# taz.de -- FLINTA*-Gym in Hamburg-Altona: Ein doppelter Kampf | |
> Das Tyger Trimiar Gym versteht sich als feministische Intervention in der | |
> Vereinslandschaft. Wir durften beim FLINTA*- Boxen dabei sein. | |
Bild: Beim Boxtraining wird zu zweit die Schlagtechnik geübt | |
Hamburg taz | Erst mal stehen Alle im Kreis. Zwar ist die kleine Halle von | |
kühlem Licht erleuchtet, doch die Plakate an den Wänden und bunte | |
Bodenmatten schaffen eine einladende Atmosphäre. Dafür sorgt auch Anna. Wie | |
die Teilnehmer*innen heißen und wie es ihnen heute geht, will die | |
Trainerin von den Umstehenden wissen. Und mit welchem Pronomen sie | |
anzusprechen seien. | |
„She/her“, sagt eine der Teilnehmer*innen. „Und die Arbeit war heute | |
anstrengend, deswegen bin ich ein bisschen müde.“„Hab ein bisschen | |
Schmerzen im linken Knie“, sagt die Nächste. Boxen sei zwar kein | |
Mannschaftssport, aber sie wollen trotzdem ein Team sein, erklärt Anna den | |
Auftakt des Trainings später. „Und mir ist super wichtig, dass alle in etwa | |
wissen, was beieinander abgeht.“ Sie wolle kein Vermöbeln, sondern ein | |
Training. „Alle passen aufeinander auf.“ | |
Sieben Personen sind an diesem Montagabend zum Training ins Tyger Trimiar | |
Gym gekommen. Der 2020 gegründete gemeinnützige Verein von und für FLINTA* | |
(Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) befindet | |
sich etwas versteckt in der ehemaligen Viktoria-Kaserne in Altona und | |
bietet verschiedene Kampfsport- und Selbstverteidigungskurse an. | |
Namensgeberin des Vereins ist die US-amerikanische Boxerin Marian Trimiar | |
alias „Lady Tyger“, deren Bild an der Wand hängt. In den USA wurden | |
weiblich gelesene Boxer*innen – und vor allem BIPoC-Boxer*innen – | |
lange Zeit vom Boxsport ausgeschlossen. In den 1970ern kämpfte Trimiar | |
deshalb in New York vor Gericht dafür, eine Profiboxlizenz zu erhalten. In | |
den 1980ern trat sie sogar in einen Hungerstreik, um für gleichberechtigte | |
Bezahlung von Profiboxer*innen zu kämpfen. | |
„Sie ist einfach eine Koryphäe als Sportlerin und für antirassistischen | |
Feminismus im Boxen“, sagt Tyger-Gym-Mitgründerin Miriam. Das Team habe | |
sogar regelmäßigen Kontakt zu der heute 71-Jährigen New Yorkerin. | |
Nachdem sich die sieben Boxer*innen aufgewärmt haben, bandagieren sie | |
ihre Hände und ziehen die Boxhandschuhe an, um dann an ihrer Schlagtechnik | |
zu feilen. Das gesamte Equipment kann ausgeliehen werden, um ein möglichst | |
niedrigschwelliges Sportangebot zu bieten. | |
Im Tyger Gym soll das Training unabhängig vom Einkommen für alle zugänglich | |
sein – manche zahlen mehr, andere weniger, um dies zu ermöglichen. Der | |
reguläre Mitgliedsbeitrag beträgt 35 Euro. Wenig, im Vergleich zu einem 500 | |
Meter entfernten Gym, das mindestens 74 Euro pro Monat verlangt. | |
Die Anfänger*innen bekommen eine grundlegende Einweisung von Anna, | |
während die Fortgeschrittenen in Zweier-Gruppen ihre Schlagtechnik üben. | |
Die Trainerin gibt Tipps, die sofort Wirkung zeigen: Der Arm wird wenige | |
Zentimeter gedreht, die Schultern gesenkt, schon potenziert sich die Kraft | |
und Reichweite des eigenen Schlags gut sichtbar. | |
Geübt wird vor dem Spiegel. „108 Jahre später…“ steht auf dem Plakat, d… | |
darüber hängt. [1][Olympisch ist Boxen für Frauen nämlich erst seit 2012] �… | |
[2][108 Jahre nach dem olympischen Debüt von Männerboxen.] „Wir müssen | |
immer einen doppelten Kampf führen“, sagt Miriam dazu. „Einerseits den | |
sportlichen Kampf und gleichzeitig auch den Kampf gegen das Patriarchat.“ | |
Das fange schon bei der Werbung für Kampfsportkurse an: Für Frauen sei es | |
Selbstverteidigung und für Männer Sport, was die Frauen auf eine | |
potentielle Opferposition verweise. „Selbstverteidigung ist eine tolle | |
Sache, aber für Alle und Kampfsport als Sport eben auch, unabhängig vom | |
Geschlecht.“ | |
Und der doppelte Kampf spielt sich auch auf kleiner Ebene ab. Anna und | |
Miriam erzählen aus ihrer Zeit in anderen Boxvereinen und beschreiben das | |
Gefühl, immer die Ausnahme zu sein. Das fange schon bei den Umkleidekabinen | |
an: | |
„In meinem ehemaligen Boxverein gab es bis zum Schluss keine Frauenumkleide | |
– geschweige denn eine Frauendusche“, sagt Anna. „Und einmal ist dann | |
