# taz.de -- taz-adventskalender „24 stunden“ (12): 12 Uhr in der Suppenküc… | |
> Drei Mal pro Woche versorgt eine Charlottenburger Suppenküche Bedürftige | |
> mit einem warmen Mittagessen. Im unwirtlichen Berliner Winter ist der | |
> Andrang groß. | |
Bild: Warme Mahlzeit an kalten Tagen. Archivbild aus einer Berliner Suppenküche | |
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: | |
Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns | |
durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 | |
Minuten Berlin hinter unserem [1][taz-berlin-Kalendertürchen]. Heute: ab 12 | |
Uhr in der Suppenküche. | |
Viertel nach 12 – die Glocke läutet. Ein grauhaariger Mann mit Schürze | |
tritt in die Mitte des Saals. „Heute gibt’s Rührei mit Spinat und | |
Kartoffeln“, verkündet er feierlich. „Guten Appetit!“. Kaum ausgesproche… | |
strömen die Gäste zur Essensausgabe, an der drei gutgelaunte ehrenamtliche | |
Mitarbeiter*innen großzügige Portionen aus den dampfenden Töpfen | |
schöpfen. | |
Die Suppenküche der [2][Kirchengemeinde Am Lietzensee] in Charlottenburg | |
ist in der Kältehilfesaison – zwischen Anfang November und Ende März – | |
montags bis mittwochs von 12 bis 14 Uhr für Menschen geöffnet, die sich | |
kein Mittagessen leisten können. Nicht alle sind wohnungslos. „Manche leben | |
in Notunterkünften, andere in einer Laube, wieder andere können ihre | |
Wohnung nicht sauber halten und die Küche nicht betreten“, erzählt die | |
Koordinatorin, Hanna Meyer. | |
Zu den Bedürftigen gehört auch Frau Marx. Die 74-Jährige mit grauen Haaren | |
und nur noch zwei verbliebenen Zähnen sitzt an einem weihnachtlich | |
geschmückten Tisch und erzählt: „Ich bin seit 24 Jahren obdachlos.“ Seit 2 | |
Jahren wohnt sie in der Notübernachtung in Wannsee, die sie jedoch morgens | |
um halb 8 verlassen muss. Zum Mittagessen kommt sie daher in die | |
Suppenküche. „Hier bekomme ich nicht das, was ich mir zu Hause kochen | |
würde“, sagt sie. „Aber das Essen ist gut.“ Am liebsten mag sie Schnitze… | |
Das Essen wird von der [3][Graefewirtschaft] geliefert, einem sozialen | |
Essenslieferanten, der Geflüchtete einstellt, die keinen Zugang zum | |
primären Arbeitsmarkt haben. Jeden Tag geben sie 60 Mahlzeiten aus, | |
berichtet Meyer. „Häufig reicht das Essen vorne und hinten nicht.“ Dann | |
wird Eintopf warmgemacht. | |
## Betrieb im Sommer nur dank Spenden | |
Als Teil der [4][Berliner Kältehilfe] erhält die Suppenküche einen Zuschuss | |
vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Damit können die Kosten für das | |
Essen inzwischen gedeckt werden, erzählt Meyer. Allerdings sei es nicht | |
genug, um den Betrieb auch in den Sommermonaten aufrechtzuerhalten. In den | |
vergangenen zwei Sommern sei dies aber durch Spenden möglich gewesen. „Das | |
ist enorm wichtig, denn es bietet den Gästen Kontinuität“, sagt Meyer. | |
Montags ist immer [5][das Berliner Arbeitslosenzentrum BALZ] zur | |
Sozialberatung vor Ort. „Wenn so eine Anlaufstelle monatelang wegfällt, | |
stellt das unsere Gäste vor große Herausforderungen.“ | |
Auch, dass die Notunterkünfte nur in der Kältehilfesaison geöffnet sind, | |
kritisieren einige Gäste. Ein älterer Herr mit Schal und Mütze, der Frau | |
Marx gegenübersitzt, schimpft: „Der Staat ist unvernünftig!“ Die Rente | |
reiche nicht aus. Das frustriert auch Frau Marx, die früher als | |
Einlassaufsicht im Palast der Republik gearbeitet hat: „Ich habe immer | |
gearbeitet, ich war nie faul. Und jetzt sitze ich hier und [6][bekomme kaum | |
eine Rente]. Das ist doch kein Leben“, sagt sie, während ihr Tränen in die | |
Augen steigen. „Ich will endlich Leben!“ | |
Seit 10 Jahren würden immer mehr Rentner*innen in die Suppenküche | |
kommen, berichtet Leona, die hinter dem Kaffee- und Kuchenbuffet steht. | |
„Die Rente reicht vorne und hinten nicht.“ Zudem sei die Zahl von Menschen | |
mit psychischen Erkrankungen, die zu ihnen und in ihre Partnereinrichtung, | |
das Nachtcafé in Westend komme, dramatisch angestiegen. | |
Leona ist ein Urgestein der Suppenküche. Seit 1993 engagiert sie sich in | |
der inzwischen 33 Jahre alten Einrichtung. „Bis zur Pandemie habe ich die | |
medizinische Betreuung übernommen“, erzählt sie. Für Gäste ohne | |
Krankenversicherung ist montags ein Arztmobil der Caritas für medizinische | |
Behandlung vor Ort. „Seit 2 Jahren bin ich die Kaffeemamsell“, sagt sie und | |
lässt zufrieden ihren Blick über den Saal schweifen: „Es ist eine sehr | |
nette Gruppe. Es gibt wenig Randale.“ | |
Die Winterzeit sei für viele Gäste sehr anstrengend. „Sie hangeln sich von | |
Teestuben über City-Stationen zur Suppenküche. Manche haben abends das | |
Glück in eine Notunterkunft gehen zu können, andere nicht: Sie müssen unter | |
die Brücke.“ | |
12 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /taz-Adventskalender/!t5732120 | |
[2] https://www.trinitatiskirche.de/diakonieundsoziales/suppenkuche-und-nachtca… | |
[3] https://graefewirtschaft.org/ | |
[4] /30-Jahre-Kaeltebus/!6042900 | |
[5] https://www.berliner-arbeitslosenzentrum.de/ | |
[6] /Altersarmut-bei-Frauen/!5993661 | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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