| # taz.de -- Journalistin über den Blick auf die Welt: „Es muss nicht immer a… | |
| > In ihrem Newsletter erzählt Sham Jaff, was gerade auf der Welt passiert – | |
| > abseits vom Eurozentrismus. Über 26.000 Menschen interessiert das. | |
| Bild: „Alles ist politisch, natürlich auch meine Herkunft“: Sham Jaff | |
| Die Fliesen hinter der offenen Theke im Berliner Restaurant Erbil leuchten | |
| tiefblau, direkt am Eingang glitzert ein Plastikweihnachtsbaum. „Kurden | |
| lieben Weihnachten“, sagt Sham Jaff und nimmt einen Schluck Tee. Der | |
| Kellner bringt gemischte Salate, Huhn, Lamm. Auf einem Brett stapelt sich | |
| dampfendes Brot. | |
| taz: Sham Jaff, warum treffen wir uns hier? | |
| Sham Jaff: Südkurdische Küche ist meine Heimat. Ich lebe jetzt seit fast | |
| sieben Jahren in Berlin und vermisse Mamas Küche. Sie ist die beste | |
| kurdische Köchin, die ich kenne. Deswegen suche ich ständig nach etwas, das | |
| ihrem Essen nahekommt. | |
| taz: Haben Sie hier was gefunden? | |
| Jaff: Oh mein Gott, alles ist so lecker. Und ich mag auch die Bilder an den | |
| Wänden, von den traditionelle Trachten. Zum Beispiel dieser Kopfschmuck. | |
| (Sie deutet auf ein Foto an der Wand) Ich war letztes Jahr in Kurdistan und | |
| habe genau den gekauft. Als Kind hab ich das auch getragen. | |
| taz: Sie schreiben seit zehn Jahren den Newsletter „what happened last | |
| week“. Was ist letzte Woche in Ihrem Leben passiert? | |
| Jaff: Oh – meine Cousine hat dieses Jahr zum ersten Mal ein Schengenvisum | |
| bekommen. Wir sind gleich alt und sie lebt in Kurdistan, in Slemani, wo ich | |
| geboren bin. Jetzt fliegt sie oft hierher und will Europa und die Orte | |
| entdecken, die sie auf Social Media gesehen hat. Ich bereite mich gerade | |
| ein bisschen auf ihre Ankunft vor. Sie kommt nächste Woche und ich überlege | |
| die ganze Zeit, was ich ihr zeigen könnte. Das ist auch für mich eine | |
| schöne Übung, Europa und Deutschland mal wieder von außen zu sehen. Weil | |
| ich jetzt seit 25 Jahren hier lebe, habe ich eher einen Innenblick. Das | |
| beschäftigt mich privat. Aber ich schaue gerade auch aufs Jahr zurück und | |
| erinnere mich, was alles in der Welt passiert ist. | |
| taz: Da denken sicher viele an das Ende der Ampel-Koalition, Trumps | |
| Wiederwahl, Russlands Krieg in der Ukraine, den Krieg in Israel und | |
| Palästina. Alles ziemlich deprimierend. | |
| Jaff: Wir sind in einer Situation, in der man schnell extrem zynisch und | |
| pessimistisch werden kann. Ich verstehe meine Rolle als Journalistin auch | |
| so, diesem Zynismus ein bisschen Einhalt zu gewähren – weil ich denke, dass | |
| es sehr viele Ereignisse gab, die einen auch anders stimmen könnten. | |
| taz: Was ist 2024 passiert, das uns Hoffnung geben kann? | |
| Jaff: Da fällt mir [1][die Revolution in Bangladesch] ein. Das war eine | |
| der größten, wenn nicht vielleicht die größte Protestbewegung im Land. Dort | |
| leben sehr viele junge Menschen, die wahnsinnig frustriert waren mit dem | |
| Status quo und der Regierungspartei. Sie haben die Regierung gestürzt, die | |
| dann nach Indien fliehen musste, und jetzt werden zum ersten Mal | |
