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# taz.de -- Ex-Mitglied über Strukturen des BSW: „Man hat zu gehorchen“
> Kurz vor der Gründung in Schleswig-Holstein tritt Frank Hamann aus dem
> Bündnis Sahra Wagenknecht aus. Er rechnet mit undemokratischen Verfahren
> ab.
Bild: „Von außen dirigiert“: Gründung des BSW-Landesverbandes Mecklenburg…
taz: Herr Hamann, am Sonntag gründet sich der BSW-Landesverband in
Schleswig Holstein und Sie sind nicht dabei. Warum?
Frank Hamann: Ich sehe in dem Ganzen keinen Sinn mehr und bin am Donnerstag
aus der Partei ausgetreten. Ich engagiere mich seit vielen Jahren, seit 15
Jahren auch parteipolitisch, zuerst bei der SPD und dann bei den Linken,
und habe einen politischen, moralischen Kompass. Der wird im Augenblick
gerade erheblich verbogen durch das Verhalten des Parteivorstandes.
taz: Wodurch?
Hamann: Ich bin im Herbst letzten Jahres bereits in den Verein Sahra
Wagenknecht eingetreten, die Vorstufe der Partei, war dann buchstäblich
Mitglied der ersten Stunde und auch auf dem [1][Gründungsparteitag im
Januar] dabei. Dann kam sehr schnell der Europawahlkampf. Wir haben uns
dann hier in Schleswig Holstein reingestürzt, erhielten aber kaum
Unterstützung aus dem Bundesvorstand. Und so haben dann einige beherzte
Mitglieder hier in Schleswig Holstein die Sache in die Hand genommen und
den Wahlkampf organisiert.
taz: Das klingt nach normalen Geburtswehen einer jungen Partei.
Hamann: Klar. Da hat sich sehr schnell ergeben, wer offen und konstruktiv
mitarbeitet. Diese Kerntruppe hat mich, da es in Richtung Gründung eines
Landesverbandes ging, als Co-Vorsitzenden gesehen. Wir wollten eine
Doppelspitze machen, einen erfahrenen und einen Neuling. Ich bin der
Meinung, ein Landesverband kann nur funktionieren, wenn die Basis
sorgfältig und konsensual aufgebaut wird; erst auf den Knopf drücken, wenn
alle sagen: Ja, so finden wir das gut.
taz: Und wie läuft es in Wirklichkeit?
Hamann: Der Bundesvorstand kam zu einer vorbereitenden Sitzung, hat sich
gewundert und hat gesagt: Wir ziehen das an uns. Bei der nächsten
vorbereitenden Sitzung in Kiel wurden uns dann die Namen derjenigen
vorgestellt, die der Bundesvorstand im Landesvorstand sehen wollte. Das
waren die bisherige Regionalbeauftragte Andrea Kunz, die sich bereits als
überfordert erwiesen hatte, und eine Unbekannte, die bis dato noch nicht
mal Parteimitglied war. Die wurde nun auf einmal Mitglied, vorbei an einer
großen Vorschlagsliste von Personen, die sich hier schon bewährt und
engagiert haben, aber nicht aufgenommen wurden. Und dann gleich als
Co-Vorsitzende vorgeschlagen.
taz: Wie waren die Reaktionen?
Hamann: Da fing der Unmut an, und dann hat die stellvertretende
Bundesvorsitzende Friederike Benda gesagt: „Wir“, also der Bundesvorstand,
„wollen einen Landesverband, auf den wir uns verlassen können.“ Das klingt
nicht nach den „demokratischen Mitbestimmungsweiten“, die uns in der
Präambel des Parteiprogramms versprochen wurden, eher nach Kadergehorsam.
Dann wurde es noch abstruser: Benda sagte: „Der Landesverband hat sich in
allen Belangen mit dem Bundesvorstand abzustimmen.“ Das widerspricht meinem
Verständnis von einer föderalen, demokratischen Parteistruktur. Für mich
ist eine Partei ohne Basisdemokratie keine demokratische Partei. Die Kraft
fließt immer von unten nach oben.
taz: Und beim BSW?
Hamann: Der Bundesvorstand besteht aus alten, linken Seilschaften, die alle
unbedingt in den Bundestag wollen. Dementsprechend wird dort agiert. Das
ist auch in anderen Landesverbänden so, [2][in Mecklenburg-Vorpommern]
wurde bei der Gründung des Landesverbandes von außen dirigiert. In Sachsen
und Brandenburg ist es das Gleiche. Es brodelt überall und der
Bundesvorstand versucht, da den Deckel drauf zu halten.
taz: Die Presse ist vom Gründungsparteitag auch ausgeschlossen.
