z/!6051615 | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Leclere | |
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