| studentische Stimmen Teil der Übergangsregierung sein. Das ist dieser | |
| Bewegung zuzuschreiben. Auch auf dem afrikanischen Kontinent sieht man | |
| gerade, dass Parteien wackeln, die seit Jahrzehnten an der Macht sind. | |
| taz: Ist das ein globaler Trend, dass etablierte Parteien an Attraktivität | |
| verlieren? | |
| Jaff: Auf jeden Fall sind viele – besonders jüngere – Menschen sehr | |
| frustriert darüber, wie etablierte Parteien das Land führen. Das wurde zum | |
| Beispiel auch bei den Protesten in Nigeria [2][und Kenia] deutlich. Ich | |
| glaube, dieser Trend wird sich nächstes Jahr fortsetzen. | |
| taz: Proteste und Revolutionen sorgen erst mal für Instabilität – die kann | |
| man auch gefährlich finden. Veränderung macht vielen Angst. | |
| Jaff: Ich bin ein Fan von Veränderungen. Ich finde das immer besser, als | |
| starr zu bleiben. Momente der Veränderung bergen viel Potenzial. | |
| taz: … in mehrere Richtungen. | |
| Jaff: Klar. Aber die Hoffnung ist bei mir leider immer sehr groß. | |
| taz: Warum denn leider? | |
| Jaff: Sie kann trügen, das ist dann enttäuschend. Aber meine Einstellung | |
| ist: Wenn es dieses Mal nicht klappt, dann haben wir vielleicht nächstes | |
| Jahr was dazugelernt. Oder, größer gedacht: Dann sind wir vielleicht nicht | |
| die Generation, die die Welt rettet – aber vielleicht die Generation, die | |
| Argumente schärft und Dinge ausprobiert. Die daran arbeitet, dass jemand | |
| nach uns es schaffen kann. Ich denke immer an viel größere Zeiträume, | |
| deswegen erlaube ich mir Optimismus. | |
| taz: Man könnte genauso argumentieren, dass wir seit langer Zeit die | |
| nötigen Fakten kennen, um die Klimakrise zu bekämpfen, um menschenwürdig | |
| mit Flucht und Migration umzugehen oder um Rassismus einzudämmen. Haben wir | |
| nicht viel zu wenig gelernt? | |
| Jaff: Wenn wir aufgeben, probieren wir nichts mehr aus. „Der Klimakollaps | |
| ist da, also war’s das jetzt“ – diese Einstellung kann sehr gefährlich | |
| werden. Konstruktiver wäre, zu sagen: „Was kann ich jetzt noch tun, wie | |
| kann ich jetzt ein Vorbild sein für die nächste und die übernächste | |
| Generation?“ Wir alle lernen irgendwie voneinander. Das braucht Zeit. Und | |
| Geduld. | |
| taz: Apropos lernen – wenn man ausschließlich deutsche Berichterstattung | |
| verfolgt, ist die Welt doch relativ klein. Mit Ihrem Newsletter zeigen Sie | |
| eine Welt, die deutlich größer ist, als viele von uns es wahrnehmen. Aber | |
| auch da muss man die Leute ja erst mal dazu kriegen, dass sie das wissen | |
| wollen. | |
| Jaff: Ja, dieses Wissen-Wollen ist der Knackpunkt. Das merke ich schon, | |
| wenn ich deutschen Medien oder Organisationen Artikel anbiete. Die fragen | |
| dann oft: Wieso ist diese Sache wichtig für Deutschland? | |
| taz: Dass man Nähe herstellen soll, lernt man schon in der journalistischen | |
| Ausbildung. | |
| Jaff: Ich finde das sehr frustrierend. Muss immer alles für Deutschland | |
| wichtig sein? Ich finde, nein. Es ist wichtig, dass wir über das | |
| bevölkerungsreichste Land Afrikas sprechen, das gerade einen krassen | |
| Regierungswechsel hinter sich hat. Es ist wichtig, dass der Klimawandel | |
| schon jetzt sehr viele Länder stark trifft, über die wir kaum sprechen. Und | |
