# taz.de -- Sahra Wagenknecht in Hamburg: Kein Wahlkampf ist auch keine Lösung | |
> EU-Parlamentarier Fabio de Masi hatte auf einen Raddampfer im Hamburger | |
> Hafen geladen – zu einer „Europapolitischen Informationveranstaltung“. | |
Bild: Kein Wahlkampf, aber man bleibt unter sich: Eulenburg, Wagenknecht, de Ma… | |
Hamburg taz | Es ist keine Wahlkampfveranstaltung. Kei-ne | |
Wahl-kampf-ver-an-stal-tung. Das sagt Fabio de Masi gleich zu Beginn der | |
Keine-Wahlkampf-Veranstaltung und der Moderator soll es noch mehrfach | |
wiederholen, auch lauthals bedauern, dass er ja nun gar nicht sagen dürfe, | |
wen man wählen soll. So lange, bis endlich eine Stimme aus dem Publikum | |
ruft: Beh-Es-Weh! „Das haben Sie gesagt“, kontert der Moderator. | |
Schließlich ist das hier ja keine … | |
Warum das so wichtig ist? Weil der [1][EU-Parlamentarier de Masi] den Abend | |
aus Mitteln des EU-Parlaments finanziert, wie er ganz offen sagt, und er | |
die nicht zweckentfremden darf. Also ist es keine Wahlkampfveranstaltung, | |
so steht es schon in der Einladung. Sondern nur eine Veranstaltung, die | |
zufällig im Vorfeld der Bundestagswahl stattfindet – und bei der zufällig | |
ausschließlich Leute vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf der in | |
puffschummrig-rotes Licht getauchten Bühne sitzen: Sponsor de Masi, | |
Parteichefin Sahra Wagenknecht und der Moderator, der Werbefotograf | |
Konstantin Eulenburg, oder, wenn es offiziell wird, Konstantin Otto Graf zu | |
Eulenburg. | |
Vorgestellt wird er als „die gute Seele des BSW in Hamburg“. Ein | |
formelleres Amt kann er nicht bekleiden, da das BSW bislang vermieden hat, | |
einen Hamburger Landesverband zu gründen, obwohl in 13 Wochen eine neue | |
Bürgerschaft gewählt wird. | |
## Auf dem Dampfer in die gute alte Zeit | |
Es soll an diesem Abend um die Frage gehen, ob „Deutschland und Europa | |
sinkende Schiffe“ seien, illustriert mit einem Plakat, auf dem eine Kogge | |
mit schwarz-rot-goldenem Rumpf bei fahlem Licht in vollkommen ruhiger See | |
versinkt. Den Ort könnte man als Statement verstehen: der – natürlich | |
dieselbetriebene – Raddampfer „Queen“ am Anleger Vorsetzen. Es ist eines | |
dieser Schiffe, die mit heiserem Heulen Touristen über die Elbe schaukeln | |
und suggerieren sollen, es gebe sie noch, die gute alte Zeit. Auch wenn es | |
die so nur in den Südstaaten gegeben hat und sie vielleicht auch gar nicht | |
so gut war. Doch de Masi sagt, natürlich könne [2][Sahra auch Hallen mit | |
Tausenden füllen], die seien nur „heutzutage“ nicht mehr bezahlbar. | |
Moderator Eulenburg kommt nicht um einen maritimen Kalauer herum: Man solle | |
sich keine Sorgen machen, witzelt er, es seien genügend Schwimmwesten an | |
Bord. „Auf der Titanic hat das Orchester bis zum Schluss gespielt“, sagt | |
er. Wie das denn in Berlin sei nach dem Ampel-Aus – „spielt das Orchester | |
noch, Sahra?“ | |
Die Steuermänner, die „da vorne“ stehen, hätten jedenfalls „schon ihre | |
Beiboote“ und könnten sich „abseilen“. „Bestürzend“ sei, dass ein H… | |
Habeck sich auch noch „zu höherem berufen“ fühle. Und „eine Frau Baerbo… | |
sei ja „eine Peinlichkeit sondergleichen“. (Hat eigentlich schon jemand | |
gesagt, dass das hier keine Wahlkampfveranstaltung ist?) Baerbock habe ja | |
Russland den Krieg erklärt. Da sei es ganz gut, dass sie „nicht ernst | |
genommen wird“, auch von Putin nicht, sonst hätten wir „vielleicht ein | |
echtes Problem“. Denn Krieg mit Russland – das heiße Atomkrieg. | |