Hamann: Das finde ich völlig unmöglich. Die Presse ist die vierte Gewalt im
Staat. Die hat bei solchen Veranstaltungen dabei zu sein. Und wenn einem
nicht gefällt, was die Presse schreibt, muss man halt seine Handlungsweisen
ändern. Ich meine, wenn die Presse schreibt: [3][Das ist eine Kaderpartei]
– so what? Wenn Sie recht haben, dann können Sie das doch schreiben.
taz: Stehen die vom Bundesvorstand vorgeschlagenen Kandidatinnen am Sonntag
zur Wahl?
Soweit ich weiß, hat Andrea Kunz hingeschmissen. Und es gibt Leute, die
Kampfkandidaturen erwägen. Aber es gibt keine offizielle Liste, das kann
sich bis zur letzten Sekunde noch ändern. Das ist absolut intransparent.
Die Redezeit wurde auf eine Minute beschränkt. „Mein Name ist Franz. Ich
bin Mitglied. – Komm bitte zum Ende. Deine Redezeit ist vorbei.“ Bislang
müsste es 40 Mitglieder geben. Es kann aber gut sein, dass wie in Thüringen
auf einmal 20 neue dazukommen. Hier geht es darum, ganz neue, gezielte
Mehrheiten zu kriegen.
taz: Warum sind Sie nicht angetreten?
Hamann: Ich habe meinen Hut frühzeitig aus dem Ring genommen, bereits im
Sommer dieses Jahres, als ich merkte, wo die Reise hingeht. So wie der
Bundesvorstand sich verhält, wird sich dort nichts ändern bezüglich einer
anderen Politik. Das ist alter, ekliger Wein in neuen Schläuchen. Das habe
ich alles bei den Linken hinter mir. Ich hatte auf eine andere
Diskussionskultur beim BSW gehofft. Das komplette Gegenteil ist der Fall.
taz: Warum waren Sie im vorigen Jahr bei der Linken ausgetreten?
Hamann: Unsere kommunalpolitischen Erfolge wurden nicht gewürdigt. Deshalb
bin ich mit dem Ende der Wahlperiode ausgetreten. Bis dahin wollte ich noch
einige Projekte durchziehen: 30 Prozent bezahlbarer Wohnraum in jedem neuen
Bauplan, ein Sozialticket, eine namentliche, städtische Beerdigung. Bei uns
im Rat werden andere Meinungen akzeptiert, man versucht, im demokratischen
Diskurs Lösungen zu finden.
taz: Klingt idyllisch.
Hamann: Ja, und das ist bei Frau Wagenknecht und ihrer Truppe leider ganz
anders. Das zentrale Polit-, Verzeihung, Parteibüro gibt die Linie vor und
man hat gefälligst zu gehorchen. Wir haben eine große Parteivorsitzende,
die zur Heiligen stilisiert wird; ein zentrales Parteibüro, in dem alle
Fäden zusammenlaufen sollen und das mittlerweile in den Landesverbänden
Spitzel hat, um zu horchen, was da überhaupt los ist, wo man gegen angehen
muss. Das ist unterste Schiene. Der Parteivorstand vertraut niemandem.
taz: Was haben Sie sich politisch vom BSW erhofft?
Hamann: Eine andere Gesprächskultur. Wir haben Regionaltreffen
veranstaltet, Unterstützer gewonnen. Da habe ich gemerkt: Es existiert hier
in Deutschland ein wunderbarer Schatz an Meinungen, an Bereitschaft, sich
einzubringen, an Lust auf Politik. Das ist wirklich toll, wer da mitmacht,
vom Studenten bis zum Rentner, alle gesellschaftlichen Schichten. Und alle
sind dem BSW-Parteiprogramm zugeneigt, also nicht der Partei. Ich
unterscheide da schon ziemlich deutlich.
taz: Sie sehen sich das nur noch aus der Entfernung an.
Hamann: In meinem Austrittsschreiben habe ich geschrieben, dass die Wähler
sich genau überlegen sollten, ob sie das BSW wählen. Das Parteiprogramm
klingt ja sehr schön. Aber was kann ein einfacher Wähler von einer Partei
erwarten, wenn schon die eigenen Mitglieder hintergangen, ausgenutzt,
belogen und betrogen werden? Da kann ich doch keine Wahlempfehlung
aussprechen. Ich werde hier [4][den SSW wählen]. Das Privileg habe ich in
Flensburg.
12 Dec 2024
## LINKS
[1] /Parteitag-vom-Buendnis-Sahra-Wagenknecht/!5985345
[2] /BSW-Landesverband-Mecklenburg-Vorpommern/!6054971
[3] /BSW-beknatscht-sich-in-Hamburg/!6055064
[4] /Wahlkampf-als-Kleinstpartei/!6049703
## AUTOREN
Jan Kahlcke
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