| ja, es ist meine Aufgabe als Journalistin, das zu erklären. Dem stelle ich | |
| mich gerne, aber manchmal wünschte ich, die „Relevanz für Deutschland“ | |
| nicht hervorheben zu müssen, um für Interesse zu sorgen. | |
| taz: In Ihrem Newsletter machen Sie das anders. | |
| Jaff: Ja. Ich habe diese große Neugier auf die Welt, auf die Geschichten | |
| der Menschen und ihre Erfahrungen. Aber ich weiß auch, dass Menschen Gründe | |
| brauchen, um sich mit Dingen zu beschäftigen. Deswegen ist der Newsletter | |
| auch jede Woche eine Herausforderung für mich. Wie kann ich Leute dazu | |
| bringen, etwas darüber lesen zu wollen, dass in Namibia gerade [3][die | |
| erste Frau zur Präsidentin gewählt wurde]? | |
| taz: Gute Frage. Wie denn? | |
| Jaff: Ich stelle Nähe anders her. Man kann mit Vergleichen arbeiten und | |
| Bekanntes mit der Nachricht verbinden. Die Frau hat einen langen Namen, | |
| sie heißt Netumbo Nandi-Ndaitwah, aber auch in Namibia sagen viele NNN, | |
| das kann man sich schon merken. Und dann baue ich vielleicht eine | |
| Eselsbrücke und schreibe von Namibias Kamala-Harris-Moment, weil NNN gerade | |
| noch Vizepräsidentin ist. So was kann ein Türöffner sein. | |
| taz: Welche Rolle spielen soziale Medien für Sie? | |
| Jaff: Ich verbringe damit viel Zeit, weil ich wissen will: Was finden | |
| Menschen lustig? Was teilen sie, und wieso? | |
| taz: Was haben Sie dabei gelernt? | |
| Jaff: Ganz viel Information wird von Humor getragen, und auch von | |
| Popkulturreferenzen. Das holt viele Menschen einfach besser ab. Es gibt | |
| eine kleine Studie zu den Protesten in Kenia, da wollte man herausfinden, | |
| wie sich die Menschen über die politischen Entwicklungen im Land informiert | |
| haben. Sehr viele haben das [4][über Nairobi Gossip Club gemacht], eine | |
| Website, die wie die Gerüchteküche der Stadt funktioniert. Dort wurden | |
| während der Proteste auch die politischen News gestreut. | |
| taz: Müssten sich klassische Medien nicht viel stärker an diese | |
| Entwicklungen anpassen? | |
| Jaff: Es gibt auf jeden Fall den Trend, nicht mehr die Nachrichten zu | |
| schauen oder regelmäßig eine Zeitung aufzuschlagen. Wir müssen mit dieser | |
| Nachrichtenverdrossenheit umgehen. Ich glaube, dafür müssen | |
| Journalist*innen ihre Denke verändern. Wir müssen wegkommen von der | |
| Idee, dass die Leute zu uns kommen, weil wir Infos anbieten, und dahin | |
| gehen, wo sie sich aufhalten. Und das ist eben oft online und es ist auch | |
| sehr oft im Entertainmentbereich. Die Nachrichten müssen die Menschen | |
| finden. Wir sind ja irgendwie auch Dienstleister*innen – und viele | |
| unserer Kund*innen sind unzufrieden mit uns. | |
| taz: Ich finde es irgendwie unbehaglich mir vorzustellen, Berichterstattung | |
| an Unterhaltungs- und Businessprinzipien auszurichten. | |
| Jaff: Die Frage ist doch: Wie könnten wir ein Produkt so gestalten, dass | |
| die Menschen davon abgeholt werden? Wir Journalist*innen gehen immer | |
| davon aus, dass es total wichtig ist, sich über alles zu informieren, auch | |
| moralisch. Aber wir sind eben eine sehr spezifische Gruppe Mensch. | |
| taz: Sie haben in einem Interview mal die Bild-Zeitung gelobt … | |