Überhaupt sei der Krieg in der Ukraine zwar schlimm und auch | |
völkerrechtswidrig – aber Sanktionen schadeten eben nicht Russland, sondern | |
der deutschen Wirtschaft. Deutschland sei nun mal „geografisch abhängig“ | |
von russischem Öl und Gas. Wagenknecht schlägt deswegen vier Punkte vor, um | |
das sinkende Schiff Deutschland doch noch wieder flottzukriegen: Energie | |
immer nach dem günstigsten Preis einkaufen; die Infrastruktur wieder auf | |
Stand bringen; massive Investitionen in Bildung. Und dass wieder „auf | |
Weltniveau“ in Forschung und Entwicklung investiert wird. | |
Eulenburg hat noch eine andere Sorge: die freie Meinungsäußerung. „Ich | |
liebe das jüdische Volk“, sagt er, „aber ich kritisiere es auch.“ Und da… | |
werde er als Antisemit hingestellt. Gemein, oder? | |
Niemand scheint Anstoß an der Formulierung zu nehmen, dabei ist sie | |
praktisch die Essenz von Philo- und Antisemitismus in einem Satz. Nur die | |
Parteichefin hat aufgepasst und korrigiert ihre „gute Seele“ sanft: „Das | |
ist ja nicht die Kriegsführung eines Volkes, sondern die einer in Teilen | |
rechtsradikalen Regierung.“ Sie sei froh über das Handeln des | |
Internationalen Strafgerichtshofs, denn sie hat sich festgelegt: „Das sind | |
schlimmste Kriegsverbrechen!“ Gab es bisher höflichen Applaus, bricht nun | |
Jubel aus. | |
## Genug Zeit für Selfies | |
Es sei schlimm, meint Wagenknecht, dass solche Äußerungen diskreditiert | |
würden. „Das erleben wir auch anderswo“, sagt sie, sei es beim Thema | |
Frieden oder damals bei Corona. „Jawoll“, ruft eine Frau dazwischen. | |
Wagenknecht weiß, wo sie ihre Leute abholen muss: Frieden, Pandemie, noch | |
ein Seitenhieb auf die Wärmepumpe. Dann eine kurze Fragerunde, bei der | |
lauter Männer zu Wort kommen, die der Moderator mit dem Vornamen anspricht, | |
bis jemand aus dem Publikum ruft: „Vielleicht mal 'ne Frau drannehmen.“ | |
Nach 90 Minuten ist Schluss, [3][damit noch genug Zeit für Selfies ist]. | |
Dann verschwindet Sarah Wagenknecht hinter den abgedunkelten Scheiben ihres | |
schwarzen Audi und rollt durch den Hamburger Nieselregen davon. | |
Kennzeichen: B-SW 8124, das Gründungsdatum ihrer Partei. | |
6 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /BSW-beknatscht-sich-in-Hamburg/!6055064 | |
[2] /BSW-in-Koalitionen/!6049758 | |
[3] /III-Weltkrieg-Femizide-Wagenknecht/!6048227 | |
## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Hamburg | |
Wahl | |
Sahra Wagenknecht | |
BSW | |
BSW | |
BSW | |
Minderheitsregierung | |
Koalitionen in Ostdeutschland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW: „Man hat zu gehorchen“ | |
Kurz vor der Gründung in Schleswig-Holstein tritt Frank Hamann aus dem | |
Bündnis Sahra Wagenknecht aus. Er rechnet mit undemokratischen Verfahren | |
ab. | |
BSW beknatscht sich in Hamburg: Aufruhr in der Kaderpartei | |
Fast harmonisch verläuft eine BSW-Veranstaltung am Donnerstag in Hamburg. | |
Doch es brodelt: Zwei Hamburger Mitglieder wollen gegen die Parteisatzung | |
klagen. | |
Koalition in Sachsen: Auftakt zum Tauziehen | |
In Sachsen haben CDU und SPD ein Minderheiten-Koalitionspapier erarbeitet, | |
das den anderen Parteien ein paar Köder hinwirft. Reicht das? | |
Thüringer Koalitionsverhandlungen: CDU gibt grünes Licht für die Brombeere | |
Nach zehn Jahren in der Opposition will die CDU in Thüringen wieder an die | |
Macht. Auf einem Landesparteitag erhielt der mit der SPD und dem BSW | |
ausgehandelte Koalitionsvertrag eine Mehrheit. |