tatsächlich das Training ausgefallen, weil in der Männerdusche nur kaltes | |
Wasser lief, während wir ohnehin immer verschwitzt nach Hause fahren | |
mussten.“ | |
Auch Miriam kennt das Problem mit den Umkleiden. „Und das ist nur unsere | |
cis-weibliche Perspektive“, sagt sie – Trans* Personen und nicht-binäre | |
Menschen seien meist erst Recht nicht mit gedacht gewesen. | |
Eine der Teilnehmer*innen des Boxkurses im Tyger Trimiar Gym erzählt | |
von der Suche nach einem Kampfsportverein nach ihrer Transition: „Der | |
Kollege bei der Anmeldung wollte mich in die Männerumkleide schicken, auf | |
meinen Einwand reagierte er verwirrt. Das müsse er zunächst im Team | |
besprechen, sagte er.“ Die Erfahrung habe sie lange von ihren Sportplänen | |
abgehalten. Sie habe keinen Ort gefunden, der sich klar positioniert. | |
Nach den Technikübungen finden sich auch die Anfänger*innen in | |
Zweier-Gruppen zusammen. Abwechselnd schlägt eine Person, die andere | |
blockt. Nicht alle Schläge gelingen. Es werden gegenseitig Tipps gegeben, | |
respektvoll und auf Augenhöhe. Anders im früheren Boxverein von Trainerin | |
Anna: „Beim Training fielen dann Sätze wie,Keine Sorge, ich mach ganz | |
vorsichtig'“, sagt sie. | |
Im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten sei der Boxsport noch besonders | |
konservativ und eingestaubt, sagt Anna. Und nicht nur das. Im [3][Bericht | |
des Bundesinstituts für Sportwissenschaften 2024] konstatieren | |
Wissenschaftler*innen, der Kampfsport habe eine [4][hohe Attraktivität für | |
extrem rechte Akteure]. Laut dem Bericht fehle besonders im Boxsport die | |
Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für das Thema. | |
Immer wieder wird von [5][neonazistischen Kampfsporttrainings] und | |
[6][-events] berichtet. Auch Gründerin Miriam erzählt von | |
Einschüchterungsversuchen bei der Vereinsgründung. Das FLINTA*-Gym sei von | |
Rechtsradikalen auf eine Liste von Vereinen geschrieben worden, die sie ins | |
Visier nehmen. | |
Nach den Technikübungen geht es an den Boxsack. Abwechselnd schnelle, | |
leichte und kräftige Schläge. Also einmal richtig auspowern und dabei auch | |
empowern? „Es geht nicht darum, andere runter zu machen, sondern sich | |
gemeinsam gut zu fühlen, indem man sich gemeinsam ermächtigt“ sagt Miriam. | |
## Ein ganz anderes Selbstbewusstsein | |
Das Geräusch der Boxhandschuhe, die auf den an der Wand hängenden Boxsack | |
treffen, wird immer intensiver, die gemeinsame Stärke im Raum förmlich | |
spürbar. „Paradox ist, dass einem beim Kampfsport oft suggeriert wird, man | |
müsse eine gewisse Stärke schon mitbringen, um überhaupt anzufangen, dabei | |
soll der Sport einem gerade dabei helfen diese zu finden.“ sagt die | |
Gründerin. | |
Deshalb ist ein Ziel des Tyger Gym der Abbau unsichtbarer Grenzen im | |
Kampfsport für alle, die von Diskriminierung betroffen sind. Diesen will | |
das Team einen sichereren Ort zum trainieren anbieten und die Möglichkeit | |
vom Kampfsport zu profitieren.Zum Abschluss des Trainings wird sich | |
ausgiebig gedehnt. Alle klatschen. Es wird gelacht, die Stimmung ist gut, | |
als sich die Teilnehmer*innen verabschieden. | |
Und die ermächtigende Wirkung des Trainings beschränkt sich nicht nur auf | |
die Sporthalle. „Ich merke inzwischen, dass ich mich auf der Straße mit | |
einem ganz anderen Selbstbewusstsein bewege.“ erzählt die Kursteilnehmerin, | |
die lange auf Gymsuche war. Sie ist froh im Tyger Gym endlich fündig | |
geworden zu sein: „Hier überfordert meine Präsenz niemanden, weder Team | |
noch Gäste. | |
Hier bin ich nicht wahrscheinlich okay, sondern ausdrücklich | |
willkommen.„Drei mal die Woche gehe sie zum Training und mache kaum noch | |
was anderes in ihrer Freizeit. „Dafür habe ich jetzt jede Menge Kraft und | |
mir geht es blendend“ erzählt sie. | |
19 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Frauenboxen-bei-Olympia/!5087385 | |
[2] /Frauenboxen-bei-Olympia/!5087385 | |
[3] https://www.bisp.de/SharedDocs/Downloads/Publikationen/Publikationssuche_So… | |
[4] /Neonazi-Trainings-in-Berlin/!6053656 | |
[5] /Neonazi-Kampftrainings-in-Berlin/!6035014 | |
[6] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/rechtsextremisten-kampfsport-ung… | |
## AUTOREN | |
Marie Dürr | |
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