| Jaff: Oh Gott, ja. Ich würde sie natürlich nicht für ihre Berichterstattung | |
| loben, aber die Bild ist leider sehr gut darin, Sachen zu vereinfachen. Das | |
| macht sie natürlich auch unglaublich gefährlich. Gleichzeitig finde ich es | |
| wichtig zu sehen, was funktioniert. Die Bild ist leider immer noch eine der | |
| meistgelesenen Zeitungen, das ist ein Fakt. Ein anderer Fakt ist, dass sie | |
| auch die Zeitung mit den meisten Beschwerden und Presseratsrügen ist. Aber | |
| sie verdient eben viel Geld. | |
| taz: Linke Medien und Geld finden meistens weniger leicht zusammen. | |
| Jaff: Wahrscheinlich wird das immer so sein, weil reiche Menschen nicht so | |
| gern linke Themen finanzieren. | |
| taz: Das beruht ja oft auf Gegenseitigkeit. | |
| Jaff: Klar, die Frage ist auch, von wem wir Geld annehmen möchten und | |
| sollten. Aber es gibt eine Nachfrage nach linken Medien, und auch eine | |
| Zahlungsbereitschaft. Das merke ich auch an meinem Newsletter. | |
| taz: Sie haben mittlerweile über 26.000 Abonnent*innen. | |
| Jaff: Das ist total gewachsen. Ich bin überrascht, dass es diesen | |
| Newsletter immer noch braucht. | |
| taz: Wer sind Ihre Leser*innen? | |
| Jaff: Die meisten sind aus westlichen Ländern, also genau das Publikum, das | |
| ich erreichen will. Natürlich freut es mich, wenn andere auch mitlesen, | |
| aber es geht schon sehr viel um die Art und Weise, wie von hier aufs Außen | |
| geblickt wird. Diesen Blick will ich ergänzen, vervollständigen, | |
| nuancieren, diversifizieren. Einfach etwas auf den Boden der Tatsachen | |
| holen, weil sonst sehr viel fehlrepräsentiert wird. | |
| taz: Woran liegt das? | |
| Jaff: Das hat viele Gründe. Wir lernen viel über die Welt durch unsere | |
| Umgebung, die Schule, die Uni, im Beruf, durch Medien. All diese Orte sind | |
| nicht frei von Klischees. Außerdem hat der Mensch einen Hang zur | |
| Vereinfachung. Aber das kann zu Stereotypen und Rassismen führen, die sich | |
| verhärten, wenn man nicht gegenhält. | |
| taz: Ist dieses Gegenhalten nicht gerade Aufgabe von Journalismus? | |
| Jaff: Definitiv. Das ist ein wesentlicher Grund, warum ich den Newsletter | |
| schreibe. Ich finde, wir sollten über alle Länder so sprechen, wie in | |
| Deutschland über Frankreich oder die USA geredet wird. Da geht es auch | |
| nicht nur um die Probleme. Dass Frankreichs Regierung zerbrochen ist, ist | |
| nicht die einzige Geschichte, die wir von Frankreich kennen. Wir können | |
| verschiedene französische Städte aufzählen, wir kennen französische Kunst | |
| und Kultur, regionale Küchen, Käse, Wein. Da sind sicher auch Stereotype | |
| wie das der untreuen Männer dabei, aber wir haben ein relativ vielfältiges | |
| Bild von diesem Land. Diese Nuanciertheit ist auch eine Art Respekt, den | |
| wir diesen Ländern und den Menschen dort zollen. Das passiert bei anderen | |
| Orten leider nicht. | |
| taz: Dabei kommen die meisten Menschen mit Einwanderungsgeschichte in | |
| Deutschland nicht aus Frankreich oder den USA, sondern aus der Türkei, | |
| Polen, Russland und Syrien. Dass wir immer noch vergleichsweise wenig über | |
| diese Länder wissen, passt so gar nicht zur deutschen Behauptung, | |
