# taz.de -- taz-adventskalender „24 stunden“ (14): 14 Uhr im Stadtbad Neuk�… | |
> Eigentlich ist Berlin in den neun dunklen Monaten des Jahres unbewohnbar. | |
> Zum Glück gibt es öffentliche Saunen – wenn sie auch zu teuer sind. | |
Bild: Wunderschön und leer: Das Stadtbad Neukölln um die Mittagszeit | |
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: | |
Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns | |
durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 | |
Minuten Berlin hinter unserem [1][taz-berlin-Kalendertürchen]. Heute: ab 14 | |
Uhr in der Sauna des Stadtbads Neukölln. | |
Berlin, du kannst so hässlich sein. Ich stehe am Bahnsteig und die U-Bahn | |
kommt mal wieder zu spät. Die Menschen drängeln sich, obwohl es mitten am | |
Tag ist. Kein Wunder, so [2][wie die BVG kaputtgespart wird]. Um mich herum | |
Gerotze und Gehuste. Ich hasse den Winter. Und wie schlecht gelaunt die | |
anderen alle wieder aussehen. Genervt funkele ich sie an, sollen sie ruhig | |
merken, was für grimmige Menschenfeinde sie sind. Ich ziehe mir meine | |
Kapuze ins Gesicht. | |
Zum Glück breche ich heute aus. Heute entfliehe ich der Tristesse der | |
alltäglichen Lohnarbeit, dem Grau und dem Matsch und all der schlechten | |
Laune. Heute gehe ich saunieren. Ich weiß: Von ein paar Stunden in diesem | |
Tempel der Wärme kann ich zwei Wochen lang zehren. Abends aber sind die | |
wenigen öffentlichen Saunen dieser Stadt gern mal überfüllt. „Heute leider | |
nicht“, heißt es da am Eingang schon mal – wie vor dem Berghain. | |
Dieses Mal habe ich mir deshalb vorgenommen, schon um die Mittagszeit zu | |
gehen, um 14 Uhr. Raus am Rathaus Neukölln, vorbei an den Kaufsüchtigen, | |
noch etwas die Karl-Marx-Straße runter, dann abbiegen in die | |
Ganghoferstraße und ich bin da. Kaum habe ich [3][das Stadtbad Neukölln] | |
betreten, herrscht Stille. Der Straßenlärm bleibt draußen, sofort. Ein | |
kleines bisschen Chlor liegt in der Luft. Es ist warm. Ich bin angekommen: | |
Ab jetzt ist Quality Time, nur noch die eigenen Bedürfnisse zählen, denke | |
ich – und merke, wie die Lebensfreude in mir wieder erweckt. | |
## Eine Parallelwelt | |
Das Stadtbad Neukölln ist ein historisches Gebäude, bereits 1914 eröffnet. | |
Es ist ein Relikt aus einer Zeit, in der öffentliche Dienstleistungen noch | |
mit Anspruch gebaut wurden. Die Badehallen wurden nach dem Vorbild | |
römisch-griechischer Thermen errichtet. Die hohen Decken, die Mosaike und | |
die Säulen vermitteln ein Gefühl von Wertschätzung. Hier wurde | |
Öffentlichkeit und Luxus zu verknüpfen versucht, denke ich mir. | |
Es ist fast nichts los, kein Wunder, bei der Uhrzeit. Nur eine vielleicht | |
16- oder 17-jährige Schülerin steht vor mir an der Kasse. „Und in der Sauna | |
muss man sich wirklich ausziehen?“, fragt sie etwas schüchtern. Als der | |
Kassierer bejaht, nickt sie enttäuscht. „Dann erstmal nur einmal Schwimmen | |
bitte. Ich bin aus Ägypten, wissen Sie? Ich muss unbedingt mal wieder | |
schwimmen“, erzählt sie. Wirklich zu interessieren scheint den Kassierer | |
aber nur, ob sie einen Schülerausweis dabei hat. | |
Als ich zur Sauna gehe, sind die Flure leer. Ein seltener Anblick. Nur | |
wenige Schwitzgesellen geistern durch die Gänge. Alles Männer übrigens. | |
Warum keine Frauen hier sind? Wahrscheinlich wegen der ganzen Männer. | |
Dieser Tempel der Wärme, er schließt auch Menschen aus. Drei Stunden Sauna | |
kosten inzwischen 20 Euro, leisten kann sich das auch nicht jede:r. | |
Eigentlich sollte es ein Menschenrecht sein, in den kalten Berliner Wintern | |
nicht frieren zu müssen. | |
## Der Saunameister macht keine Faxen | |
Ich komme gerade rechtzeitig zum Aufguss. Eigentlich ist mir das nichts, | |
direkt nach dem Ankommen gleich ein Aufguss. Aber es sind nur fünf Leute | |
da, eine einmalige Gelegenheit. Und sonst verpasse ich wieder die volle | |
Stunde. Also schnell rein in die Hitze, die mir entgegenschwallt. Einen | |
Rotbusch-Aufguss habe er dabei, sagt der Saunameister, er stellt sich als | |
Thomas vor. Es werde schon ganz schön heiß, man dürfe die Sauna jederzeit | |
verlassen. Und dann geht es schon los. | |
Und tatsächlich: Thomas macht keine Faxen. Spätestens beim zweiten | |
Aufgießen brennt mein ganzer Körper. Ich verschränke die Arme hinter meinem | |
Kopf, um die ganze Hitze aufzunehmen. Meine Haare fühlen sich an, als | |
würden sie versengen. Doch Thomas hört nicht auf, mit einem Fächer | |
Hitzewellen in meine Richtung zu schießen. Es ist geil. Aber der Kreislauf | |
beginnt sich zu melden. Die ersten gehen raus. „Du ballerst aber auch | |
ordentlich durch, oder?“, sagt einer zum Saunameister, dem das alles gar | |
nichts auszumachen scheint. „Och, joa, 95 Grad“, sagt der, als wäre das | |
Nichts. Allgemeine Heiterkeit. | |
Der Geheimtrick nach dem Saunieren lautet dann: direkt aufs Dach. Nicht in | |
das Kneippbecken, so schön das auch ist, sondern raus, durch dieses etwas | |
versteckte Treppenhaus auf die kleine Dachterrasse, die ironischerweise | |
„Sonnenterrasse“ heißt, obwohl sie die allermeisten wohl nur im dunklen | |
Winter zu Gesicht bekommen. Dort dampft der Körper am besten aus. Hier | |
oben, über der Stadt, auf dieser kleinen schmucklosen Fläche zwischen | |
Lüftungsanlagen, ist es ganz still. Und schon beginnt der Stress | |
abzufallen. | |
Dann nach unten auf eine der Liegen. Der Aufguss hat mich ausgeknockt. Ein | |
bisschen wie Bongrauchen, denke ich noch, es haut einen einfach um, nur ist | |
es vielleicht gesünder. Dann nicke ich schon ein. Es ist kein tiefer | |
Schlaf, aber einer, bei dem sich überhaupt einmal der Stress der | |
Arbeitswoche zeigt. Als ich aufwache, bin ich wieder geerdet. Ich bleibe | |
noch einige Minuten liegen, dann stehe ich auf. Zeit für Runde zwei. | |
14 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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