# taz.de -- Urteil zu moderner Sklaverei in Ecuador: „Der Präsident ist Sohn… | |
> Das japanische Unternehmen Furukawa konnte in Ecuador ein System der | |
> Leibeigenschaft aufbauen. Mit politischer Hilfe, kritisiert Soziologe | |
> Stalin Herrera. | |
Bild: Furukawa- Mitarbeiter:innen feiern ihren Sieg vor Gericht | |
taz: Herr Herrera, das ecuadorianische Verfassungsgericht hat den | |
japanischen Konzern Furukawa wegen „moderner Sklaverei“ verurteilt . Er hat | |
über Jahrzehnte die Menschenrechte Hunderter Landarbeiter auf Plantagen mit | |
Abacá-Bananenpflanzen verletzt, deren reißfeste Fasern in vielen Produkten | |
wie Seilen, Teppichen und manchen Papiersorten stecken. Was bedeutet das | |
Urteil? | |
Stalin Herrera: Zuerst einmal ist es überaus positiv, dass die höchste | |
juristische Instanz des Landes ein derartiges Urteil spricht und dass | |
dieses Urteil nicht mehr anfechtbar ist. Der Prozess hat seit 2019 alle | |
juristischen Etappen durchlaufen und ist ein Erfolg für die Arbeitsrechte | |
in Ecuador. 342 Arbeiter:innen hatten sich in der Organisation „Nie | |
wieder Furukawa“ zusammengeschlossen und Klage eingereicht. | |
taz: Die Liste an Vorwürfen ist lang und furchtbar: kein Zugang zu | |
Trinkwasser, zu grundlegenden sanitären Einrichtungen und | |
Gesundheitsdiensten für die Mitarbeitenden, schwere Arbeitsunfälle wegen | |
Missständen vor Ort. Wie war das überhaupt möglich? Es gibt doch | |
Inspektionsteams der Regierung, Arbeits- oder Gesundheitsministerium hätten | |
die Kontrolleur:innen doch nach Aufkommen der ersten Vorwürfe auf den | |
Plantagen vorbeischicken können oder sogar müssen. | |
Herrera: Gute Frage. In Ecuador ist zum einen die staatliche Infrastruktur | |
seit 2017 rückgebaut worden. Die von Ihnen angesprochenen Inspektionsteams | |
gibt es nicht mehr in der gleichen Zahl wie noch 2017 oder 2018. Hinzu | |
kommt, dass das Arbeitsministerium den Konzernen sehr nahesteht. So hieß | |
der Arbeitsminister unter Präsident Lenín Moreno von 2017 bis 2021 Raúl | |
Ledesma und ist der Sohn des Präsidenten des wichtigsten Exportgremiums im | |
Bananensektor. | |
taz: Gewerkschaften hatten damit wohl also einen schweren Stand? | |
Herrera: Für Gewerkschaftler:innen war mit dieser Nominierung klar, | |
dass es unter dieser Regierung zu [1][keinerlei Fortschritten bei den | |
Arbeitsrechten] kommen würde – das Arbeitsministerium galt als de facto | |
unter der Regie der bananenexportierenden Wirtschaft. Die Präsenz der | |
ökonomischen Elite in den politischen Entscheidungsstrukturen ist ein | |
historisches und strukturelles Problem Ecuadors – bis heute. Der heutige | |
Präsident, Daniel Noboa, ist der Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa. | |
Sein Vorgänger war mit Guillermo Lasso ein Vertreter der Finanzbranche. | |
taz: Machen sich diese Verhältnisse bei den Inspektionsteams der Regierung | |
bemerkbar? | |
Herrera: Durchaus. Schon ihre Zahl ist im Vergleich zu den Nachbarländern | |
wie Peru oder Kolumbien deutlich geringer. Zudem werden Visiten vorab | |
angekündigt, sodass sich die Unternehmen darauf vorbereiten können. Das | |
konterkariert die Idee der Inspektionen, trägt dazu bei, dass Verstöße | |
gegen die Arbeitsrechte ungeahndet bleiben und die gewerkschaftliche | |
Organisationsquote in Ecuador bei gerade 2,8 Prozent liegt. | |
taz: Ist der Fall Furukawa die Ausnahme oder ist es einer von vielen | |
Fällen? Es gibt Berichte, denen zufolge Unternehmen die | |
Agrararbeiter:innen über Dekaden in einem System der Leibeigenschaft | |
gehalten und systematisch ausgebeutet haben. | |
Herrera: Nein, das ist kein Einzelfall, es gibt [2][gut dokumentierte Fälle | |
von den Plantagen], vor allem im Bananenanbau. Besonders an der Küste und | |
dort speziell im Süden des Landes gibt es Fälle vergleichbarer Strukturen. | |
Sie stehen für eine Ausbeutungskultur unter der großgrundbesitzenden Elite, | |
die weit verbreitet ist und die durch wissenschaftliche Studien seit Anfang | |
der achtziger Jahre belegt ist. Neben dem Bananen- geht es etwa auch um den | |
Schnittblumenanbau. Mit dem Fall Furukawa kommt ein weiteres Produkt hinzu, | |
eben die Abacá-Pflanzenfaser. Die dort über einen sehr langen Zeitraum | |
praktizierte Ausbeutung, die mit extremen Arbeitsrechtsverletzungen | |
einherging, ist tatsächlich schockierend. | |
taz: Ecuador ist ein Land, in dem es kaum noch organisierte | |
Arbeiter:innen gibt. Auf 2,8 Prozent ist die Quote gewerkschaftlichen | |
Bindung gesunken. Woran liegt das? | |
Herrera: Es gibt einen ganzen Strauß von Gründen: Wir haben es mit einem | |
gewerkschaftsfeindlichen Ambiente zu tun, vor allem auf dem Land. | |
Branchengewerkschaften, die eben nicht an den einen Betrieb gebunden sind, | |
sondern Arbeiter:innen aus der gesamten Branche vertreten, werden | |
behindert. Das zeigt das Beispiel von ASTAC, einer Branchengewerkschaft im | |
Plantagensektor Ecuadors, die auf ein Urteil des Verfassungsgerichts | |
wartet, um legal in Ecuador arbeiten zu können. Hinzu kommt, dass Ecuador | |
mehr und mehr zum Land mit kleiner und mittelständischer | |
Unternehmensstruktur wird. Der Bedarf an klassischen Gewerkschaften, die | |
sich ab 25 Arbeiter:innen organisieren dürfen, ist rückläufig. Hinzu | |
kommt, dass immer mehr Unternehmen mit Sub-Sub-Sub-Angestellten arbeiten, | |
die von Dienstleistern gestellt werden, sich aber erst gar nicht | |
organisieren dürfen. | |
taz: Sie sprechen von einer gewerkschaftsfeindlichen Kultur: Haben | |
organisierte Arbeiter:innen auch persönlich Nachteile zu befürchten? | |
Herrera: Wer sich trotzdem organisiert, wird oft entlassen, landet auf | |
schwarzen Listen und wird bedroht. Auch tätliche Angriffe hat es schon | |
gegeben. In Ecuador gibt es wirklich einen enormen institutionellen | |
Widerstand dagegen, sich mit Arbeitsrechten zu beschäftigten oder sie sogar | |
einzufordern. Die gewerkschaftsfeindlichen Strukturen reichen weit in die | |
Institutionen hinein. | |
12 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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