| Einwanderungsland zu sein. | |
| Jaff: Eine Behauptung ist eine Behauptung. Das merkt man daran, wie hier | |
| Debatten geführt werden, und auch im Alltag. Türkische Lebensmittel werden | |
| bei Rewe immer noch unter „international“ gelistet. Wir werden immer noch | |
| als Integrationsbeispiele gezeigt, nicht als Normalität. In der Identität | |
| dieses Landes gibt es Deutsche und es gibt uns. Ich würde mich heute auch | |
| nicht als Deutsche bezeichnen. | |
| taz: Warum nicht? | |
| Jaff: Ich würde mich auch nicht als Irakerin bezeichnen. Nationalismus ist | |
| für mich eine schwierige Sache, auch als Kurdin. Es ist ein | |
| menschengemachtes Konzept. Viele von uns werden da hineingeboren, und es | |
| gibt sehr viel nationalistische Berichterstattung. Das zeigt sich auch | |
| darin, wie wir über Orte sprechen. Somaliland, Kurdistan … Es gibt so viele | |
| autonome Gebiete, die noch nicht als Länder anerkannt worden sind, und über | |
| die reden wir folglich kaum. Ich fühle mich in diesem nationalen Denken | |
| einfach nicht aufgehoben. | |
| taz: Ist nationales Denken ein Grund, warum sich viele Menschen zuerst für | |
| das interessieren, was innerhalb der Grenzen ihres Landes passiert? | |
| Jaff: Ja. Und das Problem ist, dass dadurch strukturelle, globale | |
| Zusammenhänge aus dem Blickfeld geraten. Dabei ist ja zum Beispiel in Bezug | |
| auf den Klimawandel total klar, dass wir globale Lösungen finden müssen. | |
| Wir müssen voneinander lernen, von den Fehlern und von den Erfolgen aller. | |
| Ich glaube, es gibt so eine Schwarmintelligenz, die wir gar nicht nutzen. | |
| taz: Globale Lösungen haben es gerade schwer. In vielen Teilen der Welt | |
| verschieben sich politische Machtverhältnisse zugunsten von Populismus und | |
| Nationalismus. Da sieht es in Sachen Zusammenarbeit eher düster aus. | |
| Jaff: Ich finde das ein bisschen selbstbezogen. Viele Menschen müssen schon | |
| sehr lange mit solchen Zuständen zurechtkommen. Die überleben und leisten | |
| auch Widerstand. Es gibt teils jahrzehntelange Widerstandsbewegungen und | |
| Menschen, die es unter sehr widrigen Umständen schaffen, Lösungen | |
| vorzuschlagen und transnationale Netzwerke zu bilden. | |
| taz: Wo zum Beispiel? | |
| Jaff: [5][Rojava] ist ein gutes Beispiel. In einer Region, in der so viel | |
| Autoritarismus herrscht, so stark darauf zu pochen, ein demokratisches | |
| System aufzubauen – das ist Widerstand pur. | |
| taz: Widerstand braucht Mut. Sind wir zu ängstlich angesichts der | |
| Klimakrise, der vielen Kriege, der schwächelnden Wirtschaft? | |
| Jaff: Klar ist das alles beängstigend. Aber es gibt auch ein Danach. Die | |
| Geschichte endet nicht hier, sie geht weiter. Sicher, wir können jetzt | |
| Panik schieben, aber was kommt dann nach diesem Moment? Ich versuche in | |
| letzter Zeit häufiger, über den schnellen Aktivismus hinauszudenken. Wie | |
| setzt man sich langfristig für etwas ein, was ist eine gute Strategie, die | |
| über punktuellen Protest hinausgeht? | |
| taz: Die Frage ist ein bisschen altbacken, aber: Ist es okay, als | |
| Journalistin auch Aktivistin zu sein? | |
| Jaff: Ich finde die Frage sehr spannend. | |
