# taz.de -- Neue Regierung in Georgien: KO immer noch nicht k. o. | |
> In Georgien tritt der neue Staatspräsident an, doch beim Amtseid zittern | |
> ihm die Hände. Die Opposition mobilisiert weiter. | |
Bild: Sie spricht von Wahlbetrug: Vormalige Präsidentin Georgiens Salome Surab… | |
Da stehen sie auch an diesem Sonntag wieder – vor dem Parlamentsgebäude auf | |
dem zentralen Rustaveli-Boulevard in der georgischen Hauptstadt Tbilissi. | |
Rund tausend Demonstrant*innen sind gekommen, viele haben außer | |
georgischen auch EU-Flaggen dabei. Wieder schlagen Polizeikräfte zu. Sechs | |
Festnahmen meldet das Innenministerium am Nachmittag. Der genaue Grund ist | |
unklar, aber lokale Medien mutmaßen, die Vorwürfe lauteten auf | |
geringfügiges Rowdytum und Missachtung einer rechtmäßigen polizeilichen | |
Anordnung. Wenige Stunden später sind die Betroffenen wieder auf freiem | |
Fuß. | |
Einige Stunden zuvor geht eine bizarre Zeremonie im Plenarsaal des | |
Parlaments über die Bühne. Der neue Staatspräsident Micheil Kawelaschwili, | |
am 14. Dezember von Abgeordneten und Vertreter*innen aus den Regionen | |
gewählt, legt den Amtseid ab. Die Regierungspartei Georgischer Traum (KO) | |
ist ganz unter sich an diesem Tag – die Opposition boykottiert die | |
Parlamentssitzungen aus Protest gegen die Ergebnisse der Parlamentswahlen | |
vom 26. Oktober. Ausländische Diplomat*innen sind nicht geladen – aus | |
Mangel an Plätzen, wie es offiziell zur Begründung heißt. | |
Doch Kawelaschwili, ein ehemaliger Profifußballer mit bildungsfernem | |
Hintergrund, scheint sich dennoch nicht ganz wohl zu fühlen. Während er | |
spricht, zittern Hände und Stimme. Diese Unsicherheit entgeht auch den | |
Kritiker*innen des KO nicht, die in Kawelaschwili nichts anderes als | |
einen willfährigen Erfüllungsgehilfen des KO sehen und ihm als Staatschef | |
jegliche Legitimität absprechen. | |
Seit dem 28. November gehen in Georgien fast täglich Menschen auf die | |
Straße und das nicht nur in Tbilissi. Das Regime antwortet mit Festnahmen | |
und brachialer Gewalt. Einige Demonstrant*innen werden schwer verletzt. | |
Als Reaktion darauf verhängen einige westliche Staaten Sanktionen gegen | |
führende Mitglieder des KO, etwa der Gründer und milliardenschwere | |
russlandaffine Oligarch Bidzina Iwanischwili. Beteiligt sind die drei | |
baltischen Länder, die Ukraine, Großbritannien sowie die USA. | |
## Parlamentswahlen geraten zu einer Farce | |
Auslöser der jüngsten Protestbewegung ist eine Ankündigung von | |
Ministerpräsident Irakli Kobachidze, Beitrittsgespräche mit der EU bis | |
mindestens 2028 auszusetzen. Seit Dezember vergangenen Jahres hat Georgien | |
den Kandidatenstatus. Die Regierung ließ seitdem keine Gelegenheit aus, | |
Brüssel zu düpieren. | |
Ein sogenanntes Agentengesetz, das aus dem Ausland finanzierten Medien und | |
Nichtregierungsorganisationen unter Androhung von Strafen eine | |
Registrierungspflicht auferlegt, ist mittlerweile in Kraft. Dasselbe gilt | |
für restriktive Vorschriften, die Angehörige der LGBTQ+-Community als | |
Menschen zweiter Klasse abstempeln. | |
Auch die diesjährigen Parlamentswahlen am 26. Oktober geraten zu einer | |
Farce. Vorbei die Zeiten, als selbst der derzeit inhaftierte ehemalige | |
Präsident Michail Saakaschwilli 2012 seine Niederlage einräumte und einen | |
friedlichen Machtwechsel ermöglichte. Offiziell, so heißt es, habe der KO | |
über 54 Prozent der Stimmen erhalten. Die Angaben kontrastieren auffällig | |
mit zahlreichen von Wahlbeobachter*innen dokumentierten Fälschungen | |
und Manipulationen – Druck auf Wähler*innen und Journalist*innen | |
inklusive. | |
Doch der KO geht zur Tagesordnung über. Das Parlament konstituiert sich, | |
noch bevor das Verfassungsgericht abschließend über entsprechende Eingaben | |
befunden hat. Diese werden, wenig überraschend, verworfen. Auch | |
Kawelaschwilis Vorgängerin Salome Surabischwili versucht eine Klärung vor | |
dem höchsten Gericht zu erwirken. Die überzeugte Europäerin spricht offen | |
von Wahlbetrug und solidarisiert sich mit den Protestierenden, indem sie | |
bei deren Kundgebungen anwesend ist. | |
## Der Orbeliani-Palast gehört niemandem | |
In der vergangenen Woche kündigt sie an, den Amtssitz des Staatsoberhauptes | |
– den Orbeliani-Palast – nicht verlassen zu wollen, ändert dann jedoch ihre | |
Meinung. Am Sonntag wendet sie sich ihren Unterstützer*innen zu, die | |
sich vor dem Palast versammelt haben. Kawelaschwilis Amtseinführung | |
bezeichnet sie als Parodie, der KO habe das Land in eine totale Krise | |
geführt. Der Orbeliani-Palast gehöre niemandem. Das Gebäude sei ein Symbol | |
gewesen, solange hier ein legitimes Staatsoberhaupt residiert habe. | |
„Wenn ich jetzt gehe, nehme ich diese Legitimität, die Fahne und euer | |
Vertrauen mit“, sagt Surabischwili und kündigt an, durch die Regionen des | |
Landes touren und ins Ausland reisen zu wollen. Am 31. Dezember könnte | |
Surabischwili sich auch erneut auf dem Rustaveli-Boulevard einfinden. Die | |
Opposition hat für den Abend zu Massenprotesten aufgerufen. | |
Die georgische Journalistin Nastasia Arabuli rechnet mit einer wachsenden | |
Zahl von Festnahmen bei Kundgebungen. Auch sonst ist sie eher | |
pessimistisch. „Repressionen gegen Beschäftigte staatlicher Institutionen, | |
die ihre Unterstützung für den KO nicht offen bekunden, werden sich | |
verschärfen“, sagt sie. „Vermutlich wird ein großer Teil von ihnen in den | |
kommenden Wochen entlassen.“ | |
29 Dec 2024 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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