| taz: Sie ist wird oft in der Annahme gestellt, dass Aktivismus für | |
| Journalist*innen tabu sei. | |
| Jaff: Ja. Aber wieso sollte ich denn nicht beides sein? Ich bin ein Mensch, | |
| ich sehe, was in der Welt passiert, und mit journalistischen Mitteln | |
| versuche ich, dieses Bild so gut wie möglich zu treffen. Es wird nie | |
| perfekt sein, ich kann nicht alles wissen. Kein*e Journalist*in der | |
| Welt kann das. | |
| taz: Trotzdem wollen wir alle doch der Wahrheit so nahe kommen wie möglich. | |
| Jaff: Absolut, aber ich habe eine einzelne Perspektive, und die muss ich | |
| ergänzen durch das, was andere wissen und gesehen haben. Ich bin ständig in | |
| einem Lernprozess und das vermittle ich auch gern nach außen. Alles andere | |
| wäre arrogant. In unserem Beruf wird man teilweise dafür bezahlt, dass man | |
| so tut, als würde man über vieles ganz genau Bescheid wissen. Aber ich | |
| würde nie sagen: Ich schreibe einen Newsletter über die Welt, weil ich so | |
| viel weiß. Im Gegenteil – ich schreibe, weil ich selbst Fragen habe und es | |
| meine Neugier stillt. | |
| taz: Sie haben mal gesagt, dass eines Ihrer Vorbilder [6][Buffy, die | |
| Vampirjägerin], ist, weil sie gegen das Böse kämpft. | |
| Jaff: Buffy hat mich, glaube ich, vor allem wegen ihrem Mut inspiriert. | |
| Buffy, Xena, Prue aus „Charmed“ – das waren Frauenfiguren, die ich | |
| bewundert habe. Ich bin ja auch ältere Schwester, und das waren auch immer | |
| alles ältere Geschwister. | |
| taz: Was hat diese Frauen für Sie so mutig gemacht? | |
| Jaff: In ungerechten Situationen haben sie sich nicht weggeduckt, sondern | |
| sich gestellt. So haben meine Eltern mich auch erzogen. Sie haben immer | |
| gesagt: Lass dir von niemandem sagen, wer du bist oder wie viel du wert | |
| bist. Keiner kann das für dich bestimmen. Diese Haltung habe ich auch in | |
| diesen Filmen und Serien wiedergefunden. | |
| taz: Inwiefern haben Ihre Erziehung und Ihre kurdische Herkunft Sie | |
| politisiert? | |
| Jaff: Alles ist politisch, natürlich auch meine Herkunft. Für mich hat | |
| Kurdischsein viel mit Selbstbestimmung zu tun. Selbstbestimmung hat die | |
| Kurden jahrhundertelang beschäftigt, weil es immer Kräfte gab, die versucht | |
| haben uns zu unterdrücken. Ich glaube, dass ich auch deshalb Journalistin | |
| werden wollte. Auf unserer Flucht nach Deutschland waren wir eine Zeit lang | |
| in Syrien. Ich erinnere mich, dass meine Mama mir ein Tagebuch gegeben hat, | |
| in dem ich unsere ganze Reise dokumentieren konnte. | |
| taz: Wie alt waren Sie da? | |
| Jaff: Acht. Ich hab das Tagebuch heute noch. Auf der ersten Seite steht: | |
| Ich bin jetzt in Syrien und der Präsident dieses Landes heißt Hafiz Assad. | |
| Für mich war schon damals interessant, wo ich bin und warum die Welt so | |
| aussieht, wie sie eben aussieht. Ich wollte die Dinge verstehen. Wieso | |
| musste ich meine beste Freundin verlassen? Ich hab versucht, die Welt um | |
| mich herum so zu beobachten und zu beschreiben, dass alles irgendwie Sinn | |
| ergibt. | |
| Lin Hierse, 34, leitet gemeinsam mit Luise Strothmann die wochentaz. | |
| 30 Dec 2024 | |
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